Mike Tyson:Unendlich viel Mist gebaut

Mike Tyson

Vor seinem letzten Kampf ließ sich Mike Tyson das Gesicht tätowieren. Damit muss er nun leben.

(Foto: dpa)
  • Der ehemalige Boxer Mike Tyson hat ein Buch geschrieben über Cus D'Amato, der ihn zu dem gemacht hat, der er als Boxer war und als Mann heute ist.
  • In dem Buch geht es aber vor allem um einen: Tyson selbst.
  • Der Amerikaner berichtet auf seine ehrliche Weise - manchmal schonungslos.

Von David Pfeifer

Mike Tyson musste gerade eine Signierstunde in Los Angeles absagen. Ganz recht, eine Signierstunde. Er liest derzeit aus seinem brandneuen Buch "Iron Ambition" - und das Buch handelt nicht mal von ihm, sondern vorwiegend von seinem Trainer und Ersatzvater Cus D'Amato.

Seit dem 12. Juni sitzt Tyson als Gast bei der Fox-Show "Superhuman", in der sich Menschen mit außergewöhnlichen Denkleistungen präsentieren. Noch bis ins vergangene Jahr hatte Mike Tyson Auftritte am Broadway und war auf Tournee, mit dem Ein-Personen-Stück "The Undisputed Truth" von Spike Lee, einer dramaturgischen Umsetzung von Tysons Biografie. HBO hat das fürs Fernsehen aufgezeichnet. Schon ein paar Jahre zuvor hatte der Boxer kleine Auftritte in der Filmreihe "Hangover" und in Komödien wie "Zwei vom alten Schlag".

Mike Tyson, einstmals "Baddest Man on the Planet" (Eigenwerbung), K.-o.-Schläger und Ohr-Abbeißer, der seinen Gegnern sagte, er wolle ihre Babys fressen, kurz: "Iron Mike" ist mittlerweile als Darsteller seiner selbst unterwegs. So überzeugend, dass es genügend Menschen gibt, die ihm dabei zusehen wollen. Jetzt also das neue Buch.

Das Besondere: Tyson schreibt über den Mann, der ihn zu dem gemacht hat, der er als Boxer war und als Mann heute ist. Doch selbst wenn er Cus D'Amatos Perspektive einnimmt, betrachtet er vor allem: Mike Tyson. Er erzählt also mehr darüber, wie man ihn als Jugendlichen sehen konnte, als über denjenigen, der in ihm den zukünftigen Champion erkannte.

Tyson berichtet auf eine sehr ehrliche Weise, manchmal schonungslos, aber mit der Routine des gereiften Anekdoten-Onkels, der weiß, dass es zum guten Erzähler gehört, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.

Trainer-Boxer-Konstellationen haben ja schnell etwas von Bromances. Enge Männer-Freundschaft mit stets verklausulierten Liebeserklärungen und ungelenker Nähe. Der Trainer ist schließlich der einzige Verbündete gegen die Angst des Boxers. Tyson beschreibt das sehr begreifbar, wie die Angst vom Kämpfer Besitz nimmt, in der Umkleidekabine, im Ring. Wie der Gegner plötzlich zu etwas Riesigem heranwächst, zu etwas Unüberwindbaren. Da hilft nur die Beschwörung des Trainers: Dem in der anderen Ecke geht es ganz genauso.

Doch Cus D'Amato war mehr als ein Trainer. Er nahm den 13-jährigen, bereits kriminellen Tyson in sein Haus auf, adoptierte ihn und formte aus ihm einen der spektakulärsten und besten Boxer der Schwergewichtsgeschichte.

"Iron Ambition: Lessons I've Learned from the Man Who Made Me a Champion" ist also auch eine späte Danksagung. Gegen Ende des Buchs schreibt Tyson über D'Amato: "Als er sagte, ich würde einer der größten Schwergewichtler aller Zeiten werden, haben ihn alle ausgelacht. 'Cus, er ist zu klein', haben sie gesagt, 'er ist gerade mal 1,80 Meter und wiegt keine hundert Kilo, das wird nie was.' Aber es wurde etwas. Ich habe es geschafft. Die ganze Welt kennt meinen Namen wegen dieses Mannes - und er konnte den Erfolg nicht einmal genießen." D'Amato starb etwa ein Jahr bevor Tyson 1986, mit 20 Jahren, der bis heute jüngste Weltmeister im Schwergewicht wurde.

