"Breaking News" von Frank Schätzing:Das kann er besser

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Israelische Panzer in Ost-Jerusalem während des Sechstagekrieges 1967. Frank Schätzings neuer Roman erzählt neben der Geschichte von Tom Hagen auch die Israels.

(Foto: Pierre Guillaud/AFP/Getty Images)

Frank Schätzing ist wieder auf Bestseller-Kurs. Alles bebt, aber mit seinem Erfolgsreporter-Roman "Breaking News" lässt der Schriftsteller sprachliche Ambition doch weitgehend vermissen.

Von Gerhard Matzig

Auf Seite 79 geht es los. Nicht zu früh und nicht zu spät, um dem Krieg in Afghanistan seinen Schrecken und dem Leser sein Beben zu geben. Das Timing war nie das Problem von Frank Schätzing, dem erfolgreichsten Bestseller-Lieferanten Deutschlands. Seine letzten beiden Bücher haben sich mehr als sechs Millionen Mal verkauft. Und in den vergangenen Wochen konnte man keine Zeitung aufschlagen, ohne auf ein Schätzing-Interview zu stoßen. An diesem Donnerstag erscheint sein Thriller "Breaking News". Und alles bebt.

Jedenfalls wird nun ein Mann "wie ein Spielzeug herumgewirbelt". Ein "Dröhnen lässt die Luft erzittern". Einer brüllt: "Verdammte Scheiße!" Unser Mann, Tom Hagen, "gefeierter Star unter den Krisenberichterstattern", schlittert abwärts. Blendgranaten explodieren. Frauen fliehen. "Jede Ordnung bricht zusammen." Nicht zum letzten Mal. Aber zum ersten Mal macht Hagen einen Fehler.

Das ist interessant, denn die actiongeladene Bruce-Willis-Haftigkeit um Hagen herum ist irgendwann ermüdend. Seite 83: "Der Berg erbebt. Hagen überschlägt sich." Seite 124: "Sein Kopf explodiert." Seite 158: "Das Stakkato der Artillerie bringt den Himmel zum Widerhallen." Bald danach "bebt", nachdem der Himmel zum wiederholten Male dröhnte, erneut der Boden. Unter solchen Umständen kann man Tom Hagen, der in Sirte (auch hier: "bebt der Boden") auf der Suche nach dem mittlerweile fliehenden Gaddafi einerseits und auf der Suche nach dem mittlerweile fliehenden Reporterglück andererseits den Einschlag einer Granate "haarscharf" überlebt, nur zu seinem Glück gratulieren.

"Und in dieser Nacht wurde sie seine Frau"

Bis zum Schluss, bis zum "Bauchschuss" - "knapp an allen Organen vorbei". Was aber dennoch ein Happy Ending ist. Denn sie, Yael, eine israelische Ärztin, lächelt ihn an - "und ein angenehmeres Gefühl durchzieht seinen Bauch und nimmt dem Schmerz seine Schärfe". In einem Baccara-Roman läse sich das so: "Und in dieser Nacht wurde sie seine Frau."

Das ist nicht fair. Schätzing spielt nicht in der Liga der Groschenhefte, sondern in der Frederick-Forsyth-Klasse der spannenden, akkurat recherchierten, gekonnt konstruierten und stilsicher verfassten Weltbestseller. Gerade deshalb darf man Schätzing die unentwegt dröhnenden Himmel und bebenden Erden nicht durchgehen lassen. Das kann er besser.

Schon "Tod und Teufel", 1995 erschienen, fand ein Millionenpublikum auch jenseits der Leser, die ein gutes Blockbuster-Drehbuch zu schätzen wissen. Und mit "Der Schwarm" schrieb er im Jahr 2004 einen eindrucksvollen Wissenschaftsthriller. Der Nachfolger, "Limit", bemühte sich vor fünf Jahren auf 1300 Seiten allerdings vergeblich darum, die somit geweckten Erwartungen an den 56-jährigen Ex-Werber und Beinahe-Musiker aus Köln auf gleichem Niveau einzulösen. Trotz Fahrstuhl zum Mond: Schätzing geriet an sein Limit. Man wartete daher seit Jahren nervös auf das neue Buch. Würde es ihm jetzt gelingen, den "Schwarm" zu toppen?

