Blumfeld-Sänger im Interview:"Bowie und Beck sind nur Jongleure"

Die sogenannte Intellektuellen-Band Blumfeld löst sich auf und geht auf Abschiedstournee. Sänger Jochen Distelmeyer spricht mit uns über Marlon Brando, Franz Kafka und die Bedeutung von H & M.

Willi Winkler

Blumfeld, Lieblingsband der Pop-Intellektuellen und Vehikel ihres Sängers und Gitarristen Jochen Distelmeyer, nehmen Abschied. 1992 erschien ihre erste Platte "Ich-Maschine" und begründete die sogenannte "Hamburger Schule"'. Die nahm den Faden der Neuen Deutschen Welle auf und brachte ihn mit Bands wie Blumfeld, Die Goldenen Zitronen und Tocotronic in die Ära des Grunge und Independent.

Blumfeld Distelmeyer Band

Die Band Blumfeld.

(Foto: Foto: Martin Eberle)

Ende Januar teilten Blumfeld beiläufig mit, dass sie sich nach 17 Jahren auflösen werden. Zum Abschied gehen sie noch einmal auf Tournee; außerdem erscheinen ihre gesammelten Werke auf fünf CDs unter dem Titel "Ein Lied mehr". Die Tournee beginnt am 10. April in Hildesheim und endet am 24. Mai in Hamburg. In Berlin sprach Jochen Distelmeyer mit der SZ über Pop und Politik.

SZ: Es gibt zwei berühmte Menschen, die aus Bielefeld kommen: Kai Diekmann und Sie. Jochen Distelmeyer: Wer ist Kai Diekmann noch mal?

SZ: Der Chef der Bild-Zeitung. Distelmeyer: Ach, der kommt auch daher.

SZ: Wie unterscheiden sie sich denn? Distelmeyer: Dazu kann ich nichts sagen. Ich gehöre nicht zu den Lesern dieser Zeitung.

SZ: Ist Bielefeld das große Nichts, aus dem man unbedingt fort muss? Distelmeyer: Nach meinem Empfinden unterscheidet sich das nicht von anderen kleineren oder mittelgroßen Städten, in denen man das Gefühl hat, es gibt sicherlich noch was anderes, aufregenderes.

SZ: Das war Ende der Achtziger Hamburg? Distelmeyer: Für mich lag das nahe. Rückblickend kann ich keine bewusste Entscheidung ausmachen. Mein Verhältnis zur Stadt ist inzwischen eher abgekühlt.

SZ: Sie waren Hamburger Schule. Distelmeyer: Das war der Hype, der um die Stadt gemacht worden, aber man wusste, dass das Wellenbewegungen sind.

SZ: Wann haben Sie zum ersten Mal das Wort "Eklektizismus" gebraucht? Distelmeyer: Was heißt das noch mal genau?

SZ: Das ist jetzt gemein, Sie machen sich lustig. Distelmeyer: Weit davon entfernt.

SZ: Der Eklektiker nimmt sich, was ihm gerade passt. Distelmeyer: Ich habe das nie. Im Lauf der Zeit stellt sich ein Bewusstsein für die eigenen Kriterien ein.

SZ: An einem Tag interessiert einen vielleicht Hans Albers und am nächsten was von Tangerine Dream. Diestelmeyer: Für mich ist das nie willkürlich gewesen.

SZ: Wenn man es gebildet sagen will, dann steht Blumfeld wie Walter Benjamins Engel der Geschichte vor einem Berg von Kulturschutt. Sie nehmen sich, was Sie brauchen. Diestelmeyer: Den Zusammenhang stelle ich her durch die Behauptung, es gäbe ihn. Aber damit ist er auch da und verbindlich. Das ist bei unserer Platte "Verbotene Früchte" vielerorts nicht verstanden worden.

SZ: Nämlich? Distelmeyer: Weil nämlich der Naturbegriff, wie er durch die Parteitage, die Feuilletons, die Literaturgeschichte geistert, ein willkürlicher, ein konstruierter ist. Die Art, wie Marlon Brando in "Apocalypse Now", in der Verfilmung von "Herz der Finsternis", vom "Horror" spricht, ist mit einer ursprünglich romantischen Sinnerwartung beim Blick in die Natur verbunden. Er sitzt in diesem Dickicht, erhofft sich Antworten auf die Fragen, die ihn dorthin haben gehen lassen, aber das Dickicht antwortet nicht, dem ist es völlig egal.

SZ: Das ist jetzt Ihre Interpretation. Bei Joseph Conrad ist das "Herz der Finsternis" auch eine Reportage über die belgische Kolonialwirtschaft am Oberlauf des Kongo. Distelmeyer: Klar, ich sehe das Buch durch die Interpretation Coppolas und Brandos, die Situation beim Drehen des Films, die Konflikte, die mit dem Verkörperer ausgetragen wurden.

SZ: Wie kann man das dem Käufer, dem Zuschauer und Zuhörer ohne einen meterdicken kritischen Apparat mitteilen? Distelmeyer: Gar nicht, ich baue darauf, dass sich das assoziativ ergibt. Es ist nicht meine Aufgabe, jenseits meiner Arbeit als Songwriter, Sänger und Gitarrist einer Band, Interpretationshilfe zu leisten. Am Ende ist es Rock'n'Roll.

SZ: Mick Jagger hat schon vor 25 Jahren gesagt, der Rock'n'Roll habe sich er-schöpft. Alles ist mehrfach durchgespielt, und es sind noch immer drei Akkorde. Distelmeyer: Auf "Old Nobody" gibt es ein Stück, "Status: Quo Vadis", das genau das aufgreift. Wenn etwas vorbei und erledigt ist, wird es für mich häufig erst interessant. Originalität oder das Neue interessieren mich erst mal nicht. Wenn es passiert, nehme ich es zur Kenntnis und finde es gut oder schlecht, aber es ist kein Antrieb für mich.

