Süddeutsche Zeitung

Bonner Bundeskunsthalle:Was bleibt, sind Bilder

Die Schau "Von Mossul nach Palmyra" wird von Archäologen kritisch gesehen, doch sie funktioniert.

Von Alexander Menden

"Fuck Isis" steht in schwarzer Krakelschrift unter einem Türsturz der Al-Nuri-Moschee in Mossul. Drumherum ist nicht mehr viel von dem Bauwerk übrig, das der Zengiden-Stadthalter und Kreuzfahrerschreck Nureddin im Jahr 1172 hier errichten ließ. Was einst als eine der prächtigsten Moscheen der Welt galt, ist nur noch ein Haufen Schutt, seit im Juni 2017 irakische Truppen eine Großoffensive gegen die in Mosul verschanzten Terroristen des sogenannten Islamischen Staates begannen. Doch noch während man sich in der Verwüstung umschaut, beginnen die eingefallenen Wände wieder emporzuwachsen. Die Decke schließt sich, die Kolonnaden wachsen wieder aus dem Boden. Die Moschee erstrahlt kurz in früherem Glanz.

Alles nur Illusion, natürlich. Der Besucher der Ausstellung "Von Mossul nach Palmyra", die in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen ist, erlebt genau das, was der Untertitel verspricht: "Eine virtuelle Reise durch das Weltkulturerbe". Genauer: Einen computergenerierten Blick auf einige jener Stätten, die Kriege und Bürgerkriege im Irak, in Syrien und Libyen seit Beginn des Jahrtausends vernichtet oder für Zivilisten unzugänglich gemacht haben. In drei Buchten kann man eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen und sich für Augenblicke in 3-D-Dioramen der Souk al-Zarb in Aleppo oder der Basilika von Leptis Magna in Libyen umsehen. Zuvor hat man auf Bildschirmen Animationen der Trümmerlandschaften betrachtet, die von diesen einst blühenden Kulturstätten übrig geblieben sind. Zeugen der Zerstörung berichten in aufgezeichneten Interviews von den Verlusten.

Für diese Rekonstruktionen zeichnet der Spieleentwickler Ubisoft verantwortlich. Die französische Firma ist für die bahnbrechend aufwendige architektonische Gestaltung der Computerspielserie "Assassin's Creed" bekannt. Das ganze basiert auf Daten, die von der Firma Iconem und der Unesco zur Verfügung gestellt wurden, auf Abertausenden Fotos, zum Teil von Drohnen, zum Teil von unerschrockenen Archäologen und Fotografen gemacht. Ziel ist es unter anderem, vom jetzigen, beklagenswerten Zustand des Baaltempels in Palmyra oder des zerfallenden severischen Ensembles in Leptis Magna ausgehend, mögliche Wege zu einer wirklichen Rekonstruktion aufzuzeigen.

Die Bonner Ausstellung behauptet nie, den tatsächlichen Besuch zu ersetzen

Die Frage, wie man mit den Gräueltaten umgeht, die der IS beispielsweise in Palmyra beging, wo Archäologen und syrische Soldaten grausam hingerichtet wurden, steht dabei ebenfalls im Raum: Eine erneute Nutzung als reines Touristenziel, sollte dies je wieder möglich sein, kann es letztlich nicht geben. Auch der Bonner Schau ist daran gelegen, die Menschenleben, welche die andauernden Konflikte gefordert haben, nicht als Fußnote, sondern als deren schlimmste Folgen zu benennen.

Natürlich kann eine solche virtuelle Erfahrung nicht einmal annähernd das Erlebnis vermitteln, diese Orte selbst aufgesucht zu haben. Die digitale Sonne mag noch so sehr auf die Säulen von Leptis Magna herab sengen, von ihrer Hitze kommt nichts beim Besucher an. Auch die Tauben, die durch die Kuppel der Kirche in Mossul flattern, vermitteln nie den Eindruck mit allen Sinnen spürbarer Wirklichkeit.

Doch gerade deshalb erscheint die Skepsis von Denkmalpflegern unbegründet, die eine "Disneyfizierung" der Archäologie fürchten. Die Bonner Ausstellung behauptet nie, den tatsächlichen Besuch zu ersetzen - selbst da nicht, wo, wie beim Souk von Aleppo, nur die ausgebrannte Hülle der Markthalle ohne jede rückblickende Rekonstruktion gezeigt wird. Im Gegenteil: Die Distanz zur Realität wird gerade dann besonders augenfällig, wenn hinter dem Schutt kurz das aufscheint, was unwiederbringlich verloren ist.

Man kann die virtuellen Rekonstruktionen als sozusagen minimalinvasive Maßnahmen betrachten. Einige Säulen, die nun pulverisiert sind, waren ja bereits umgestürzt, bevor sie durch Archäologen neu aufgerichtet wurden. Jetzt ergibt sich angesichts der umfassenden Zerstörung die Frage jeder Rekonstruktion: Welcher Zustand soll eigentlich - und gegebenenfalls - wiederhergestellt werden? Hier ist die digitale Variante naturgemäß sehr viel flexibler. Sie bietet gleichsam eine Spielwiese für diverse Alternativoptionen. Zugleich bringt sie einem großen Publikum zu Bewusstsein, dass der kulturelle Schaden eines Krieges weit über den materiellen Verlust alter Bausubstanz hinausgeht: Er verringert zugleich die greifbare Substanz unserer Verbindung in die Geschichte. Was bleibt, sind Bilder.

Von Mossul nach Palmyra. Bundeskunsthalle Bonn, bis 3. November. Bundeskunsthalle.de; Katalog 27,50 Euro.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2019
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