Gefängnis, Scheidungen und Konkurs hinter sich

Mittlerweile ist Tyson 50 Jahre alt. Er saß wegen Vergewaltigung im Gefängnis (er bestreitet die Tat vehement und bei jeder Gelegenheit, auch in diesem Buch), er hat zwei Scheidungen hinter sich, einen Konkurs, er hat die wichtigen Weltmeistergürtel zwei Mal gewonnen. Er dürfte nach Muhammad Ali der bekannteste Boxer der Welt sein. Und wer als Boxer bekannt ist, gilt ja gleich als Titan, als überlebensgroß.

Muhammad Ali war schon zu seiner aktiven Zeit eine Figur der Popkultur geworden, losgelöst von der echten Person. In dem Film "The Greatest" spielte er sich 1974 selbst. Es wurden ihm Lieder gesungen und Shows gewidmet. Boxer unterscheiden sich von Sportlern nicht nur dadurch, dass ihrer Profession alles Leichte fehlt, wie Joyce Carol Oates in ihrem exzellenten Buch "Über Boxen" schrieb. Viele sind, von Beginn an, Ausnahmecharaktere. Wer trainiert schon dafür, andere zu schlagen und dabei selber geschlagen zu werden? Ali nutzte die Gladiatorenbühne wie kein anderer, um der zu werden, der er in seinen Träumen war.

Das Blöde daran, wenn ein Trainer einem Kämpfer jahrelang einredet, er sei der Größte: Irgendwann glaubt der daran. Und hält sich, wenn schon nicht für unschlagbar, doch für unsterblich. Das mag für den Ruhm zutreffen, doch das Fleisch ist schwächer.

Mike Tyson in seinem neuen Buch:

"Angst ist wie Feuer. Du kannst dich daran wärmen, du kannst dein Essen darauf kochen - aber wenn du sie nicht kontrollierst, dann brennt sie dein Haus nieder und alles, was du liebst."

Deshalb boxen so viele große Champions zu lange. Ali war nicht der erste, der die Zeit überdehnte, Tyson wird nicht der letzte sein. Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum Boxer selten aufhören können, wenn es am besten für sie wäre. Von den vielen klugen oder zumindest klug klingenden Zitaten, die Mike Tyson der Welt geschenkt hat, lautet eines: "Ich liebe Boxen. Alles andere ist so langweilig." Nimmt man den Satz ernst, folgt ein tristes Leben nach dem Boxen.

Die Freude an der eigenen Entgrenzung ist eine Grundlage für Schauspieler wie Boxer. Doch während man als Schauspieler sein ganzes Leben lang arbeiten und mit etwas Verstand im Alter sogar besser werden kann, läuft die Uhr bei Boxern schneller ab. Sie müssen in jungen Jahren manisch und brutal hart trainieren, nur um für einen sehr kurzen Zeitraum ihres Lebens auf das höchste Niveau ihrer Profession zu gelangen. Danach bleibt ihnen nichts weiter übrig, als diesen Zeitraum immer wieder zu beschwören. Der Geist weiß alles, doch der Körper kann nicht mehr. Eine Gemeinheit, die alle Menschen erfahren, wenn sie alt werden. Da Boxer sie aber so viel früher erfahren, werden sie im besten Fall zu Botschaftern vom anderen Ende des Lebens. Zumindest wenn sie ihre Gefühle und Gedanken in Worte fassen können.

Ali konnte das, Tyson kann es auch. Und Tyson hat sich einen prominenten Co-Autor besorgt, Larry Sloman, der schon Bob Dylans Wirken und die Lebens-Exzesse des Red Hot Chili Peppers-Sängers Anthony Kiedis in Bücher übersetzte. Dabei ist es literarisch vielleicht eine Schwäche, erzählerisch aber eine Stärke, dass Tyson so wörtlich wiedergegeben wird. Kennt man den Klang seiner Stimme, hat man ihn beim Lesen im Ohr.

Tyson beschreibt, wie er eine Erektion bekam, jedes Mal, wenn ihn jemand als bedrohlich und gefährlich bezeichnete (also recht häufig). Er gibt zu, unendlich viel Mist gebaut und auch geredet und gedacht zu haben - und seinen Mentor schont er ebenfalls nicht. Doch obwohl D'Amato wohl auch ein herrschsüchtiger, selbstgerechter Mann gewesen sein muss, der Tyson nicht nur aufbaute, sondern bleibend psychisch schädigte, ist in Tysons Beschreibungen immer Liebe zu spüren. Dass Mike Tyson Weltmeister wurde, geht vermutlich ebenso auf D'Amatos Einfluss zurück, wie die späteren Entgleisungen. Tyson schreibt, dass er unkontrollierbar war, eine Kampfmaschine, für die nach D'Amatos Tod keiner mehr den Aus-Schalter finden konnte.

