Bob Dylan:"Sucht euch was Gescheites!"

Bob Dylan hat plötzlich Zeit für ein Treffen. Er redet über das Malen, lästert über Kritiker, verachtet das Musikgeschäft. Und bei Fragen nach seinem Privatleben schaut er in die halbnahe Ferne und verstummt.

Alan Jackson

Odense in Dänemark und das nicht ganz so große Grandhotel, das Dylan für zwei Tage Heimat fern der Heimat sein wird. Vier Tage nach seinem 67. Geburtstag ist er aus Reykjavik gekommen und steht noch am Anfang einer langwierigen Tournee, die ihn bis Mitte Juli durch Skandinavien, die baltischen Staaten, Österreich, Italien, Frankreich, Andorra, Spanien und Portugal führen wird.

Bob Dylan: Und plötzlich ist er in Gedanken ganz weit weg: Musikerlegende Bob Dylan.

Und plötzlich ist er in Gedanken ganz weit weg: Musikerlegende Bob Dylan.

(Foto: Foto: AP)

Ihn ärgert, dass andere diesem Terminplan (er spielt regelmäßig bis zu hundert Konzerte pro Jahr, manchmal noch beträchtlich mehr) den Namen "Never Ending Tour" gegeben haben. Für ihn heißt das schlicht: "Ich verdiene mein Geld, indem ich mein Gewerbe ausübe."

Bis ich die zugesagte Audienz bei dem legendären Sänger und Songschreiber erhalte, dessen Bilder jetzt in der Londoner Halcyon Gallery ausgestellt werden, sind zwei Schritte notwendig.

Zunächst bringt mich sein Tournee-Manager aus der Hotelhalle in einen abgedunkelten, kaum möblierten Konferenzraum, in dem eine Frau mit orangefarbenen Haaren brettsteif dasitzt und einen Roman liest.

"Wenn Sie hier bitte warten", setzt er an und verschwindet dann, am Ohr den Clip fürs Handy. Unbetreut, wie ich bin, mache ich mich der Frau bekannt, doch die lächelt nur rätselhaft und liest weiter in ihrem Buch.

Wer ist sie? Wer war sie? Ich weiß es bis heute nicht.

Es vergehen einige Minuten, bis der Betreuer wiederkommt. Er führt mich eine Treppe hoch und bringt mich an eine Tür, die etwas offen steht.

Als ich näher komme, wird sie von Dylan ganz geöffnet, der mich mit einem weichen Händedruck und einem Schwall Höflichkeiten begrüßt: "Was hast du seither getrieben?" (Ich habe ihn zwei Mal interviewt, 1997 und 2001) "Was macht das Leben?" und (offenbar ist das sein Schlafzimmer, die Vorhänge sind alle zugezogen) "Ist es dir zu dunkel?"

Während sich meine Augen an die vorzeitige Dämmerung gewöhnen, notiere ich in Gedanken: Stiefel, Jeans und ein weites Sweatshirt, dessen Ärmel er bis über den Ellbogen zurückgeschoben hat.

Das berühmte Gesicht faltig und blass, gleichzeitig warm und zum Lächeln bereit. Während wir uns über Eck zusammensetzen, drückt er die Fingerspitzen in seine graumelierten Locken und massiert sich heftig die Kopfhaut, als wenn er dadurch seine Gedanken konzentrieren könne.

Ich lege das Buch, das ich mitgebracht habe, auf den niedrigen Tisch zwischen uns. "He, he, he!", kichert Dylan und greift danach. "Fühlt sich gut an". Er hält ein druckfrisches Exemplar der "Drawn Blank Series" in der Hand, das die Halcyon Gallery zur gleichnamigen Ausstellung in der Bruton Street in Mayfair herausgebracht hat.

Wird er sich die Ausstellung anschauen? "Weiß nich'", sagt er. Er scheint völlig gebannt vom Umschlag des Katalogs. Die Stimme ist das vertraute Krächzen, das eine Million Nachahmer inspiriert hat. "Ich hab' doch all diese Auftritte. Vielleicht geht es gar nicht. Ich würde gerne. Mal sehen."

