Bob Dylan zum 70. Geburtstag:Alles ist gut

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Manche sagen über Bob Dylan, er selbst sei der schlechteste Interpret seiner Songs. Der Schriftsteller und Sänger der Band "Erdmöbel", Markus Berges, erklärt, warum das Unsinn ist.

Man wird ein Geist, denke ich jetzt, wenn man eine solche Legende ist. Ein Geist zu Lebzeiten. Mein Geist, Bob Dylan, steht in der Ecke und flackert wie eine kaputte Neonröhre. Ich kann ihn immer nur aus den Augenwinkeln sehen, wie Javier Bardem in "Biutiful", diesem Film letztens. Javier Bardem hat im Film etliche Menschen auf dem Gewissen und deren Geister hängen dann unter der Decke in seiner Wohnung - aber sehen kann er sie nur, wenn er nicht so genau hinsieht. So ähnlich geistert Dylan. Heute Abend hier flackert er vielleicht besonders. Ich kann nicht hinsehen, aber ich stelle mir vor, wie er hin und her blitzt zwischen seiner wilden Anfängerhochfrisur in Schwarzweiß und müden künftigen Nobelpreisaugen unter einem großen braunen Stetson. Dazwischen schiebt sich alles, an was ich denke.

Klug und renitent, von Journaille und Publikum immer unerwartet: Bob Dylan, hier bei einem Auftritt in San Francisco, 1976. (Foto: AP)

Das ist der mächtigste Geist in meiner Neonröhre: Wie Bob Dylan beim Songschreiben gezeigt wird, im größten Tourfilm, den ich kenne: "Don't Look Back" von D.A. Pennebaker über die Englandtournee im Jahre 1965, das war ein Jahr vor meiner Geburt. Darin setzt sich Dylan sich an eine schwarze Schreibmaschine und hackt drauflos, klack, klack, hackt rein, was aus ihm raus muss. So schreibt er also seine Songs, klack, klack, als wären sie nur Texte. Und nicht mal allein ist er dabei. Die Kamera, und noch andere Leute sind im Raum. Er schreibt einfach. Dieser ganze Film zeigt ihn so brennend. In "Don't Look Back" hat mein Geist, Bob Dylan, immer etwas zu sagen. Etwas Kluges und Renitentes, von Journaille und Publikum immer Unerwartetes.

Und wenn er sich hinsetzt und schreibt - klack, klack, klack - wird nicht als Witz wie in einem Jerry Lewis-Film eine gute Musik daraus, sondern wirklich. Wirklich. Tatsächlich haben viele seiner Songs ja so was in die Maschine Gehacktes, so eine Scheißdrauf-Gedankengeschwindigkeit, die einfach frei wirkt, vollkommen unbemüht, mit lauter Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Reimen, die allem immer wieder die Schwere nehmen: trag keine Sandalen / versuch Skandale zu vermeiden / (...) / die Pumpe funktioniert nicht, weil die Vandalen den Griff geklaut haben". Im Original: "Don't wear sandals / Try to avoid scandals / (...) / The pump doesn't work / Cause the vandals took the handles". Was für ein grandioser Quatsch. Wie das klingt. Und Dylan scheint's einfach im Kopf zu haben, muss es irgendwie gar nicht herstellen, nur tippen, die Worte als Lied wohl gar nicht erst ausprobieren, in den Mund nehmen.

Auch in seiner Autobiographie gibt es dazu eine interessante, aber erschreckende Stelle: Dylan erzählt, wie er schreibblockadengeschüttelt dem U2-Sänger Bono Vox neue Songs präsentiert. Das heißt für ihn offenbar nicht, sie ihm vorzusingen, sondern lediglich, ihm die Texte zu zeigen. Interessant. Erschreckend fand ich daran, dass er allen Ernstes Bono Vox um Rat bittet.