Allerdings lässt Tyson in seinem Buch auch Unschönes weg. Der ebenfalls recht berühmte Trainer Teddy Atlas hat in seiner Autobiografie sehr deutlich beschrieben, wie er Tyson einmal mit einer Pistole bedrohte, nachdem dieser Atlas' Nichte belästigt hatte. Tyson war da etwa 16 Jahre alt und körperlich schon so gefährlich, dass Atlas, selber ein ehemaliger Boxer, sich nicht traute, ihm Prügel anzudrohen. Daher die Waffe am Kopf des Jungen, der aus dem Ruder gelaufen war. Tyson rannte weinend zu D'Amato, der wiederum Atlas feuerte, um seinen Zögling nicht zu verstören. All das ist lange her, vergessen hat Tyson es gewiss nicht. Aber es sieht halt blöd aus, im Zusammenhang mit den Vergewaltigungsvorwürfen, die immer noch an ihm kleben.

Zitate wie aus Schwarzenegger-Filmen

Der erwachsene Tyson musste mehrere Totalzusammenbrüche verkraften, bevor seine eigentliche Menschwerdung beginnen konnte. Mit über 40 Jahren.

Damals torkelte er durch Las Vegas, seinem verblassenden Ruhm hinterher, besoffen und bis in die Haarwurzeln vollgesogen mit Kokain, als ein Junge aus einem vorbeifahrenden Bus schrie: "Ich kenne dich aus dem Kino!" Der Kleine war zu jung, um Tyson als Boxer erlebt zu haben, er hatte den ersten "Hangover"-Teil gesehen. Für Tyson zeigte sich damals ein Weg, auch ohne Boxen jemand zu sein, den Menschen lieben und bewundern können. Und eine Rolle, die nur er alleine ausfüllen kann, hatte er bereits gefunden: einen der besten, wildesten und brutalsten Boxer aller Zeiten darzustellen und dessen Resozialisierung zu erklären.

D'Amato spricht durch ihn

Das darf er nun bis zum Ende seiner Tage machen. Wer in so kurzer Zeit so viel erlebt hat, dem gehen die Geschichten nicht aus. Mike Tyson lässt seine Zuhörer also gerne an seinen Lebensweisheiten teilhaben: "Ich habe herausgefunden, dass es viel einfacher ist, eine rationale Diskussion mit einem Menschen zu führen, der als Milliardär auf die Welt gekommen ist, als mit einem Self-Made-Milliardär. Denn der denkt immer, er habe recht, sonst wäre er ja nie so weit gekommen."

Manchmal taucht Tyson in "Iron Ambition" etwas zu tief in die Box-Historie ein, wenn er Cus D'Amatos erste Karriere schildert, und die Verstrickungen des Box-Zirkus mit der Mafia in den 1950er-Jahren aufdröselt. Doch Tyson räumt auch mit ein paar Mythen auf, zum Beispiel nennt er die Quelle eines seiner berühmtesten Zitate: "Jeder hat einen Plan, bevor er ins Gesicht geschlagen wird." Es stammt, wie viele andere, natürlich von Cus D'Amato.

D'Amato spricht durch ihn. Das tut er schon lange, wie Tyson häufig gesagt und nun auch geschrieben hat. Doch erst der Absender macht eine Botschaft stark. Wie das Mantra zur Angst, das D'Amato die Welt durch Tyson lernen ließ: "Angst ist wie Feuer. Du kannst dich daran wärmen, du kannst dein Essen darauf kochen - aber wenn du sie nicht kontrollierst, dann brennt sie dein Haus nieder und alles, was du liebst."

Kein Wunder, dass die Menschen diesem Mike Tyson weiter zuhören wollen. Dieses Zitat, das auch aus einem Arnold-Schwarzenegger-Film stammen könnte, bekommt erst durch Mike Tyson seine authentische Wucht, denn dieser Mann hat seine Angst bekämpft wie kein zweiter. Meistens hat er gewonnen, häufig durch K. o. in der ersten oder zweiten Runde.

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