Der umwegige Prozess, der schließlich zur Ausstellung in London führte, begann vor beinah zwanzig Jahren, als ihn ein Lektor vom Verlag Random House ansprach.

"Sie hatten irgendwo ein paar Zeichnungen gesehen und fragten mich, ob ich ein Buch draus machen wollte. Gut, warum nicht? Weiter gab es keine Verabredung. ,Sie machen einfach, was Sie grade machen. Egal, welcher Stil, welche Richtung. Es kann hingezittert sein, auch aufs Blatt geschlenzt, egal.' Dann gaben sie mir 'n Malblock, ich nahm ihn mit und brachte ihn nach drei Jahren wieder zurück."

Das Ergebnis erschien 1994 unter dem Kurztitel "Drawn Blank". Einige Bilder waren spontan auf der Tournee entstanden, andere geplant im Studio nach Modell ("Wer immer grade Lust hatte") und mit Beleuchtung.

Hm, ich brauche mehr Stoff für meine Geschichte. Also: Was geschah in diesen drei Jahren? "Das Übliche", sagt Dylan achselzuckend. Er verharrt mit gefalteten Händen in der nach vorn gekrümmten Haltung, die er während unseres Gesprächs kaum aufgeben wird.

"Ich versuch', so einfach wie möglich zu leben und hab' nur gezeichnet, was mir in den Sinn kam, wann immer ich g'rad' Lust hatte. Es sollte möglichst kunstlos sein und möglichst wenig selbstbezogen und einen Panoramablick auf die Welt bieten, wie ich sie sah."

Es ist ein Werk, das oft kontemplativ, manchmal übersprudelnd, aber technisch gelungen und interessant ist. Es zeigt Bahnhöfe, Restaurants, Werften, Barhocker, Dandys und Fahrer in Uniform, wie er sie in New Orleans oder New York, in Stockholm oder South Dakota gesehen hat. Und Frauen. Dylan, so viel ist sicher, mag Frauen.

"Sie müssen nicht unbedingt gleichzeitig da gewesen sein", bemerkt er rasch und zeigt, als er beim Durchblättern auf das Gemälde "Zwei Schwestern" stößt, auf zwei hingelagerte Modelle, eins angezogen, eins bis auf den BH nackt. "Sie haben getrennt Modell gelegen: Ich hab' sie hinterher zusammengefügt."

Lesen Sie auf Seite 2, wie der Musiker Dylan zur Kunst kam.

"Sucht euch was Gescheites!"

In seiner eigenen Familie gibt es offenbar wenig, was auf dieses talentierte Auge gedeutet hätte. "Meine Großmutter mütterlicherseits hat sich nicht die Karten gelegt, sondern solche kleinen Stillleben gemalt, aber ich würde jetzt nicht behaupten, dass das einen Einfluss auf meine Sachen hatte."

Bob Dylan: Nicht nur als Musiker begabt: Seit dem 14. Juni stellt Bob Dylan in der Halcyon Gallery in London seine Zeichnungen aus.

Nicht nur als Musiker begabt: Seit dem 14. Juni stellt Bob Dylan in der Halcyon Gallery in London seine Zeichnungen aus.

(Foto: Foto: AFP)

Kunst gab es bei ihm in der Schule nicht, und soweit er sich erinnert, gab es in den beiden Städten in Minnesota, in denen er aufgewachsen ist (erst Duluth, dann Hibbing) auch keine Museen.

"Ich war schon in der Pubertät, als mir in der Schulbibliothek Bücher mit Gemälden auffielen - Fresken oder das Werk von Michelangelo, so Sachen. Und das, was mich dann tatsächlich beeinflusst hat - Matisse, Derain, Monet, Gauguin - hab ich erst später wahrgenommen, als ich schon Mitte zwanzig war."

