Ausstellung "Futura":Geburt eines Kunstwerks

Ausstellung "Futura": Dem Vergehen der Zeit kann man vor Bogomir Eckers "Tropfsteinmaschine" (1996-2496. Detail) zusehen. Der Stalagmit soll voraussichtlich im Jahr 2496 fertig sein.

Dem Vergehen der Zeit kann man vor Bogomir Eckers "Tropfsteinmaschine" (1996-2496. Detail) zusehen. Der Stalagmit soll voraussichtlich im Jahr 2496 fertig sein.

(Foto: Bogomir Ecker/VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Wer lange genug hinschaut, kann dem Tropfstein beim Wachsen zusehen: Die Hamburger Kunsthalle entdeckt die Langsamkeit.

Von Till Briegleb

Für diese Ausstellung braucht es Geduld. Nicht nur, weil das Kunstwerk, um das herum sie aufgebaut wurde, Vernissage erst im Jahr 2496 hat. Sondern weil es hier um Zeit geht. Und wenn es in der Kunst um Zeit geht, dann meint das selten Tempo. Vielmehr gibt es eine unausgesprochene Verabredung unter allen Kulturschaffenden, die sich mit der vierten Dimension befassen, dass dabei irgendein Statement gegen die gefühlte Hektik, Schnelligkeit und Ungeduld unserer Gegenwart herauskommen muss. Zeit in der Kunst, das ist meist das leicht didaktische Ansinnen der Künstlerinnen und Künstler, die Betrachter in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich befreit fühlen von schnöden Zwecken, nervösem Neid und Gelüsten, die nach ihrem Genuss sofort wieder ein quälendes Gefühl von Unbefriedigtheit wecken.

Auch "Futura", die Ausstellung in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, die sich der "Vermessung der Zeit" widmet, bemüht sich in den meisten ihrer Exponate, den Besucher im buddhistischen Sinne zur Ruhe kommen zu lassen. Mitkuratiert von Bogomir Ecker ist diese Konzeptschau entwickelt worden anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seiner "Tropfsteinmaschine".

Ecker und sein Freund Sigurd K. Meeske, ein Maschinenbauer, saßen Anfang der Achtzigerjahre regelmäßig in einer Düsseldorfer Küche zusammen, um eine originelle Idee zu finden für ein "Ding, was in seiner absoluten Nutzlosigkeit erst die wahre Schönheit entfalten" solle, am liebsten eine Maschine, die durch ihre Funktion ausschließt, "dass sie zum Missbrauch taugt". Für das "Heureka" sorgte nach vielen Sitzungen das Blubbern der Kaffeemaschine.

Übertragen in künstlerische Ewigkeitssehnsucht wurde aus dem kalkigen Kaffeewasser, das am Boden der Glaskanne mit jedem Gebrauch mehr Ablagerungen hinterlässt, jene "Tropfsteinmaschine", die mit dem Neubau von Oswald Mathias Ungers' Galerie der Gegenwart in Hamburg fest in das Gebäude installiert wurde. Dort leitet sie seit 1996 Regenwasser vom Dach durch das Haus in ein Biotop mit immergrünen Pflanzen im Foyer, von wo es tröpfchenweise in den Keller fällt mit dem Ziel, dort in 500 Jahren einen 5 Zentimeter hohen Stalagmiten als Zeitkunstwerk zu vollenden. Deswegen ist erst 2496 Vernissage von Eckers genialer Kunstverkalkung. Aber so lange kann ja keiner warten. Und deswegen wird jetzt ein erstes Jubiläum noch zu Lebzeiten des Künstlers (71) und seiner interessierten Zeitgenossen mit dieser Ausstellung begangen.

Die Maschine muss 500 Jahre lang gewartet werden

Wände voller Material aus dem Entstehungsprozess laden zunächst ein zu einer Zeitreise in die Vergangenheit. Höhlen, historische Forschungsapparate, verwandte Kunstwerke von Giuseppe Penone, Bruce Nauman oder Joseph Beuys, Vergleiche zu musikalischen Endloswerken von John Cage oder Ideen des Raumzeitklangs bei Iannis Xenakis bilden ein aufgefächertes Notizbuch (das ganz undidaktisch leider nirgends erklärt wird). Auch Eckers Aluminiumscheiben finden sich dort, die Aliens, sollten sie auf der verwüsteten Erde landen werden und kein Deutsch können, bildlich erklären, wie die Tropfsteinmaschine in der Hamburger Kunsthalle gewartet werden muss. Und von diesem Hebammenkurs für ein Kunstwerk, das noch wachsen soll, wenn wir alle längst tot sind, verzweigt sich die Ausstellung in eine große Vielfalt der Langsamkeit mit Werken von 32 lebenden und toten Geistesverwandten.

