BMW-Werk in Leipzig:Mutter der Kommunikation

Die Architektin Zaha Hadid hat das Zentralgebäude für das neue Werk des Automobilkonzerns als Büro der Zukunft entworfen. Mit Bildergalerie

GERHARD MATZIG

Zur Jahrtausendwende, als die deutsche Dotcom-Gesellschaft und ein unhierarchisches, kommunikatives und beinahe ortloses Arbeitsverständnis noch in schönster Blüte standen, ereignete sich ein Amoklauf.

BMW-Werk in Leipzig: Blick auf ein Großraumbüro im Leipziger BMW-Werk. Oben verlaufen Transportbänder mit Autokarosserien.

Blick auf ein Großraumbüro im Leipziger BMW-Werk. Oben verlaufen Transportbänder mit Autokarosserien.

(Foto: Foto: BMW AG/Martin Klindworth)

Ein New-Economy-Insasse, der bis dahin sein Leben pflichtschuldigst in einer Großraumwelt mobiler Roll-Container und frei flottierender Job-Units verbracht hatte, überfiel aus heiterem Himmel seine Kollegen.

Brüllend warf er den Kopierer um, schreiend trat er nach den Gummibäumen. Wie sich herausstellte, hatte jemand die Bürotasse des Amokläufers benutzt.

Ein Mann arbeitet also zu beliebigen Zeiten in einem austauschbaren Team und in mehrzweckfähigen Arbeitszonen; er kennt keine Arbeitsplatzverwohnlichung, keine Holztäfelung und keine Vorzimmerdame -- und dann dreht er durch, weil die Lieblingstasse geschändet wurde. So holt das steinzeitliche Territorialverhalten die futuristische Plug-in-Gesellschaft ein. Das gibt zu denken.

Vor allem in Leipzig, wo heute das neue BMW-Werk eröffnet wird. Denn das Herz dieser Anlage, die von der 54-jährigen Londoner Architektin und Pritzkerpreisträgerin Zaha Hadid entworfen wurde, versteht sich als eine zu Beton und Stahl geronnene Büro-Revolution.

Militant verteidigte Rückzugshöhlen

Das zentrale "Verwaltungs- und Kommunikationszentrum" ist in der Tat ein ernst zu nehmender, ästhetisch staunenswerter, räumlich so funktional wie unorthodox organisierter Angriff auf herkömmliche Verwaltungsarchitektur. In Leipzig laufen insofern nicht nur die neuen 3er Limousinen vom BMW-Band, sondern auch einige verblüffende Architekturvorschläge zur Zukunft der Arbeitswelt.

Dass sich die 3er am Markt durchsetzen, scheint gewiss. Die Frage ist jedoch: Kann die Leipziger Arbeitsstättenverordnung der großartigen, gelegentlich auch großartig rätselhaften Zaha Hadid (die von Kritikern ihrer "dynamistischen", nämlich räumlich fließenden Bau-Grammatik schon mal "Haha" Hadid genannt wird), kann Leipzig nun ein Zeichen setzen?

Meist enden antiterritoriale, offen strukturierte und hierarchiefrei organisierte Büro-Gestaltungen genau dort, wo die Architektur eigentlich motivierend und produktiv wirken sollte: bei den Mitarbeitern - beziehungsweise bei deren Raumvorstellungen.

Das bekannte Indiz für ein grundsätzliches Missverständnis zwischen modernen Arbeitsplatz-Architekten und altmodischen Arbeitsplatz-Inhabern sind jene mit Postern und Kollegenpostkarten blickdicht überklebten Glaswände, die aus kommunikationserleichternden Bürowaben kuschelig verklebte und bei Bedarf militant verteidigte Rückzugshöhlen machen. Auch deshalb darf man gespannt sein, ob und wie die BMW-Mitarbeiter ihr neues Zentralgebäude in Besitz nehmen.

