Süddeutsche Zeitung

Innenarchitektur:Willkommen daheim

Boris Johnson hat renovieren lassen. Und dabei viel zu viel Geld ausgegeben. Ein Blick ins Appartment

Von Gerhard Matzig

Aus dem Staunen kommt man nicht mehr heraus. Der britische Premier Boris Johnson sieht ja immer ein wenig so aus, als sei er Catweazel, der nach einem Topfschnitt mit der Heckenschere in die Steckdose gefasst hat und schließlich in einen Orkan geraten ist. Zu diesem dekonstruktiven Master-of-Disaster-Look mag der unstete Charakter des Politikers ja passen; aber doch nicht die Bilder, die nun von Johnsons ambitioniert umgestalteter, nebulös finanzierter und geradezu entzückender Dienstwohnung in 10 Downing Street herumgereicht werden.

Ein Interieur wie eine zum Wohnraum geronnene Explosion, die Daniel Libeskind und Wolf Prix ("Architektur muss brennen") gemeinsam verantworten - so etwas hätte man erwartet. Oder auch das übliche Missverständnis aus Bauhaus-Mobiliar, Mid-century-Retrostil und Pathologie-Ambiente. Oder einfach mal wieder den Lounge Chair von Eames, den es auf der Welt mittlerweile ziemlich genau acht Milliarden Mal gibt. Was man aber wirklich nicht erwartet hätte bei Johnsons daheim: hochflorige Britishness. Und, ja doch, eine gewisse samtige Eleganz.

Vielleicht ist Wohnen in einem Land, in dem es immer, immer regnet, doch eine Frage der Kultur. Und einerseits weiß man ja auch nicht so genau, ob man darauf wirklich Downing Street sieht.

Wurde Johnsons Schöner-wohnen-Aktion mit Parteispenden finanziert?

Andererseits ist die von der Innenarchitektin Lulu Lytle in Form eines Expo-Beitrags zum Ruhm britischer Tapezierkunst gestaltete Wohnung über dem Amtssitz, die von Fachmagazinen wie RTL.de soeben als "Protz-Wohnung" ("Tapeten aus Gold, pompöse Möbel, vergoldete Skulpturen"), hm, klassifiziert wurde, immerhin skandalös und teuer geraten. Wenigstens. Man spricht von rund 200 000 Pfund - das sind 230 000 Euro. Und es geht immer noch um eine Wohnungsrenovierung und Möbel, also nicht um den Neubau der Downing Street.

Passend fügt sich der Verdacht ins vergoldete Bild, wonach Johnsons Schöner-wohnen-Aktion mithilfe von Parteispenden finanziert wurde. Normalerweise darf die Renovierung jährlich (!) knapp 35 000 Euro aus Steuermitteln nicht übersteigen. Johnson sagt, er habe die Mehrkosten selbst bestritten. Nun ja.

Jeder, der schon mal in den absurden Genuss eines Kostenvoranschlags von einem Münchner Fliesenleger gekommen ist, weiß, dass sich Renovierungen und etwas gehobene Wohnqualität jenseits von Ikea nur noch der Bischof von Limburg oder Putin leisten können. Johnson spielt in einer Liga dazwischen, hat aber die bessere und sehr viel britischere Innenarchitektin. Und definitiv mehr Regen.

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