Ausstellung "Futura": Die unterirdische Langsamkeit faszinierte auch Caspar David Friedrich (1774-1840), der "Skelette in der Tropfsteinhöhle" (um 1826) zeichnete.

Die unterirdische Langsamkeit faszinierte auch Caspar David Friedrich (1774-1840), der "Skelette in der Tropfsteinhöhle" (um 1826) zeichnete.

(Foto: Christoph Irrgang/Hamburger Kunsthalle/bpk)

In Filmraum befreunden sich die zur Entschleunigung Aufgeforderten etwa mit einer schön gemusterten Tigerschnecke, die durch einen Elektrokasten kriecht. Ganz anders als in gängigen Natur-Dokus, die heute im Rhythmus von Musikvideos geschnitten sind, entzerren Echtgeschwindigkeit und Großaufnahme in dem Video von Nina Canell und Robin Watkins die Aufmerksamkeit und lenken sie auf die Schönheit des Bauchfüßers. Edith Dekyndt hat 38 Minuten und 15 Sekunden die Kamera auf einen Eisblock gehalten, der am isländischen Breidarmerkurfjara Strand durch Brandungswellen urlangsam bizarre Ausformungen erhält. Und für Axel Loytveds "Sternenhimmel" soll man sich auf den Fußboden legen und einen löchrigen Pappkarton über den Kopf ziehen, um so die Distanz von Lichtjahren beim Geruch von Bohnerwachs vorstellbar zu machen.

Die Pfützen machen ihr eigenes Wetter

Bewegungen als verkörperte Zeit, in denen das nie anzuhaltende Fließen aus der Vergangenheit in die Zukunft erlebbar wird, zeigen einige physikalische Skulpturen. Unterschiedlich schnell rotierende Papierbälle im Luftstrom von sechs Ventilatoren schwebend (von Attila Csörgő) entwickeln die meditative Kraft eines Zimmerspringbrunnens. Nina Canells Schüssel mit feinstem Wasserdampf, der langsam die Konsistenz eines aufgeschnittenen Zementsacks daneben verändert, bedient sich für die kontemplative Verwandlung allerdings fälschlich des Titels "Perpetuum Mobile", also der ewig ohne Energiezufuhr wirkenden Maschine. Und die grünen "Trostpfützen" aus Ton von Katinka Bock verdunsten kalkhaltiges Leitungswasser als Tropfsteinmaschine im Zeitraffermodus - gemahnen dabei aber eher an das ständige Pfützen-Wetter vor den Fenstern der Ausstellung, für das man wahrlich Trost braucht.

Wo dann die Beschäftigung mit Zeit tatsächlich mal kürzeste Erscheinungen als Symbol benutzt, wie bei der Blitzmaschine aus zwei Regenschirmen, die Roman Signer konstruiert hat, da wird sie in der Präsentation als Foto auch wieder in Dauer verwandelt. Ebenso wie die ausgestellten Reste von Meteoriten, die hier neben versteinerten Zähnen ausgestorbener Mammuts für die ganz großen Zeitbögen stehen. Und dabei natürlich auch die Frage stellen, warum diese unterhaltsame Wunderkammer mit originellen Zeitkunstwerken eigentlich "Futura", die Zukünfte, heißt, wenn die meisten Exponate sich mit der Vergangenheit und der Gegenwart befassen?

Jedenfalls verliert man bald das Gefühl dafür, wie viel Zeit man in der Ausstellung verbringt. Und da kommt dann doch wieder Tempo und Ungeduld ins Spiel. Denn die zeittypische Attraktion dieses Parcours ist seine Fülle und Abwechslung. Sehr viele Kunstwerke, die zur Verlangsamung mahnen, fördern irgendwann die Nervosität. Es wartet ja noch so viel Weiteres. Und dann wird die Geduld doch wieder auf die Probe gestellt. So kommt wohl niemand zur Ruhe. Aber das ist auch recht. So ist eben die Zeit.

Futura in der Kunsthalle Hamburg bis 10. April 2022. Der Ausstellungskatalog kostet 35 Euro.

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