Es gab mehrere Überraschungen bei der Verleihung des diesjährigen Booker-Preises in London - darunter den Regelbruch, dass zwei Bücher und damit zwei Autorinnen zugleich ausgezeichnet wurden. Eigentlich wollte die Jury nur einen Preis vergeben, aber auch nach fünfstündiger Beratung sei man sich, sagte Jurychef Peter Florence, nicht einig gewesen. Also wurde die Auszeichnung, und damit auch das Preisgeld von 50 000 Pfund, geteilt.
Zweimal hatte es zuvor in den 50 Jahren der Existenz des berühmten britischen Literaturpreises, der für den besten auf Englisch veröffentlichten Roman vergeben wird, zwei Sieger gegeben: Nadine Gordimer und Stanley Middleton teilten ihn sich 1974, Michael Ondaatje und Barry Unsworth 1992. Damit hatte Schluss sein sollen.
Aber es kam anders. Dass Margaret Atwood eine der beiden Siegerinnen sein würde, hatte eigentlich jeder erwartet. Die Kanadierin, mit 79 Jahren die älteste je ausgezeichnete Autorin, ist seit ihrem Bestseller "The Handmaid's Tale" eine Legende. Der späte Nachfolge-Roman "The Testaments" hatte bei seinem Erscheinen in diesem Herbst umgehend die Bestsellerlisten gestürmt. Den Booker-Preis hat sie schon einmal gewonnen: Im Jahr 2000 für "The Blind Assasin". Atwood gab sich humorvoll und nimmt es gelassen, dass Bernardine Evaristo ihr die Ehre streitig macht; sie giere nicht mehr nach Ruhm.
Evaristo, die erste schwarze Siegerin, wurde für den Roman "Girl, Woman, Other" geehrt, der die Geschichten von zwölf völlig unterschiedlichen, zumeist schwarzen Frauen erzählt. Die 60-Jährige hat acht Bücher veröffentlicht, schreibt aber auch Dramen, Gedichte, Essays und Texte für Rundfunk und Fernsehen. Evaristo ist in Großbritannien nicht nur für ihre literarische Arbeit bekannt, sondern auch für ihr politisches Engagement; sie hat einen Preis für schwarze Autoren ins Leben gerufen, außerdem eine Theatertruppe für schwarze Schauspielerinnen und Konferenzen für "black british writing".
Schwarze Frauen würden in der Literaturszene kaum wahrgenommen, sagte Evaristo nach der Preisverleihung in der BBC; sie hoffe, dass mit ihrem Booker-Preis nun der Bann gebrochen sei. In einem Text für den Guardian über ihren jüngsten Roman hatte sie geschrieben, Literatur "untersucht, bewertet, kontextualisiert unsere Gesellschaften und unsere subjektiven Blicke. Warum tauchen wir dann nicht auf in den Geschichten unserer Nation?"
Atwood und Evaristo bekamen die Auszeichnung, weil sie, wie die Jury urteilte, "ungemein engagierte Romane" geschrieben hätten, "sprachlich innovativ, abenteuerlich in vielerlei Hinsicht. Sie sprechen die Welt an, wie sie heute ist, geben uns tiefe Einblicke und erfinden Charaktere, die in uns nachklingen, vielleicht für Jahre". Beide Frauen bestritten in Interviews, dass sie "feministische Literatur" schrieben; Evaristo beharrte darauf, sie schreibe nicht "als Frauenrechtlerin, sondern über Frauen". Auch Atwood betonte, es gebe viele Spielarten von Feminismus, manche davon lehne sie ab.