Inzwischen war Dylan, der Studienabbrecher und kommende Folkmusiker, nach New York gezogen, wo er bald das Metropolitan Museum of Art entdeckte. "Das war damals überwältigend für mich, allein die Unermesslichkeit, die unendliche Vielfalt, die da ausgestellt war. Die erste Ausstellung, die ich dort sah, waren Bilder von Gauguin. Ich hätte vor jedem einzelnen so lange stehen können, wie ich sonst im Kino saß, ohne je müde zu werden. Ich verlor jedes Zeitgefühl. Es war faszinierend."

Als seine musikalische Karriere richtig vorankam, probierte er es selber mit dem Zeichnen. "Meistens, wenn ich im Zug saß oder in einem Café, und nur, um die Welt um mich herum zu begreifen. Ich stellte fest, dass mich das entspannte. Ich habe einiges behalten, anderes nicht."

Skizzen, die unter diesen Umständen und in diesem Geist entstanden waren, fielen den Leuten bei Random House auf, die ihm dann den Auftrag gaben. Als das Buch herauskam, traf es auf wenig Zustimmung. "Die Kritiker hatten keine Lust, es zu besprechen. Der Verleger sagte, dass er ihnen nicht ausreden konnte, dass hier wieder so ein Sänger herumpfuschte.

Sprüche wie 'David Bowie, Joni Mitchell, Paul McCartney ... malen doch auch alle heute.' Der Kunstmarkt nimmt niemanden ernst, der singt, hieß es, aber gut, störte mich nicht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass irgendwas Wahnsinniges passiert. Die Zeichnungen sind ja nicht revolutionär. Ihretwegen würde niemand sein Leben ändern."

Und dann kam Jahre später die Anfrage vom Städtischen Museum in Chemnitz. Die Direktorin Ingrid Mössinger, ein Fan seines Albums "Bringing It All Back Home", konnte sich vorstellen, dass jemand, der so geschickt wie Dylan mit metaphorischer und abstrakter Sprache umging, vielleicht auch malte oder zeichnete. Sie recherchierte und entdeckte das Buch "Drawn Blank", in dessen Vorwort Dylan die Hoffnung äußerte, das Skizzenbuch "eines Tages vollenden" zu können. Genau dazu ermunterte sie ihn.

Um aus den Zeichnungen die Gemälde zu machen, die jetzt in London gezeigt werden, ließ er sie digital scannen, vergrößern und dann zur Überarbeitung auf schweres Papier übertragen. Dylan experimentierte mit verschiedenen Farben, die er auf die einzelnen Motive auftrug. "Und dabei wurde das Licht umgekippt. Als ich die unterschiedlichen Farben auftrug, redete mich jedes Bild in einer anderen Sprache an."

Es fehlt nicht an Versuchen, ihn festzunageln und Einflüsse aufzuzählen. Als ich darauf jetzt zu sprechen komme, missversteht Dylan das als Andeutung, dass seine Arbeit ein Pastiche sei oder irgendwie epigonal.

"Ich habe keine Kunstakademie besucht, wo man lernt, etwas im Stil von Degas oder Van Gogh zu malen oder Leonardo da Vinci zu kopieren!", schnaubt er heftig. "Mir fehlt das Geschick, etwas Note für Note zu kopieren. Einfluss von wem? Wenn ich die Gabe hätte, so zu malen wie einer von diesen Burschen, dann würde ich die Ähnlichkeit vielleicht sehen. Aber ich sehe sie nicht. Wenn es eine gibt, dann allenfalls zufällig, instinktiv."

Ein Kritiker würde nichts anderes sagen. Aber dass seine Bilder analysiert werden, das ist ihm offenbar genauso unangenehm wie bei seinen Songs.

Als wir uns das letzte Mal trafen, hat er dazu gesagt: "Diese Bob-Dylan-Kenner! Ich glaube nicht, dass die auch nur einen blassen Schimmer davon haben, wer ich bin oder was ich will. Wie können die bloß so viel Zeit damit verschwenden, über wen - über mich? - nachzugrübeln? Sucht euch was Gescheites!"