SZ: War der Bandname Ihre Idee? Distelmeyer:Ich habe eine Zeitlang viel von Franz Kafka gelesen, auch die Erzählung, "Blumfeld, ein älterer Junggeselle".

Zweiter Teil: Wie der Bandname entstand und der Zusammenhang von Relevanz und Marktwert

"Bowie und Beck sind nur Jongleure"

SZ: Um die Pointe des Namens zu verstehen, braucht man wieder die ganze Novelle. Distelmeyer: Es sollte ein Name sein, ein jüdischer Nachname für eine Band aus Deutschland.

SZ: Könnte man Blumfeld als Junggesellenmusik bezeichnen? Distelmeyer: Das hört sich interessant an, ist es aber für mich nicht so.

SZ: Ich finde, dass Blumfeld Musik für Tüftler ist, für Hermeneutiker, für hemmungsloses Interpretieren. Distelmeyer: Man kann das, man muss nicht.

SZ: Dieses Sammeln von Bezügen verbindet den Hörer von Blumfeld mit Nick Hornbys "High Fidelity". Distelmeyer: Das finde ich eher eine Beleidigung, völlig daneben. Nee. Wenn ich noch mal zum Engel der Geschichte komme, der auf den Schutt um sich herum kuckt, dann ist das in dem Stück "Strobohobo" auf "Verbotene Früchte" anhand des Typs, der mit den Optionen jongliert, thematisiert. Das Jonglieren mit Optionen, das möglicherweise virtuose Spielen mit irgendeinem Know-how interessiert mich künstlerisch nicht. Mich interessiert der Moment der Entscheidung. David Bowie, Beck und so weiter sind bestenfalls pittoreske Jongleure, die in ihrem Talent gefangen bleiben. Es kann manchmal tolle Musik dabei rumkommen, es ist aber langweilig, es entsteht nichts. Das gilt für die ganze Retrokultur, in der das Sammeln zur Warenform geronnen ist, was am Ende in H & M mündet.

SZ: Sie haben selber das Wort Warenform gebraucht. Wie aber entgeht man selber dem Warencharakter? Distelmeyer: Eine Frage, die durch das, wie man es macht, beantwortet wird. Wir haben versucht, die Bedingungen unserer Arbeit auch vor diesem Hintergrund transparent zu machen, auch kritisierbar zu halten.

SZ: Sie waren in den Neunzigern an den Wohlfahrtsausschüssen beteiligt und wollten für politische Aufklärung sorgen. Distelmeyer: Das war ich als Nichtmusiker.

SZ:Wenn jetzt in Heiligendamm der Weltwirtschaftsgipfel stattfindet, werden Sie nicht mehr draußen am Zaun stehen und an den Stäben rütteln? Distelmeyer: Ich überleg noch, ob ich das mache. Ich lese, was die Leute von attac und die anderen zu sagen haben, und dann entscheide ich das.

SZ: Das Politische ist also noch nicht vorbei. Distelmeyer: Es ist nie vorbei, sollte es auch nicht sein. Für mich hat sich diese Popkultur als Kulturindustrie, als das, was in den Zeitungen, in den Feuilletons und in den Musikmagazinen als Krise der Plattenindustrie und des "Konzepts" Popkultur mit dem Subversionsversprechen verhandelt wird, schon seit "Old Nobody" erledigt. Das ist eher ein verzweifelter Versuch, die eigene Relevanz und den Marktwert zu heben.

SZ: Zwischen Relevanz und Marktwert besteht aber noch ein Unterschied. Distelmeyer: Gerade in diesem Bereich hängt das eng zusammen, es geht um kulturelles Kapital. Dieses Abrufen von subversiven Gesten - Styling, Sounds, Texten oder der Art wie drüber gesprochen wird - interessiert mich nicht. Wer die Revolution will, und es gibt ja genügend Gründe, warum man sie wollen könnte, der soll sie machen. Der soll sich aber auch darüber im Klaren sein, was das in der Konsequenz bedeutet.

SZ: Wen meinen Sie denn? Distelmeyer: Ich rede von Leuten, die entweder blind dafür sind oder nicht aufrichtig drüber sprechen, dass ihr Interesse an diesem Subversionsversprechen irgendeiner Popkultur auch mit dem eigenen Einkommen zu tun hat. Wenn Ihr daran festhalten wollt, dann sage ich: O.k., wer die Revolution will, soll sie machen. Das bedeutet, dass man sich früher oder später vor die Machtfrage gestellt sieht. Für die Medien und den Markt ist sie ganz selbstverständlich. Es geht um die Frage, ob man das Recht des Stärkeren zur Grundlage seines Handelns machen will, ob man wie sie auch diesem Prinzip huldigen will und die damit einhergehenden Opfer auch verantworten kann. Das ist auf "Verbotene Früchte" mitverhandelt worden. Ich habe die Frage für mich beantwortet.

SZ: Mit dem Gang in die Natur... Distelmeyer: Nein, nein, das ist doch Quatsch. Ich wollte mit diesem sogenannten "Gang in die Natur" der Behauptung, der Kapitalismus sei ein Naturzustand, noch mal nachgehen. Was ist das eigentlich? Wo verorten wir uns vor diesem Hintergrund als Menschen? Und ich habe gesagt: Ich kämpfe nicht.

SZ: Und wenn die Revolution ruft? Distelmeyer: Dann möchte ich wissen, welche Revolution gemacht werden soll und mit welchen Mitteln.

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