Süddeutsche Zeitung

BR-Symphoniker:Besorgte Liebe

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Mariss Jansons begeistert das Münchner Publikum mit Schostakowitschs Zehnter Symphonie. Zuletzt musste der 76-Jährige Konzerte absagen, nun aber begibt er sich auf Tournee. Dennoch wird sich das Orchester Gedanken über die Zukunft machen müssen.

Von Michael Stallknecht

Der Applaus für Mariss Jansons war gewaltig am Ende des Konzerts am Donnerstagabend in der Münchner Philharmonie. Das hatte sicher mit Dmitrij Schostakowitschs Zehnter Symphonie zu tun, in der das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wirkungsvoll auftrumpfen konnte, mehr aber noch mit seinem Chefdirigenten, den zu erleben man in jüngerer Zeit selten Gelegenheit hatte. So hätte Schostakowitschs Zehnte eigentlich schon im Sommer bei den Salzburger Festspielen auf dem Programm stehen sollen, für die Münchner Konzerte war dagegen Bruckners Neunte eingeplant. Doch lange Regenerationsphasen bei Jansons brachten die Pläne durcheinander.

Die Gesundheit des 76-Jährigen gilt seit Langem als angeschlagen, in den letzten Jahren scheint er schon optisch immer bleicher und schmaler geworden, was die Liebe, aber auch Sorgen bei den Musikern befördert, unter denen er ebenso als Sympathieträger gilt wie beim Publikum. Momentan konzentriert sich Jansons ganz auf sein Orchester, bei dem er seinen seit 2003 laufenden Vertrag erst im vergangenen Jahr noch einmal bis 2024 verlängert hat. Für den September geplante Auftritte mit dem Amsterdamer Concertgebouw-Orchester hatte er noch abgesagt, mit den BR-Symphonikern tritt er dagegen an diesem Sonntag eine große Tournee an, die ihn durch mehrere europäische Städte und nach New York führen soll. Als Solisten sind die Sopranistin Diana Damrau und der Pianist Rudolf Buchbinder dabei.

Der festliche Aufriss gehört seit jeher zu Jansons' Stärken

Dass die Zusammenarbeit mit Buchbinder eine sichere Bank ist, konnte man bei der Münchner "Generalprobe" am Donnerstag hören. Buchbinder spielte Beethovens Zweites Klavierkonzert in B-Dur (am Freitagabend war es Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV 488) mit der ihm eigenen unaufdringlichen Lässigkeit, die aber im Detail von hoher Präzision getragen ist. Die Figuration artikuliert und gliedert er plastisch durch, hört Kontrapunkte harmonisch subtil aus und füllt den langsamen Satz mit einer feinen Sanglichkeit. Dazu sorgt Jansons mit den BR-Symphonikern für einen festlichen Aufriss, wie der großformale Überblick von jeher zu seinen Stärken gehört. Er war schon zu Beginn des Konzerts in Carl Maria von Webers "Euryanthe"-Ouvertüre zu erleben, bei der Jansons sich dennoch Zeit nahm, gerade im Leisen eine geheimnisumwitterte Romantik aufzuspüren.

Dagegen bleibt Schostakowitschs Zehnte nach der Pause eher enttäuschend, gerade weil sich Jansons ihr mit einem ähnlich geradlinigen, durchaus effektsicheren Zugriff nähert. Wie so oft in seinem Werk schreibt der Komponist hier eine Musik, die mit stilistischen Masken spielt. Man kann das politisch deuten - die 1953 uraufgeführte Symphonie wird oft als Abrechnung mit dem soeben verstorbenen Stalin gelesen - oder auch rein ästhetisch, in der Linie, die von Gustav Mahler zu Schostakowitsch führt. Fraglos auch hier mit großem Überblick, entgehen Jansons doch die Brüche, das Groteske, auch die Ironie, wie sie etwa in dem vermeintlich harmlosen Walzer des dritten Satzes steckt. Die dafür nötige Zuspitzung war freilich Jansons' Sache noch nie, der auch die Musik des 20. Jahrhunderts eher aus der romantischen Tradition liest. Nachlassende Dirigierkräfte sind in dem einstündigen, im Tempo durchweg zügig genommenen Werk nicht zu beobachten. Und klar bleibt es ein Ereignis, mit welcher geschlossenen Präzision die BR-Symphoniker die Läufe im zweiten Satz auszuführen vermögen. Der Beginn des vierten kommt geradezu als Schaulauf der Holzbläsersolisten daher, von denen einer schöner als der andere spielt. Jansons kann sich auf sein Orchester verlassen, wie dieses sich auf seinen Dirigenten.

Dennoch wird das Orchester kaum umhin kommen, über eine mögliche Nachfolge nachzudenken. Leicht fallen dürfte das nicht, nicht nur aus Gründen des Respekts. Den jüngeren Generationen mangelt es zwar nicht an guten Dirigenten (von denen die meisten regelmäßig auch am Pult der BR-Symphoniker stehen), wohl aber an großen Namen, die etwa bei einer Tournee die großen Säle füllen. Jansons gehört einer Ära der Pultstars an, die sich, aus den unterschiedlichsten Gründen, kaum in die Zukunft fortschreiben lässt.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2019
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