Süddeutsche Zeitung

"Bombshell" im Kino:Hauptsache Feministin?

  • Regisseur Jay Roach erzählt in "Bombshell" von sexuellen Übergriffen beim US-Nachrichtensender Fox News.
  • "Bombshell" hat ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit und wäscht eine fragwürdige Heldin rein.
  • Die Frage, die nach dem Film bleibt: Wenn der Regisseur Angst hat, sich an der aktuellen Zeitgeschichte die Finger zu verbrennen, warum thematisiert er sie dann?

Von Susan Vahabzadeh

Es wäre kunstfeindlich, dem Kino historisch akkurate Geschichten abzuverlangen - die Freiheit, mit der Vergangenheit rabiat umzugehen, hat Drehbücher schon um wunderschöne Wendungen bereichert. Das Ende von "Inglourious Basterds" beispielsweise, als Quentin Tarantino Adolf Hitler in einem Kino mittels Nitrofilm ins Jenseits beförderte; er kann eine ganze Liste verbotener Kinowerke herunterrattern, von denen er sich vorstellt, dass sie da explodiert sind. Wer nicht weiß, dass das nie passiert ist, müsste zurück in die Schule. Wie aber verhält es sich, wenn das Kino die aktuelle Zeitgeschichte verzerrt und verunstaltet? Das ist eben nicht ganz das Gleiche, als wenn man an der Vergangenheit herumschraubt.

Hollywood hat mit der Verarbeitung der Skandale im Vorfeld der "Me Too"-Debatte begonnen, und einer der ersten Beiträge kommt von Jay Roach, dem Regisseur von "Austin Powers" und "Meine Braut, ihre Eltern und ich". Es geht in "Bombshell - das Ende des Schweigens" um Roger Ailes, den Chef des amerikanischen Nachrichtensenders Fox News, der 2016 vom Verleger Rupert Murdoch, dem Fox News gehört, gefeuert wurde. Da war gerade bekannt geworden, dass nicht nur eine der Moderatorinnen, Gretchen Carlson, Ailes wegen sexueller Belästigung verklagt hatte - es gab weitere Anschuldigungen, unter anderem von Megyn Kelly, damals eine Starmoderatorin auf Fox News. Kurz zuvor war Kelly noch viel berühmter geworden, als sie es vorher schon war: Sie hatte in einem Interview den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump darauf angesprochen, dass er Frauen, die er nicht mag, öffentlich als "fette Schweine" und "widerliche Tiere" bezeichnet hatte, und er dankte es ihr damit, dass er hinterher bei CNN in die Kamera sagte, ihr sei "das Blut aus den Augen und woraus auch immer" gequollen.

Jay Roach erzählt nun von diesen Figuren, dem Rauswurf von Ailes, dem Ende von Carlsons Karriere und den Anfeindungen, die Megyn Kelly von Trump-Anhängern nach ihrem Interview ausgesetzt war. Nicole Kidman spielt Gretchen Carlson, und Charlize Theron führt als Megyn Kelly durch den Film, als wäre er eine Fernsehshow. Die beiden sehen so sehr wie die Originale aus, dass es am Sonntag einen Oscar für das beste Make-Up gab. Roger Ailes wird von John Lithgow verkörpert; Margot Robbie spielt keine echte Person, ihre religiös bewegte, süße, naive Kayla ist eine fiktive Sammelfigur für alle anderen Frauen, die Ailes demütigte und erniedrigte. Sie ist noch eine Anfängerin, folgt, obwohl evangelikalisch erzogen, der sexistischen Kleiderordnung und gerät ganz aus dem Häuschen, als der mächtige Boss sie zum ersten Mal in sein Büro rufen lässt. Beim zweiten Mal ist sie schon nicht mehr begeistert.

Lithgow spielt Ailes, der einst der PR-Berater von Richard Nixon war, halb diabolisch, halb bemitleidenswert. "Bombshell" ist manchmal richtig witzig, gut gespielt, und der ganze Look trifft ziemlich genau das, was einen als Durchschnittseuropäer so irritiert, wenn man sich Fox News anschaut: diese jungen Moderatorinnen, die alle ihre nackten Beine in die Kamera halten und irgendwie eigenartig angezogen sind - ein bisschen so, als wären sie unterwegs zu einer Cocktailparty, allerdings als Begleitung von Hugh Hefner, und auch nicht jetzt, sondern so ungefähr im Jahre 1985.

