Damon Galgut:Nah an den Figuren

Verleihung des Booker Prize in London

Damon Galgut bei der Bekanntgabe des diesjährigen Booker Prize.

(Foto: dpa)

Damon Galgut hat für sein Buch "The Promise" den Booker Prize bekommen. Darin erzählt er die unglückliche Geschichte einer weißen Farmerfamilie.

Von Lothar Müller

Der Roman "The Promise", mit dem der südafrikanische Autor Damon Galgut den mit 50 000 Pfund dotierten Booker Prize gewonnen hat, hat ein seltsames Motto. Es besteht aus einer Anekdote des italienischen Regisseur Federico Fellini, in der Fellini eines Morgens einer Frau begegnet, die in einem Cadillac am Steuer sitzt, dabei einen Affen in den Armen hält, vor ihm stoppt, ihn fragt "Sind Sie Fellini?" und dann fortfährt: "Warum gibt es in allen Ihren Filmen nicht wenigstens eine normale Person?"

Damon Galgut, der 1963 in Pretoria geboren wurde, dort aufwuchs und inzwischen in Kapstadt lebt, muss Humor haben. Und ein gewisses Gespür für Kippfiguren, Monster, die sich für normal halten, und durchschnittliche, normale Familien, die Monströses ausbrüten. Ins Zentrum von "The Promise" hat er eine solche Familie gestellt. In vier große Teile ist die Geschichte der weißen Farmerfamilie Swart aufgeteilt, die durch die vergangenen vierzig Jahre geht, von den letzten Selbstbehauptungsversuchen des Apartheid-Systems bis nah heran an die unmittelbare Gegenwart, als 2018 Jacob Zuma bei seinem Rücktritt vom Präsidentenamt über den Bildschirm huscht.

Damon Galgut ist der dritte südafrikanische Booker-Preisträger. Er ist der Tradition, in die er eintritt, gewachsen

Das sieht übersichtlich aus, und zudem trägt jeder Teil ein Familienmitglied im Titel: Ma, Pa, Astrid, Anton. Aber da wird es schon kompliziert, und wenn die Booker-Jury sich durch "The Promise" an William Faulkner und Virginia Woolf erinnert sah, dann vielleicht wegen der Unruhe, die Galgut durch seine Erzähltechnik in die scheinbar übersichtliche Romanstruktur bringt. Zu ihr gehört, dass die Schlüsselfigur der Familie und nächste Verwandte der Erzählerstimme in der Namensliste nicht auftaucht. Ihre Sphäre ist das Dazwischen und die Unsichtbarkeit. Sie ist die jüngere Schwester der bereits verheirateten Astrid, heißt "Amor" und ist zu Beginn des Romans dreizehn Jahre alt. Gleich auf der ersten Seite erhält sie die Nachricht vom Tod der Mutter, und es wird nicht lange dauern, dann ist sie für immer mit dem Versprechen verknüpft, dass der Roman im Titel trägt. Ma, die Rachel hieß, hat auf dem Totenbett ihrem Mann Manie das Versprechen abgenommen, der Dienstbotin Salome, die sie bis zum Tod gepflegt hat, das baufällige Haus, in dem sie auf dem Farmgelände lebt, zu übereignen. Auch Pa, der Vater Manie, wird den Roman nicht überleben und sterben, ohne das Versprechen eingelöst zu haben. Wie Rachel, die Mutter, geht das Versprechen als ein unsichtbares Gespenst durch den Roman.

Damon Galgut ist der dritte südafrikanische Booker-Preisträger nach J.M. Coetzee und Nadine Gordimer. Und er ist der Tradition, in die er eintritt, gewachsen. Mit Coetzees "Disgrace" ("Schande") teilt er nicht nur den Stoff der untergründigen Gewalt, der Desillusionierungen und zerbröselnden Gewissheiten in der Post-Apartheid-Ära, die Innenansichten des in sich erschütterten, von Angst und Aggression geschüttelten weißen Südafrika. Wie Coetzee ist er im erzählenden Präsens nah an seinen Figuren. Manchmal spricht die Erzählerstimme die Figuren direkt an, manchmal scheint sie in die Leserschaft zu sprechen. Nie bescheidet sie sich mit dem Format, in dem der bürgerliche Familienroman großgeworden ist, dem literarischen Realismus. Durch die Augen notiert er die sprechenden Details der späten Apartheid-Welt, im Blick auf das Briefmarkenalbum eines Cousins, zu dessen Lieblingsstücken die Gedenkmarken für den 1966 ermordeten Hendrik Verwoerd zählen, einen der Architekten der Apartheidspolitik.

Aber ebenso wach wie die sichtbaren Zeichen und die hörbaren Untertöne im Gerede ihrer Umgebung nimmt Amor das Unsichtbare und Unhörbare wahr. Denn Galgut hat ihr eine Vorgeschichte mitgegeben, die sie hellsichtig gemacht haben muss. Als Kind ist sie fast einem Blitzeinschlag zum Opfer gefallen, der sie monatelang in ein Zwischenreich der Genesung zwang. Der Roman macht darüber kein symbolisches Aufhebens, aber die Religion und ihre Zersetzungsprodukte prägen die Familie Swart. Ma, Mutter Rachel, ist sehr zum Missfallen ihrer Verwandtschaft, in den letzten Lebensjahren zum jüdischen Glauben zurückgekehrt. Pa, Vater Manie, ist vom Alkoholismus zu einer neuen Kirche konvertiert, deren Gründer ein Fundraising-Virtuose ist. Überhaupt ist an Gurus kein Mangel. Aber so wenig aus der panischen Sinnsuche eine Satire wird, so wenig wird aus der unglücklichen Ehe von Tochter Astrid ein Stück TV-Comedy. Das liegt zum einen an Amor, deren Anwesenheit den gesamten Roman mit einem Aroma von Verzweiflung und Zerfallsgewissheit durchtränkt. Zum anderen daran, dass Damon Galgut seine Erzählerstimme immer wieder sehr sarkastische, coole, mitleidlose Töne anschlagen lässt.

Damon Galgut: Hat den Booker Prize verdient: Galguts Roman "The Promise".

Hat den Booker Prize verdient: Galguts Roman "The Promise".

Der Autor macht der Familie Swart nicht den Prozess, er entschuldigt sie nicht, er verzichtet darauf, sie zu Repräsentationsfiguren ihrer Klasse machen zu lassen. Er begnügt sich damit, über ihr Unglück den großen, dunklen Schatten der nicht eingehaltenen Versprechen in der Geschichte fallen zu lassen.

Am Ende liest Amor in dem Manuskript des autobiographischen Romans, das ihr haltloser Bruder Anton geschrieben hat. Sie sieht, obwohl sie wegen ihrer Arbeit in einem Krankenhaus zum Lesen kaum kommt, schnell, dass er an dem Roman gescheitert ist. Auch dieser Roman ist eines der uneingelösten Versprechen in "The Promise". Der Roman, den Damon Galgut geschrieben hat, löst seine Versprechen ein. Er hat den Booker Prize verdient.

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