Süddeutsche Zeitung

"Bourne"-Schauspieler Jeremy Renner:Hey, Darlings

Bis vor ein paar Jahren kannte ihn keiner. Jetzt ist der "Bourne Legacy"-Star die neue Geheimwaffe Hollywoods, und Frauen verbringen Abende damit, sich an seine Seite zu fantasieren: Jeremy Renner, Hollywoods aktueller Lieblingsactionproll.

Rebecca Casati

Es gibt Menschen, die einem das Gefühl geben können, als seien soeben die Brennstäbe im Kopf erneuert worden. Angespornt fühlt man sich in ihrer Gegenwart. Flirrend, wach, beschleunigt. Und 1000prozentig empfangs- und sendebereit. Gedanken, die man sich sonst mühevoll abtrotzen muss, fluten ins Hirn, man ist schneller, größer, interessanter, geistreich und schlagfertig.

Also, genau zu dieser Sorte gehört Jeremy Renner nicht. Man hat dann doch eher keinen einzigen laserstrahlförmigen Gedanken in seiner Gegenwart. Man hat eher so was wie lauter gemütliche Ideen. Man denkt dran, dass man mit ihm wahrscheinlich toll grillen oder einen Tisch zusammenbauen und dann anstreichen, möglicherweise sogar eine Fensterbank zimmern könnte. Man denkt komischerweise an München; Renner trägt einen breiten, gehämmerten Silberring, der nach Sanitärbedarf aussieht und auf dem Zeigefinger sitzt, wie das zuletzt circa 1998 populär war, bei den Männern, die auf der Wiesn in Spielbuden stehen und die umgeworfenen Dosen wieder aufstellen.

Man denkt an dämmerige Bowlingbahnen oder Bierkneipen, und das als Nichtbowler- und Nichtbiertrinker, während draußen die Septembersonne auf Berlin runterbrät. Man denkt jedenfalls nicht: Achtung, hier sitzt Hollywoods neue Geheimwaffe, die jederzeit losknallen, sieben Killer parallel ausknocken, Wände hochlaufen und Millionen einspielen kann.

Die Frauen in den YouTube-Foren, die machen sich bei Jeremy Renner übrigens wieder ganz andere Gedanken.

Aber das kommt noch.

Erst mal sitzt er nun da, an einem runden Konferenztisch, in seiner etwas geckenhaft schimmernden Anzughose, in einem etwas zu modischen Hemd mit Abnähern, so als würde er nicht in 60 Minuten in einen Privatflieger nach Wien steigen, sondern als sei er Trauzeuge auf einer Provinz-Hochzeit. Seine Nase ist männlich, der Rest an ihm eher jungenhaft. Die Augen stehen weit auseinander, die Lider hängen permanent und müde auf halbmast und verdecken, wie man von wacheren Auftritten weiß, besonders hübsche, graue Augen.

Er ist ziemlich braun, auf diese gleichmäßige, sonnenduschige Art und Weise. Er lächelt und grüßt sehr freundlich, die halbe Welt, sagt er, habe er in den letzten Wochen nun bereist, "also, jedenfalls verdammt viele Länder, yeah, man kommt herum auf so einer PR-Reise, leider sieht man nur so wenig von Moskau, Toronto oder Melbourne aus dem Flugzeug-, Taxi- oder Hotelzimmerfenster, yeeeeeeaaaaahhhhh . . ."

Die Stimme; die ist nun zugegebenermaßen ungeheuerlich. Sie scheint nicht aus ihm, sondern aus einem unterirdischen Gewölbe zu kommen, zumindest aus dem Brustkorb eines Zweimetermannes, dabei ist Renner nicht groß, nicht klein, also irgendwas bei 1,75 Metern. "Bourne" klingt bei ihm wie "Buuuaaaaaaarrrrne". Er spricht mit der schweren Zunge des amerikanischen Südens, im sogenannten Southern Drawl, und so bewegt er sich auch: gemessen, um nicht zu sagen, etwas träge. Hier also kommt seine Geschichte, Daaaaarrlings.

Sie handelt davon, dass ein kalifornischer Kleinstadtjunge schauspielern wollte, nichts anderes. Was nur eben leider 20 Jahre lang kaum jemanden zu interessieren schien. 2000 war er schon länger kein Junge mehr, sondern dreißig. Und so abgebrannt, dass er in seinem Apartment in Los Angeles bei Kerzenschein hausen musste: "Klingt doch kuschlig, oder? "

Eher nicht. Mit 30, ohne Perspektive.

"Aber ich musste es ja irgendwie anders betrachten, sonst hätte ich mir doch direkt die Lampe ausschießen können. Ich hab es vor mir selber nach vorne verkauft: Ist doch sexy, alter Junge. Ist doch sehr intim, der Kerzenschein."