Ähnlich ungeduldig wird er, wenn die Kritiker die verschiedensten Gefühle entdecken, die seinen Gemälden angeblich zu Grunde liegen - Anonymität, Vergänglichkeit, Heimatlosigkeit, sogar Einsamkeit. Er greift wieder zu dem Katalog.

"Schauen wir doch einfach mal rein." Die Seiten öffnen sich bei der "Frau im Red Lion Pub", die ein Kleid in lebhaftem Gelb trägt. "Siehst du da Einsamkeit? Oder bei dem hier?" Es zeigt auf "Sechs Frauen". "Ich nicht. Und das ist eine pastorale Szene." Er meint "Sonntag Nachmittag". "Was soll da heimatlos, was vergänglich, was einsam sein? Es ist mir ein Rätsel, wie jemand so was sagen oder denken kann."

Und wie findet er den Gedanken, dass er sich, wenn er verschiedene Bilder mit Fenstern und Türen einrahmt, selber als ewiger Außenseiter offenbart, den sein Name und Rang zwingen, die Welt zu beobachten, statt mit ihr Verbindung zu halten?

Dylan rollt die Augen. "Ich bin einfach nur nicht glücklich, wenn das Ende endlos ist" - er meint die Ränder des Bildes - "und drum male ich da ein Fenster hin oder dort einen Block. Für mich sieht es einfach nur besser aus."

Wäre ihm eine rein gefühlsmäßige, instinktive Reaktion auf seine Bilder lieber, als wenn man nach Themen und Gedanken sucht? "Wenn es dem Auge des Betrachters gefällt... Mehr als das ist da nicht, sage ich jetzt mal. Oder auch wenn es das Auge abstößt. Mir genauso recht."

Die beiden Male, die wir uns bisher getroffen haben, hat Dylan seine Verachtung für die Vollständigkeitsfanatiker geäußert, die jedes Fitzelchen, das er je geschrieben hat, sehen wollen oder unbedingt jede schiefgegangene Aufnahme aus dem Studio hören wollen.

Mit diesem Hintergedanken frage ich ihn, ob es ihm schwergefallen sei, jedes der Gemälde aus der "Drawn Blank Series" zu signieren. "Ja!", ruft er und lacht. "Ich hab mich schließlich dran gewöhnt, aber doch, es war nicht leicht."

Und hat er vielleicht vorher seine Unterschrift geübt? "Hab' ich, denn es ist gar nicht so einfach, sie hinzukriegen. Aber dann denkst du dir: 'Ach, leck mich doch...' und du schreibst einfach, als wär's ein Scheck oder so."

Nein, er hat kein Lieblingsbild in dieser Serie. "Das ist wie mit den frühen Songs... Als sie in den sechziger Jahren 'rauskamen, hatten wir uns schon weit von der Studioversion entfernt und sagten: 'Nein, bringt das nicht raus. Wir spielen es jetzt ganz anders.'

Mit der Kunst ist es nicht anders. Ich denke mir dann: 'Das und das hättest du vielleicht besser hinkriegen können.' Am Ende aber wird man einfach die Finger davon lassen müssen und hoffen, dass man es beim nächsten Mal besser macht."

Lesen Sie auf Seite 3, was Napoleon und Angelina Joli gemeinsam haben.

"Sucht euch was Gescheites!"

Als ich ihn frage, ob er die Kunstszene lieber mag als die, die er sonst gewohnt ist, grinst Dylan und zieht ein Gesicht, als würde er Abscheu zeigen. "Die Musikwelt besteht aus einem Haufen heuchlerischem Müll. Seit ich diese ,Erinnerungen' - er meint seine "Chronicles", die 2004 herauskamen - veröffentlicht habe, weiß ich, dass die Buchmenschen längst nicht so krank sind. Und die Kunstwelt? Viel weiß ich ja nicht, aber doch, ja, ich würde sagen, die Leute sind ehrlich, direkt und halten, was sie versprechen. Im Wesentlichen sind sie, wie sie sich geben. Sie machen dir nichts vor. Da ich mein Leben größtenteils in der Musikwelt verbracht habe" - er lacht wieder - "kann ich dir sagen, dass das nicht die Regel ist. Sagen wir, es geht da weniger... fein zu."