Mutter der Kommunikation

Die hier untergebrachten 740 Arbeitsplätze für sämtliche planenden und verwaltenden Funktionen des Werks, die sich in einem einzigen gewaltigen, aber vielfach geteilten Raum befinden, sollen - zumindest der Theorie nach - identisch sein. "Vom Praktikanten bis zum Werksleiter", so BMW, "haben alle Mitarbeiter gleiche räumliche Bedingungen."

Der erste im neuen Leipziger Werk gefertigte BMW.

Der erste im neuen Leipziger Werk gefertigte BMW.

(Foto: Foto: ddp)

Wer sich dem 208 Hektar großen, nördlich von Leipzig gelegenen Areal des BMW-Werks nähert, der bekommt aber zunächst kein Architektur gewordenes Manifest des spätsozialistischen Egalitarismus zu Gesicht, sondern die typische, breiig ruinierte, einstmals grüne Wiese, auf der sich Baumärkte und Lagercenter wie Legosteine versammeln, die an gigantischen Blähungen leiden.

Das BMW-Werk, das aus drei klobigen, nahezu fensterlosen Blechkisten-Produktionshallen für Karosseriebau, Lackiererei und Montage besteht, macht zunächst keine Ausnahme.

Umso überzeugender nimmt sich beim Näherkommen das filigrane, aber dennoch kraftvoll wie ein Muskelstrang die Szenerie dominierende Implantat aus, das Zaha Hadid der kubischen Ödnis eingeschrieben hat. Verblüffenderweise strahlt der neue, zwischen den Produktionshallen ziemlich robust und eigensinnig vermittelnde Komplex fast skulptural auf seine Umgebung aus - dabei wurde Zaha Hadids Zentralgebäude dem bestehenden Ensemble auf rein funktionale Weise eingepasst und macht sich nach außen nur durch einen seltsam reptilienförmig verharrenden Kopfbau bemerkbar.

Hier, naturgemäß am Parkplatz, befindet sich der zentrale Zugang, der in ein Foyer führt, dessen dynamisch sich aufschwingende Treppe die üblichen, im BMW-Shop ausgebreiteten Souvenirs der Raserei (zum Beispiel das T-Shirt mit dem hübschen Aufdruck "Good bye Limits!") zumindest aus architektonischer Sicht überflüssig macht.

Auge in Auge mit dem Produkt

Schon hier wird klar, welche kommunikativen und sogar identifikationsstiftenden Kräfte die Architektur von Zaha Hadid, die noch selten zuvor einer Bauaufgabe so angemessen erschien, zu entwickeln vermag.

Abseits der bekannten, dem vorherrschenden Sichtbeton mit allzu simpler Hilfe der Schalungen eingeprägten Rallyestreifen, abseits auch der dynamisch allmählich ermüdenden, rein formelhaft (durch Neonröhren, Hinweisschilder, Farbe) ausgeführten Betonungen von bestimmten Bewegungsrichtungen, abseits also von solch typischem Hadid-Tuning überzeugen die beiden charakteristischen Raumerfindungen in diesem Zentralgebäude auf Anhieb.

Erstens: die spürbare, aber nicht erdrückende Grenzenlosigkeit des Raumes, seine Einheitlichkeit, in der man dennoch überall auf intime Raumzuschnitte trifft. Zweitens: die luftigen, den Raum so eigentümlich wie selbstverständlich dominierenden Transportbänder, die überall zu sehen oder doch zu spüren sind.

Auf ihnen werden die Autos in die Abteilungen befördert, auf kürzesten Wegen, und erstaunlicherweise ohne das geringste Drohpotenzial für die Arbeitsplätze.

Auge in Auge mit dem Produkt: Das besitzt etwas Altertümliches -- das wirkt fast wie aus der Zeit vor Erfindung der Ford'schen Fabriken und ihrer Montagebänder. Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie der BMW-Werksleiter. Er sagt: "Ich bin glücklich, hier arbeiten zu dürfen."

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