Statt den realen Fall als Vorbild für eine Fiktion zu verwenden, schafft Jay Roach ein Zerrbild

Das war nicht etwa aus Versehen oder aus Geschmacksverirrung so, es war immer Teil eines Plans: Fox News wurde gegründet, um eine bestimmte Klientel zu bedienen, die sich aus Feminismus nicht viel macht und sich dringend nach 1985 zurücksehnt, wenn nicht nach 1955. Im Film kommt aber eigentlich nie vor, was für eine Art von Projekt Fox News eigentlich ist. Hier zeigt sich das Problem von Roachs Film: Er versucht, jegliche Politik, also allen Kontext, aus seinem Film herauszuhalten - Fox News zeichnet er als normalen Nachrichtensender, bloß mit Belästigung, und Megyn Kelly als Vorkämpferin für Frauenrechte. Die Murdochs sind bei ihm keine politischen Drahtzieher, sondern Beobachter, die ganz irritiert aus der Ferne mitbekommen, dass Ailes - oh Schreck! - Mitarbeiterinnen belästigt hat.

"Bombshell" hat ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit, auf den zweiten Blick sieht man hier den filmischen Verwandten der gefakten Lebensmittel auf Werbefotos: Die mit Rasierschaum dekorierten Gipstorten und mit Haarspray fixierten Hamburger sehen appetitlich aus und sind dennoch ungenießbar. Gretchen Carlson ist eine konservative Journalistin, keine besonders kontroverse Figur. Aber Megyn Kelly löste bei Fox News immer wieder Proteststürme aus, weil ihr Rassismus vorgeworfen wurde. Im Film gibt es den Moment, als sie darauf besteht, der Weihnachtsmann sei definitiv weiß - so albern, dass es schon wieder komisch ist. Ein Ausschnitt aus der Sendung, als sie nahelegte, der von der Polizei in Ferguson erschossene, unbewaffnete Michael Brown sei sicherlich selbst an seiner Ermordung schuld gewesen, wäre nicht annähernd so lustig.

Warum hat man nicht einfach die ganze Geschichte fiktionalisiert?

Es ist verständlich, wenn sich Jay Roach nicht mit Rupert Murdochs Rechtsabteilung anlegen möchte, und wenn Megyn Kelly die Hauptfigur in seinem Film ist - dann muss sie aus dramaturgischen Gründen die Heldin sein, die sich dem widerlichen grapschenden Ailes entgegenstellt. Aber warum ist sie überhaupt die Heldin? Wenn Roach und sein Autor Charles Randolph die Konfrontation mit den realen Personen vermeiden wollten - warum haben sie dann nicht einfach die ganze Geschichte fiktionalisiert, statt durch Weglassen ein Zerrbild zu schaffen? Wenn man Angst hat, sich an der aktuellen Zeitgeschichte die Finger zu verbrennen, sollte man halt keine heißen Eisen anfassen.

Und "Bombshell" lässt viel weg. Star-Moderator Bill O'Reilly ging es ein Jahr später an den Kragen, und er kommt im Film zwar vor, auf seinen Fall verweist der Film aber nur kurz angebunden im Nachspann. Seit 2002 hatte Fox News Mitarbeiterinnen, die O'Reilly belästigt hatte, Millionenbeträge bezahlt. Ailes lebt nicht mehr, O'Reilly schon. Roach macht sich nicht die Mühe, die offensichtliche Systematik der Belästigung mit diesem Beispiel zu belegen. Warum?

Es mag schon sein, dass das moralische Gefälle in "Bombshell" nur funktioniert, wenn Jay Roach seine Heldin Megyn Kelly reinwäscht. Aber damit steckt der Film dann in einem größeren Dilemma. Wenn eine Korrektur des Charakters von Megyn Kelly nötig ist, heißt das dann, nur eine reingewaschene Megyn Kelly hätte es verdient, gegen sexuelle Übergriffe verteidigt zu werden? Das kann ja wohl nicht Roachs Ernst sein.

Bombshell, USA 2019 - Regie: Jay Roach. Buch: Charles Randolph. Kamera: Barry Ackroyd. Mit Charlize Theron, Nicole Kidman, Margot Robbie, John Lithgow, Kate McKinnon. Wild Bunch, 108 Min.

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SZ vom 12.02.2020/tmh
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