Häufig erzählt Renner in Interviews, wie nah er seiner Familie steht. War es ihm nicht unangenehm, auf einem Familienfest zu stehen und zum tausendsten Mal zu erklären, warum er immer noch kein rechtes Auskommen hatte?

"Übel, ja. Ganz zu Anfang war's noch eine Riesensache, wenn ich mal in einer Bierwerbung auftauchte. Aber mit der Zeit wurde es heikel. Wir stammen aus Modesto, einer Kleinstadt bei San Francisco. Mein Vater war Gebäudeverwalter, meine Mama Buchhalterin. Beide sind in Rente. Ich hab' auch sonst keinen einzigen Künstler in der Familie, niemanden, der auch nur die leiseste Ahnung davon hat, was das hier für ein Business ist. Und dafür haben sie alle eine ziemlich ignorante Sicht darauf, so nach dem Motto: Der und der Film hat mir gut gefallen, warum warst du da denn nicht dabei?!? Und ich so: Ja, genau, Onkel Trottel. Wenn das so leicht ist, dann mach du doch direkt selber da mit - ach, du hast da auch noch 'ne Frage, Tantchen? Warum reden wir nicht mal über deinen Job in der Kreditorenbuchhaltung, wollen doch mal hören, wie es da so vorangeht . . . "

Dumme Fragen. Absagen, Unsicherheit, Nichtbeachtung - und das 20 Jahre lang. Gibt es ein Mantra, das einen als Schauspieler durchhalten lässt? Und gibt's eigentlich irgendeinen anderen frei gewählten Job, in dem man sich so demütigen lässt?

Renner guckt jetzt etwas fragend. Er wirkt nicht mal das kleinste bisschen gedemütigt, im Gegenteil, selten sitzt man mit jemandem zusammen, der so tiefenentspannt zu sein scheint; im Einklang mit Uhrzeit, Temperatur, Vergangenheit, Zukunft und dem ganzen anderen Rest. Wie jemand, dem geweissagt wurde, dass ihm sowieso nichts passieren kann. Wie jemand, den Mami immer lieb haben wird. Wie jemand ohne Verfolgungswahn. So ist das nämlich in diesem Business: Das Normale ist nicht normal.

Normal sind heute Hollywoodschauspieler, denen man die Anspannung trotz ihrer Botoxbehandlungen ansieht. Das Internet, die Zuschauergunst, die PR - man merkt, welch irrealer, ja neurotischer Druck zusammen mit der Millionengage auf sie gelegt wird. Vielleicht spürt man bei Jeremy Renner noch nichts davon, weil er gerade erst und seitwärts in den Riesenruhm reingegrätscht ist; vielleicht sollte man einem, der wie ein Cowboy klingen will, aber auch einfach nicht mit so was wie einem "Mantra" kommen, also:

Wie lautet die Durchhalteparole für einen nicht mehr ganz jungen Schauspieler, der die Stromrechnung nicht zahlen kann?

Renner seufzt. "Ich wusste halt, dass das mein Leben sein sollte; die Schauspielerei. Welche Wahl hatte ich denn sonst gehabt?"

Konditor, Fitnesstrainer, Guru? Ist natürlich sinnlos, so was einem Künstler vorzuschlagen. Obwohl - so sinnlos ist es hier auch wieder nicht, denn kurz bevor er von der Regisseurin Kathryn Bigelow entdeckt und berühmt gemacht wurde, arbeitete Renner an einem Make-up-Tresen, wo er Kundinnen schminkte und ihnen erklärte, wie vorteilhaft es das Gesicht verändern kann, wenn man sich die Augenbrauen mit einem kleinen Bürstchen kämmt.

Wenn man diesen beruflichen Schlenker vielleicht nicht so ganz mit seinem Dialekt oder heutigen Status in Einklang bringt, so ist es gleich weniger irritierend, wenn man ihn davon erzählen hört. Er wollte halt nicht kellnern, dafür war er zu bequem, dann lieber Mädchen anmalen.

Eine Frau war wie gesagt entscheidend für Renners Durchbruch, die geniale Regisseurin Kathryn Bigelow. Sie hatte ihn in dem Low-Budget-Film "Dahmer" entdeckt, in dem Renner den Massenmörder Jeffrey Dahmer spielte, der zwischen 1978 und 1991 insgesamt 17 Jungen abschlachtete, ihre Gehirne trank, Teile ihrer Körper aß oder in Einmachgläsern neben dem Bier hortete.

Jeffrey Dahmers Realität war so abgründig, dass keine Fiktion an sie heranreichen kann. Allerdings kam Renners Spiel der Wahrheit furchterregend nah. Bigelow sah den unbekannten Schauspieler, der den bekanntesten Massenmörder Amerikas grauenhaft genau verkörperte, und engagierte ihn als Hauptdarsteller für ihr neues Filmprojekt "The Hurt Locker". Es wurde ein Meisterwerk, einer der besten, präzisesten, nervenzerfetzendsten Kriegsfilme aller Zeiten. 2010 erhielt er neun Oscar-Nominierungen. Eine ging an den Hauptdarsteller Jeremy Renner. Und das war's für ihn.