Fast immer haben mich die Hunderte Dylans mehr interessiert als seine tausend Texte. Zu Unrecht wie ich jetzt feststellen musste. Ich habe mich nämlich damit abgemüht, anlässlich seines Geburtstags ein paar Songs zu übersetzen. Ich meine damit, auf Deutsch singbar zu machen.

An Dylan scheitere ich

Erst habe ich es mit Lieblingssongs versucht: "Simple Twist Of Fate", "Mr. Tambourine Man". Dann Sachen, die ich noch nicht so lange kenne, das berühmte "Desolation Row" zum Beispiel. Zum Schluss versuchte ich Songs, die ich zuvor übersehen hatte, weil sie mich immer gelangweilt hatten, immer gleiche Akkorde und Epen mit hundert Strophen und ich mit meinem Schulenglisch. Ich bin trotzdem eigentlich gut darin, Songs zu übersetzen. Mit Erdmöbel habe wir eine ganze Übersetzungsplatte gemacht. Nach zwei Tagen musste ich einsehen: An Dylan scheitere ich.

Vielleicht hackt er seine Songs ja wirklich in die Maschine, muss nicht ausprobieren, wie sie klingen. Aber sie klingen. Und zwar: Inhalt und Form sind so eng verwoben, dass da nicht ein Text, sondern schon Musik auf dem Textblatt steht. Musik in fast immer einfachen, manchmal unreinen Reimen, aber doch - wie etwa in "It's Alright, Ma (I'm Only Bleeding)" - in so konsequenten formalen Bögen, dass sie den Übersetzer verzweifeln lassen:

"Darkness at the break of noon / Shadows even the silver spoon / The handmade blade, the child's balloon / Eclipses both the sun and moon / To understand you know too soon / There is no sense in trying". Und die nächsten Strophen enden mit dying, crying, sighing, dann kommt hatred, sacred, make it und so weiter. Diese Reime sind dreiviertel der Musik, man kann sie unmöglich weglassen. Sieben Viertel sind das Metrum. Und mehr als komplett machen sie die verdammten Inhalte.

"One too many mornings" ist "ein Morgen mehr als nötig". Immerhin stimmt so das Metrum halbwegs. "One too many mornings" ist "ein Morgen mehr als nötig"? Nicht total daneben, finde ich. Aber fast, meint mein Geist, Bob Dylan. Manchmal ist er weg, der Geist. Das ist meistens, wenn Dylan singt.

Meinte heute noch jemand: Man sage ja, er selbst sei der schlechteste Interpret seiner Songs. Ich finde, dass das Unsinn ist. Oft, wenn er singt, verschwinden die Bilder. Oft, wenn er singt, hört für mich das Geistern auf. Seine Stimme, sein Timing erzeugen eine Gegenwart, die ein halbes Jahrhundert überbrückt. Der Literaturnobelpreis würde ihm sicher nicht schaden, aber einen Texter macht er nicht aus ihm. Zur Not singt Bob Dylan ein Traditional, und zwar eins mit ziemlich dürftigem Text: "I got a bird that whistles / I got a bird that sings / I got a bird that whistles / I got a bird that sings / But I ain' a-got Corrina / Life don't mean a thing". "Corrina, Corrina", so heißt dieses Traditional.

Ich hörte den Song zum ersten Mal vor gut einem Jahr, im Zufallsmodus meines iPods, nachts, betrunken, auf dem Weg nach Hause. Und plötzlich war ich frei und glücklich, allein auf meinem Fahrrad, mit diesem auf ewig in eine Aufnahme gefrorenen Liebeskummer der ganzen Welt. Ginsberg, Whitman, Kerouac, Rimbaud, Dylan Thomas, Genesis und Offenbarung, Bert Brecht, Lewis Carroll, Baudelaire, Edgar Alan Poe und Shakespeare, selbst Bob Dylan - alle waren still.

Der Autor ist Sänger und Songwriter der Band "Ermöbel" und Schriftsteller.

© SZ vom 24.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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