Verzicht auf sprachliche Ambition

Auflagentechnisch: ja. 500 000 Exemplare hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch zum Auftakt drucken lassen. Inhaltlich: nein. "Breaking News" reicht nicht an die Schwarmstärken heran. Aber es ist deshalb kein schlechtes Buch. Es ist unterhaltsam, spannend, komplex - und doch bleibt Schätzing mit der geschickt in vielen Zeitebenen konstruierten Geschichte von Tom Hagen, die auch die Geschichte des Nahostkonflikts um Israel ist, unter seinen Möglichkeiten als Schriftsteller. Dass er auch in dieser Verfassung ein Buch vorlegt, das 99 von 100 deutschen Regionalkrimi-Autoren zeigt, wie man Suspense erzeugt, gibt zu denken.

Die Story ist gut. Da ist die klischeehafte Geschichte von Hagen - und da ist die wesentlich dichter erzählte Geschichte Israels, anschaulich gemacht mithilfe der Exil-Biografien zweier jüdischer Familien. Das Verknüpfen der Erzählstränge vor dem politischen Hintergrund: Das ist das, was Schätzing besonders gut gelingt. Unglaubwürdig kommt einem dagegen das Geschäft der Krisenberichterstattung vor. ",Scharfschützen!', schreit der Kommandeur ins Funkgerät. ,Deckung. Formiert die Wagen.'" Formiert die Wagen? Man fühlt sich an John Wayne erinnert: Indianer! Bildet eine Wagenburg! Und muss Tom Hagen, Ex-Säufer, Gelegenheits-Callboy, Fußball-Experte, und, ach ja: Reporter, seine Story mit der Assistentin besprechen, während er sich "in der pulsierenden Obhut ihrer Vagina" befindet und sich das Licht, als wäre dies eine Regieanweisung für den Kameramann, "der unverschämten Straffheit ihrer Brüste huldigt"?

Zwischen Pulitzerpreis und Schneiderhandwerk

Was Schätzing nicht kann: Sexszenen. Die geraten ihm mit pulsierender Regelmäßigkeit zur Parodie. Leider gilt das auch für die Darstellung von Hagens Profession: Einmal, Hagen ist gerade unter Beschuss (was sonst), ruft seine Schneiderin aus Hamburg an. Die Hosen seien fertig. Er bespricht das kurz am Handy. Dann macht er wieder Fotos vom Krieg. So stellt man sich Kriegsberichterstattung vor: irgendetwas zwischen Pulitzerpreis und Schneiderhandwerk. Schätzing ist sonst ein glänzender Rechercheur. Für die Figur des Tom Hagen hat er sich laut Danksagung von Julian Reichelt beraten lassen: "Buchautor und BILD-Chefreporter, Hamburg, einer der jüngsten und versiertesten Kriegs- und Krisenberichterstatter Deutschlands".

Problematisch ist nicht nur die Figurenzeichnung, sondern auch die Redundanz der Sprache: Da wird eine Landschaft beschrieben, "als habe der Maler dieses Bildes den letzten Rest Grün (. . .) aus den Borsten seines Pinsels in die mondartige Ebene geschmiert". Dann gibt es Tote, "als hätte ein irrsinniger Maler Hektoliter Farbe verspritzt". Dann verteilt sich der Inhalt eines Autos "in Pollock'scher Manier über die Straße". Dann werden "Himmel und Wasser eins, schwappen ihm entgegen, das Aquarell eines Verrückten". Weniger Wahnsinn und Kunstgeschichte für Anfänger, dafür mehr Lektorat für Fortgeschrittene: Schätzing könnte jetzt im schnoddrigen, bisweilen witzigen, gelegentlich klugen, zu oft simplifizierend verb-armen Werbersprech dazu schreiben: "Nur so eine Idee." Im Spiegel hieß es: "Literaturpreise strebt Schätzing nicht an."

Warum nicht? Er hat eine raffinierte, brisante Story, eine mit Verve und Tempo, der man gerne folgt. Das Buch ist ein Pageturner. Doch warum verzichtet Schätzing auf sprachliche Ambition? In etlichen Interviews wurde Schätzing gefragt, ob sich "U" und "E" ausschließen würden. Wieso sollten sie? Und ob es einem Deutschen gestattet sei, sich in Form eines Unterhaltungsromans dem Nahostproblem zu widmen. Auf diese Frage kann man eigentlich nur als deutscher Journalist kommen. Was wirklich interessant ist - und zwar aus der Fankurve heraus gefragt: Wann will der erfolgreichste Schriftsteller Deutschlands mal wieder als Schriftsteller arbeiten? Wäre eine Eilmeldung wert.

Frank Schätzing: Breaking News. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 976 Seiten, 26,99 Euro. E-Book 21,99 Euro.

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