Er spielte in rascher Folge neben Tom Cruise in "Mission Impossible: Ghost Protocol", in "The Avengers", jetzt aktuell sieht man ihn als Matt Damons Nachfolger in "The Bourne Legacy".

Was die Leute so an Renner loben? Sein Spiel sei subtil, nuanciert, durch und durch glaubhaft, schreiben Kritiker. Was in Hollywood, wo die Fassaden aus Pappe und die Bomben aus Rauch sind, der größte Adelsschlag überhaupt ist. Und was in gewisser Weise unsere widersprüchliche Gegenwart beschreibt, in der die Menschen immer süchtiger werden nach Realität; nach gescripteter und gespielter, wohlgemerkt.

Renner gilt auch deshalb als idealer Actionstar, weil er so ziemlich alle erfolgreichen Prototypen der vergangenen Jahrzehnte in sich vereint: den abgründigen Gesetzeshüter der 70er (Charles Bronson, Clint Eastwood), die stumpfen Ballermänner der 80er (Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Chuck Norris) den - zufälligerweise perfekt durchtrainierten - Max Mustermann der Neunziger, den die Umstände zum Retter ganzer Städte machen (Harrison Ford, Bruce Willis, Mel Gibson.)

Auf Filmsets scheint Renner so etwas wie der Herbergsvater zu sein; der mit den Social Skills und der emotionalen Intelligenz, dessen Nähe und Gesellschaft alle suchen. Er geht gerne mal einen heben. Macht Frauen Old-school-Komplimente, ist ein großer Umarmer. Bekanntlich kann man sich nirgends lockerer machen als in der Gegenwart eines Menschen, der im Reinen mit sich ist.

Der freundliche Jeremy Renner macht im wahren Leben etwa das Gegenteil von dem, was er in Filmen macht: Er redet und antwortet sehr bereitwillig, gibt sich aber wirklich überhaupt keine Mühe, präzise zu sein. Nicht mal die hollywoodüblichen Worthülsen auf die zu erwartenden Reporterfragen hat er sich zurechtgelegt. Sein Name ist ursprünglich deutsch, yeah, aber woher sein Großvater genau eingewandert kam -no, das weiß er gar nicht. Die ziemlich spektakuläre Bourne-Szene, in der er mit einem Wolf kämpft, ist auch schnell besprochen: "Es war ein ganzes Rudel dort, ein paar echte Wölfe, teilweise auch Hunde, die wie Wölfe aussahen. Da war 'ne Menge, was abging auf dem Set, oh yeah, jede Menge . . ."

Nichts, was Renner sagt, ist falsch. Es ist nur auch nichts explizit richtig. Und doch hört man ihn gerne so reden. Man könnte jetzt einwenden: So soll's doch aber gar nicht sein, in einem Interview, da sollte es doch bitte schön Gedankenaustausch geben, Denkanstöße, Bekenntnisse; was macht der Star nach Drehschluss, was hat er aus der Rolle gelernt, wen liebt er wie privat? Und warum, noch mal, weiß jemand nicht, wo der eigene Großvater herkommt? Ach so - "Der war schon tot, als ich geboren wurde."

Man fühlt sich in Renners Gegenwart ein bisschen wie in dem sehr lustigen Film "This is Spinal Tap", einer, wenn man so will, Pseudo-Dokumentation aus den 80er-Jahren, in der es um die Tournee einer Heavy-Metal-Band geht. Man sieht darin vor allem, wie sich die grotesk frisierten Bandmitglieder länglich über die Marginalien ihres Alltags unterhalten; wie sich auf den Sandwiches im Backstagebereich idealerweise die Wurstscheibe über das Brot legen sollte, und ob man sich im nachtschwarzen Cover des neuen Albums spiegeln könne . . . Aus diesen Szenen, die laut moderner Erfolgsfilm-Dramaturgie eigentlich sofort rausgeschnitten gehörten, weil die Formel besagt, dass jede Szene zu irgendwas führen muss, genau aus diesen Szenen besteht "This is Spinal Tap", und irgendwie sind so auch die Interviews von Jeremy Renner. Alles fließt, behaglich und in Echtzeit so vorbei. Die Panik können ja dann die anderen machen.

Ach so; was die Frauen in den Foren nun über ihn sagen? Es gibt wenig, was sie nicht über ihn sagen. Sich nicht mit ihm vorstellen können. Seitenweise. In allen Altersstufen. Die sexuell aufgeladene Begeisterung: Die ist das Irrealste an dem Phänomen Jeremy Renner.

"Bye Daaaarlings", sagt er nun. Und die Frauen in der Hotelhalle leuchten ihn an. In Wien gibt's auch noch bisschen was zu bequatschen. Muss ja nicht viel sein.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2012/ihe
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