Bücher des britischen Premiers:Boris Johnson, eine theatralische Existenz

Boris Johnson Arrives In Downing Street To Take The Office Of Prime Minister

Weiß Selbstironie als Schutzschild zu benutzen: der neue britische Premierminister Boris Johnson.

(Foto: Getty Images)

Der neue britische Premier war auch Schriftsteller. Er schrieb über Winston Churchill - und eine Terrorismus-Satire über einen Abgeordneten mit wirrer Frisur.

Von Johan Schloemann

Die wahrscheinlich beste Rede hat er im Juli 2008 in Peking gehalten. Nach der Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele trat Boris Johnson mit der olympischen Flagge vor die versammelten britischen Sportsleute und drückte die Vorfreude darauf aus, dass die nächsten Spiele vier Jahre später in London stattfinden würden. Johnson lobte die Sportler, ließ kurz murmelnd seine Kenntnisse über den antiken Ringkampf einfließen, um dann zu einer überschwänglichen, aber ironisch grinsend vorgetragenen Suada anzuheben, des Inhalts, dass die Briten stolz sein könnten, den modernen Sport überhaupt erfunden zu haben: "And I say to the Chinese, and I say to the world: Ping pong is coming home!" Und: "Sport is coming home!"

Da kam alles zusammen, was man damals an diesem "Boris", selbst mit einem gewissen Kopfschütteln, bewunderte oder wenigstens sehr unterhaltsam fand: eine in der englischen Eliten-Schulung gelernte Mischung aus Schnoddrigkeit und Pathos, Humor und Übertreibung, Understatement und großen Worten; eine scheinbare ständige Selbstdistanz; und eine Art von kosmopolitischem Nationalismus, den Anglophile in aller Welt lange einer liebenswerten Exzentrik und Skurrilität zurechneten. Kurz vor jener Pingpong-Rede war Johnson Bürgermeister von London geworden - ein relativ unwichtiges, aber repräsentativ glanzvoll nutzbares Amt - und hatte seine Rede zum Wahlsieg mit den Worten beendet: "Let's get cracking tomorrow and let's have a drink tonight!" ("Lasst uns morgen loslegen und heute Abend einen trinken!")

Der Boris-Hype ist schal geworden wie der Sekt von damals am Tag danach. Mit seiner wie stets opportunistischen und sprunghaften Entscheidung, 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union zu werben - in dem Referendum, das uns sein ähnlich verantwortungsloser Eton- und Oxford-Kamerad David Cameron eingebrockt hatte -, hat Boris Johnson aus dem angeblich nur skurrilen Insel-Nationalismus eine Fratze gemacht.

Hinter der Lockerheit des putzigen Oberklassenprolls verbarg sich Revanchismus.

Sein Anschluss ans Brexit-Lager zeigte nämlich: Die ganze scheinbar putzige Empire- und Royalismus-Nostalgie der Konservativen, der englische Revanchismus, war nur die Rückseite, oder auch das versteckte Fundament, ihrer berühmten pragmatischen Weltläufigkeit und Lockerheit. Der ultraliberale Tory zeigte nun nicht mehr nur seine private Show als Oberklassenproll, die er in den Seilschaften-, Sauf- und Debattierklubs von Oxford eingeübt hatte, sondern handelte zum Schaden der Nation und Europas.

Zwar beschwor Johnson noch am Tag des Brexit-Referendums "unsere gemeinsame europäische Zivilisation" und sagte, die EU sei "in ihrer Zeit eine noble Idee gewesen", jetzt aber "nicht mehr das Richtige für dieses Land". Ähnlich versöhnlich gab er sich, als er am Dienstag von seiner Partei zum Premier gewählt wurde und sagte, er wolle die zwei "Instinkte" des Landes verbinden, Eigennutz und Kooperation.

Doch Boris Johnsons Beispiel beweist, insbesondere sein Weg zur Macht - fortan gewissermaßen als Gegenstück zum ganz anders sozialisierten Donald Trump: Klassische Bildung kann eloquent und geistreich machen, schützt aber auch nicht vor niederträchtigen Kampagnen und fehlgeleiteter Politik.