Bob Dylan: Erinnert an James Dean: der junge Bob Dylan in New York um 1961.

Erinnert an James Dean: der junge Bob Dylan in New York um 1961.

(Foto: Foto: AFP)

Er erzählt, dass er auch nach dem Auftrag von Random House weiter gezeichnet hat, nur so zum Spaß. "Nicht mehr so intensiv, aber ich habe noch mehr Skizzenbücher. Was ich fürs Publikum freigebe und was ich zurückbehalte, sind natürlich zwei verschiedene Sachen."

Er hat Angebote für zwei weitere Bilderserien, eins davon eine Porträtreihe mit Prominenten. "Ich könnte mir die Namen raussuchen, aber ich will nicht. Ich hätte lieber eine Liste, und jemand andrer wendet sich an die Leute und fragt, ob sie wollen.

Jetzt warte ich darauf, wen sie sich aussuchen. Ich nehme an, es sind wichtige Leute: Erfinder, Mathematiker, Wissenschaftler, Manager, Schauspieler...Werden wir sehen.

Mich interessiert mehr eine Sammlung mit historischen romantischen Figuren: Napoleon und Joséphine, Dante und Beatrice, Captain John Smith und Pocahontas, Brad und Angelina" - da muss er lachen - "... da könnte ich mit meiner Phantasie arbeiten. Dann müssten es keine richtigen Menschen sein."

Die beiden Letztgenannten würden ihm aber sicher begeistert Modell sitzen. Dylan giggelt: "Vielleicht. Wer weiß? Ich sage nur, dass mich die Idee dahinter fasziniert. Ob auch was draus wird, wird man schon sehen. Das hier" - er meint die "Drawn Blank Series" - "war einfach, weil es keinen Konflikt mit anderen Verpflichtungen gab. Sollte es doch dazu kommen, dann geht es einfach nicht."

Wenn er von Verpflichtungen spricht, dürfte Dylan nicht bloß seinen Tourneeplan, sondern auch seine persönlichen und familiären Beziehungen meinen.

Davon sind nur die gröbsten Umrisse bekannt. Er hat vier erwachsene Kinder (Jesse, Anna Lea, Samuel und den Musiker Jakob) aus der zehn Jahre dauernden Ehe mit dem Model Sara Lowndes, die 1977 mit der Scheidung endete.

2001 wurde durch einen seiner Biographen bekannt, dass er von 1986 bis 1992 mit Carol Dennis, einer seiner früheren Chorsängerinnen, verheiratet war, mit der er eine Tochter hat, die heute ebenfalls erwachsen ist.

Doch schon bei der allervorsichtigsten Frage nach seinem Leben außerhalb der Arbeit macht er ganz zu. Nicht einmal für eine so schlichte Information, wo er eigentlich wohnt (es heißt, es sei in einem Haus an der Küste bei Los Angeles), ist von ihm eine Bestätigung zu bekommen, und als ich ihn frage, ob er ein Studio habe, in dem er an seinen Bildern arbeite, folgt nur: "In einigen der Häuser ist genug Platz, dass ich dort alles machen kann."

Dann schaut er wieder in die halbnahe Ferne und wartet auf die nächste Frage.

Diese Verschlossenheit hat ihm den Ruf als grantiger alter Mann der Rockmusik eingebracht, ein Griesgram, der auch dann keine Dankbarkeit zeigt, wenn ihm Verehrung und Bewunderung zuteil werden.

Ob er will oder nicht, dieser entschiedene Selbstschutz vergrößert nur den Mythos und das Mysterium. Nachdem ihm die Kritiker in den Achtzigern und bis in die Mitte der Neunziger die kalte Schulter gezeigt haben, steht Dylans Stern gegenwärtig höher als je seit den Sechzigern, dem Jahrzehnt, mit dem man ihn am meisten verbindet (zu Unrecht, wie er glaubt).

