Brasilien:Ein optimistischer Mensch

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Mit welcher Kraft er Poesie aus Worten wie Blase, Herz und Nieren herauspresst, eine Hymne auf seinen Kardiologen Dr. Kalil singt: Gilberto Gil ist mit einem sehr persönlichen Album auf Tour:

(Foto: AFP)

Begegnung mit dem Musiker und ehemaligen brasilianischen Kulturminister Gilberto Gil während seiner Deutschland-Tournee.

Von Javier Cáceres

Vor ein paar Tagen in Berlin, bei seinem Konzert am Ufer der Spree, sorgte der Brasilianer Gilberto Gil, 77, für einen andächtigen Moment der Stille. Auf der Bühne vor dem Haus der Kulturen der Welt widmete er einem Giganten der südamerikanischen Musik, dem kürzlich verstorbenen João Gilberto, seine Ballade "Se Eu Quiser Falar com Deus", "Wenn ich mit Gott reden wollte". Wenn Gil an diesem Montag in München auftritt, dürfte es eine vergleichbare Andacht geben: João Gilberto war Gilberto Gil erklärtermaßen Referenz, Lehrer und Gesprächspartner. "Er hat mich zu dem Künstler gemacht, der ich bin", sagte Gil bei einer Begegnung in seiner Kabine. Da war João Gilberto längst zu einem Sinnbild dafür geworden, mit welcher Verachtung Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro die Welt der Kultur seines Landes straft.

"Eine bekannte Person" sei dieser João Gilberto gewesen, hatte Bolsonaro nach dessen Tod gesagt, und richtete, immerhin, den Familienangehörigen des Komponisten, Sängers und Gitarristen ein maulfaules Beileid aus. Doch weitergehende Trauerbekundungen, die Anordnung von Staatstrauer gar? Fehlanzeige. "Diese Regierung hat kein Interesse am Kulturleben Brasiliens, an der Kultivierung der Kultur", sagte Gil. Die demonstrative Ignoranz, die der seit Jahresbeginn amtierende Bolsonaro walten ließ, habe ihn deshalb auch nicht überrascht.

Eingedenk der Polarisierung, die sich schon seit Jahren durch die brasilianische Gesellschaft zieht, überrascht, wie gesetzt Gil seine Worte wählt, wenn er über die Lage in seiner Heimat spricht. Als wollte er, der zu Zeiten der Militärdiktatur ins Exil ging, nichts befeuern. "Die vorrangige Dimension meiner Existenz ist die des Künstlers", sagt er. Gleichwohl verortet er sich deutlich, wenn die Sprache auf Bolsonaro kommt. Dessen "Werdegang als Politiker und Bürger ist weit entfernt von dem, was ich für adäquat halte für die heutigen Men-schen", sagt er. Bolsonaro stehe all den Träumen aus der Zeit entgegen, die aus Brasilien ein neugieriges, offenes, um soziale, politische, wirtschaftliche, rechtliche Errungenschaften kämpfendes, tolerantes Land machten. Ihren Ausfluss fanden sie in der Erbauung der Hauptstadt Brasília, in den Erfolgen der brasilianischen Fußballnationalmannschaft und auch in der "Múscia Popular Brasiliera", die Gil repräsentiert. Seine Verwunderung darüber, dass sich (pop-)kulturelle Rolemodels wie etwa die Fußballnationalspieler begeistert an der Seite Bolsonaros zeigen, spricht ebenfalls Bände. "Es ist überraschend, wenn man sich vor Augen führt, dass sie aus populären Schichten stammen, oft Söhne armer, einfacher Leute sind", sagt er, "vielleicht fehlt es ihnen einfach an Kenntnis der Bedeutung des Diskurses des Herrn Präsidenten. Vielleicht sind sie zu sehr mit ihrer eigenen Welt beschäftigt." Gil, der unter dem derzeit unter skandalösen Umständen prozessierten und mittlerweile inhaftierten Präsidenten Lula Kulturminister war, gehörte zu den zahllosen Künstlern, die das Manifest "Demokratie ja!" unterzeichneten, das darauf abzielte, die Wahl Bolsonaros zu verhindern.

Die Rolle des vaterlandsrettenden Helden lehnt er ab, lässt sich aber nicht den Mund verbieten

In jener Zeit erschien auch sein aktuelles Album "Ok Ok Ok", das Rückgrat seiner Aufführung, in dem er mit der ihm eigenen Eleganz moderne Musikströmungen streift. Es ist auch in seinen Texten ein sehr persönliches Album geworden, das auch als "Wiederbegegnung mit dem Willen zu leben" betrachtet werden könne. Diverse Erkrankungen, die ihn ins Krankenhaus zwangen, hatten sein Schaffen unterbrochen; umso faszinierender, mit welcher Kraft er Poesie aus Worten wie Blase, Herz und Nieren herauspresst, eine Hymne auf seinen Kardiologen Dr. Kalil singt. Auch die Politik scheint auf, in dem Eröffnungssong "Ok Ok Ok". Gil wirkt da ermattet und pessimistisch, lehnt die Rolle des vaterlandsrettenden Helden ab, lässt sich doch nicht den Mund verbieten. "Die Resignation liegt darin begründet, dass der Künstler über dieser Polarisierung stehen können sollte, über diesen Kämpfen zwischen den Polen des menschlichen Lebens, die wir gegenwärtig erleben."

Man könnte meinen, dass es an ihm nagt. Doch man muss sich Gil als einen optimistischen Menschen vorstellen. Die Zuversicht, die er sich bewahrt hat, schöpfe er aus "dem natürlichen Zyklus des Wandels, der eine wundervolle Gewohnheit der Natur ist", sagt er. "Die Natur ist im Dialog mit dem Menschen, auch mit jenen, die der Maschine einen immer größeren Raum geben, die Welt gewissermaßen mathematisiert und die Obsession entwickelt haben, alles zu vermessen und zu kalkulieren, in einem Traum nach absoluter Beherrschung. Es gibt sie nicht. Wenn sich mich also fragen, was mich zum Optimisten macht, dann dies: dass es das Optimale nicht gibt, so wie es das absolut Schlechte nicht gibt."

Auftritte von Gilberto Gil in Deutschland: 22. Juli, München. 7. August, Karlsruhe. 11. August, Hamburg.

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