Als Kind habe er den anderen vorgeschlagen, sie könnten doch "lesen spielen"

Nun könnte man meinen, als Premierminister sei Boris Johnson doch vollends im Ernst des Lebens angekommen. Aber diese Vorstellung ist sehr unenglisch, jedenfalls untypisch für solch ein Produkt der englischen Elite. Zwar wird er in der Tat als Regierungschef seine Rolle zu spielen wissen, im public spirit, wie er am Dienstag sagte. Aber viel mehr als ein Spiel ist es eben auch nicht. Das legt jedenfalls seine frühere Laufbahn nahe: eine Parteikarriere, die immer Ausdruck einer literarischen, theatralischen Existenz war.

Johnson, so bequem, ja faul, gewinnend und charmant er wirkt, war stets ein obsessiver Leser und Autor. Als Kind soll er seinen Spielkameraden vorgeschlagen haben, sie könnten doch mit ihm "lesen spielen". Das letzte seiner vielen Bücher war eine sehr persönliche Biografie über Winston Churchill, "The Churchill Factor", 2014 erschienen.

Weitere Werke Johnsons: ein Buch über das römische Reich und eine Terrorismus-Satire.

Man findet in diesem Buch genug Stellen, die man als politische Selbsterhöhung durch den berühmten Kriegspremier mit der Zigarre deuten kann, selbst da, wo Johnson Bescheidenheit gegenüber dem großen Vorbild ausdrückt. Über seine frühesten Churchill-Kenntnisse schreibt er da: "Ich wusste, dass er lustig war, respektlos und selbst für die damalige Zeit politisch inkorrekt." Er, Johnson, sei es aber "nicht wert, die Schnürsenkel seiner Schuhe zu lösen". Als Politiker, Journalist, Historiker sei Churchill einschüchternd "für diejenigen von uns, die kläglich versucht haben, nur einiges von dem zu tun, was er gemacht hat". Allerdings schreibt Boris Johnson auch, der "Churchill-Faktor" bedeute für ihn, "dass ein Mensch den entscheidenden Unterschied bedeuten kann". Und er überlegt, was gewesen wäre, wenn Winston Churchill sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Großbritannien in die Anfänge der europäischen Einigung eingeschaltet hätte (was Churchill durchaus erwogen hat): "Wer weiß, wir könnten heute ein anderes Modell der EU haben - angelsächsischer und demokratischer."

Doch wichtiger noch als die politische Bewunderung für Churchill scheint bei Boris Johnson am Ende die Einfühlung in dessen künstlerisch-performative Lebensform zu sein. Churchill war schließlich, bevor er Hitler bezwang, als Opportunist, Draufgänger, Imperialist, genialer Sonderling bekannt. Eines von Churchills Hauptinteressen war eine bewegliche Sprachartistik, er bekam 1953 nicht den Friedensnobelpreis, sondern den Nobelpreis für Literatur. Der junge Churchill schrieb einmal: "Jeder Redner meint, was er sagt, in dem Moment, in dem er es sagt. Er mag oft inkonsistent sein - er ist niemals bewusst unaufrichtig." Und im selben Jahr wie Boris Johnsons Biografie erschien von dem Historiker Jonathan Rose das Buch "The Literary Churchill. Author, Reader, Actor". Das sind Charakterisierungen, die man genauso auf "den literarischen Johnson" anwenden könnte, wenn auch eher in einer zur Farce geratenen Fassung.

In jedem Fall zeigt Boris Johnsons publizistisches Werk auch die Flexibilität seiner Auffassungen. Seine Geschichte des antiken Rom von 2006, "The Dream of Rome", endet mit einem Bekenntnis zur "alten römischen Idee der Toleranz": Das Reich der Römer habe lange gehalten, "weil verschiedene Rassen und Religionen Gegenstand von Neugier und Respekt waren, nicht von Paranoia". Das Gegenteil hat Johnson zur Macht verholfen.

Doch als Schutzschild hat Boris Johnson ja die Selbstironie. Im Jahr 2005 hat er den Roman "Seventy-Two Virgins" publiziert, eine Terrorismus-Satire. Darin begegnet man einem Parlamentsabgeordneten namens Roger Barlow, der unverkennbare Ähnlichkeiten mit dem Autor aufweist: Er ist ein ultraliberaler Tory, fährt mit dem Fahrrad durch die Großstadt, hat eine wirre blonde Frisur und eine kaum weniger wirre politische Agenda. Seine attraktive Assistentin, die er sich von den Neocons aus Washington ausgeliehen hat, denkt über ihn, in Boris Johnsons Worten: "Was für eine Art Konservativer war dieser Mann überhaupt? Er war sooo eine Enttäuschung."

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