Ehrungen, Preise, Auszeichnungen regnen auf ihn herab: Es ist, als wäre uns allen plötzlich klar geworden, dass wir einen wie ihn nie wieder erleben werden. Was natürlich nicht heißt, dass er nicht noch lange leben wird. "Ha, danke dafür", bemerkt er und lacht.

Für weitere Einblicke in seine private Welt müssen wir darauf hoffen, dass in der nächsten Lieferung seiner auf drei Bände angelegten "Chronicles" ein paar Krümel abfallen ("Es könnten noch mehr sein. Ich hätte genug Material.").

Er sitzt bereits an einem neuen Band. Ja, so viel gibt er zu, der Erfolg des ersten Bandes hat ihn gefreut. "Vor allem wegen der Arbeit, die so etwas macht. Bücherschreiben ist ein einsames Geschäft. Man muss sich von der Familie und den Freunden verabschieden, um die nötige Ruhe und Konzentration zu finden. Man muss sich von beinah allem und jedem trennen und losmachen.

Das hat mir gar nicht gefallen. Insgesamt waren das vielleicht zwei Jahre. Am Anfang war ich noch viel unterwegs, und dann habe ich im Bus oder an freien Tagen meine Gedanken niedergeschrieben oder in die Maschine getippt.

Das Zusammenfügen des Ganzen, das immer neue Lesen und neu Erzählen, hat so viel Zeit beansprucht. Da hab' ich mir gedacht, das muss doch auch anders gehen. Jetzt weiß ich auch, wie. Man braucht eine festangestellte Sekretärin, die einem alles gleich aufschreibt! Später kannst du das dann alles durchgehen."

Immer noch hat er große Freude an seiner eigenen Radiosendung - "Theme Time Radio Hour mit Ihrem Gastgeber Bob Dylan" - einer Erfindung von XM Satellite Radio in den USA, die in England von Radio2 übernommen wird.

Im Lauf des Jahres wird er eine weitere Folge aus der Bob Dylan Bootleg Series herausbringen, diesmal mit bisher unveröffentlichtem Material oder seltenen Stücken zusammen mit Alternativversionen bestehender Stücke aus den Jahren 1989 bis 2006.

Nachdem er einen Pulitzer-Preis erhalten hat in Anerkennung "seiner tiefen Wirkung auf die populäre Musik und die amerikanische Kultur, besonders wegen der lyrischen Kompositionen mit ihrer außergewöhnlichen poetischen Kraft" ("Ich hoffe, die wollen ihn nicht zurückhaben!"), liegt es nahe, dass er eine besonders kreative Periode erreicht hat, aber auch eine, in der er mit sich zufrieden sein kann. "So hab' ich mich immer gefühlt", sagt er. "Manchmal läuft halt mehr als sonst."

Und ist das Leben gut zu ihm? - "Es war nie anders."

Meine Zeit mit Dylan ist vorüber, wir stehen jetzt, ich werde gleich gehen. Als Letztes bitte ich ihn um eine Bewertung der politischen Situation in den USA bis zu den Wahlen im November.

"Amerika befindet sich gegenwärtig in Aufruhr", sagt er. "Die Armut demoralisiert die Menschen. Man kann nicht erwarten, dass die Leute integer bleiben, wenn sie arm sind. Aber jetzt ist da dieser Bursche, der das Wesen der Politik von Grund auf neu bestimmen wird... Barack Obama. Er hat unser Bild von einem Politiker vollkommen verändert. Mal sehen, wie das ausgeht. Bin ich zuversichtlich? Allerdings, ich hoffe, dass sich die Dinge ändern. Manche Dinge müssen sich einfach ändern."

Die Hand zum Abschied. "Nimm immer das Beste aus der Vergangenheit, lass das Schlimmste liegen und geh' voran in die Zukunft", sagt er noch. Dann ist die Tür zwischen uns geschlossen.

Der Text von Alan Jackson erschien zuerst in der Londoner Times. Übersetzt von Willi Winkler. Die Ausstellung ist bis13.Juli zu sehen. Das Buch dazu gibt es im Münchner Prestel Verlag.

Mehr: www.halcyongallery.com

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