Süddeutsche Zeitung

Bluesman Robert Finley:Denn der Schmerz ist wahr

Lesezeit: 4 min

Er weiß um das Drama des Southern Soul. Mit seinem neuen Album "Goin' Platinum" will Robert Finley, der 63-jährige Straßensänger und Bluesmann, genau dorthin: Richtung Platin.

Von Jonathan Fischer

Weißer Bart, warmer Bariton, in Würde gealtert. Robert Finley ist so ein Typ, dem man jede Lebensweisheit nur allzu gern abnimmt. "Es kommt nicht darauf an, was du tust, sondern wie du es tust", singt er. Und man stellt sich - ganz großes Blueskino! - vor, wie der Sänger, wadenlanger Staubmantel, Lederjeans, das glitzernde rote Hemd unter die gewaltige Gürtelschnalle geschoben, in Dan Auerbachs Easy Eye Studios in Nashville stolziert. Finleys Schlangenlederstiefel glänzen, der Cowboyhut sitzt genau im richtigen Winkel über dem wettergegerbten Gesicht, und auch die Sonnenbrille nimmt der 63-jährige Veteran aus Bernice, Louisiana, nicht ab, wenn er vor dem Mikrofon steht.

Dan Auerbach flüstert dem halb erblindeten Zimmermann wie immer die Lyrics ins Ohr, bevor Finley sie, aufgeladen mit einem halben Jahrhundert Bluesleben, wieder ausspuckt: Wer kann es da nicht hören, das Ackern auf den väterlichen Pachtfeldern, die Schufterei auf dem Bau, die Jukebox-untermalten Brandys am Feierabend, und das allsonntägliche Erlösungsflehen im Kirchenchor? Als ob Finley jede Silbe seines Gesangs durch eine Ladung Staub, Schweiß und Scherben gurgeln würde, intuitiv das innere Drama eines Songs erfasste, den Punkt, an dem es schmerzen muss. Denn der Schmerz ist wahr.

"Age Don't Mean a Thing" hieß das Debütalbum von Robert Finley

"Robert brauchte keine Anleitung, Er machte, was der Song verlangte - wie er von einem tiefen Bellen zum beschwörenden Flüstern wechselte, ließ mich jedes mal wieder erschaudern", sagt Dan Auerbach, Kopf der Black Keys, mehrfach Grammy-gekrönter Musiker und Produzent. Finley ist der erste Musiker, den er für sein eigenes Easy Eye Label unter Vertrag nahm. Zur Musikgeschichte der schwarzen Südstaaten aber unterhält Auerbach bereits eine lange Liebesbeziehung: Die Black Keys hatten den schwer rumpelnden Mississippi Hill Blues aufgerüstet, mit Dr. John tauchte er in den New-Orleans-Voodoo-Funk, und auf seinem letzten Soloprojekt "Waiting on a Song" holte Auerbach unter anderem den Swamp-Pop aus der Vergessenheit. Und nun die ganz große Vokalkunst. Der Südstaaten-Soul. Es ist dies eine auratische Haltung, eine Aus-dem-Dreck-in-den-Himmel-Alchemie, die man kaum auf Gesangsakademien und Schauspielschulen lernen kann. O. V. Wright und Tyrone Davis haben sie beherrscht, Syl Johnson und William Bell.

Robert Finley ist mit dieser Kunst groß geworden - über die Livemusik auf Mother-Day-Picnics und Crawfish-Cook-Outs, über lokale Bluesstationen und Juke Boxes. Sein eigener Wurf kommt zur richtigen Zeit. Wenn gerade jede auf Kleinstlabels erschienene Soul-Rarität der sechziger Jahre wieder aufgelegt wird, und Spätzünder wie Charles Bradley und Sharon Jones es schafften, weltweit ein Hipster-Publikum um sich zu scharen, dann muss man ein Paradox konstatieren: Southern Soul ist heute populärer denn je. Und das obwohl oder gerade weil so viele der alten Helden - zuletzt Sharon Jones und Charles Bradley - gegangen sind. Robert Finley könnte bald der letzte sein, der "last soulman standing ".

Zwei Glücksfälle führten zur Entstehung dieses Albums: Zunächst hatte ein Mitglied der Music Maker Foundation, einer Stiftung für ältere und unterprivilegierte Musiker, Robert Finley in Arkansas auf der Straße spielen hören. In der Folge nahm der Bluesmann sein Debüt auf: "Age Don't Mean a Thing". Später landete der Mitschnitt eines Finley-Auftritts bei Dan Auerbach: "Ich hörte diesen Magnetismus in seiner Stimme", schwärmt er. Er holte den Straßensänger Anfang des vorigen Jahres für die Vertonung eines düsteren Blues-Comics, der "Murder Ballads", ins Studio. Könnte diese Stimme aber nicht auch das Leiden in und an der Liebe überhöhen? Diese Mischung aus Sex, Untreue und dreckigem Gospelgroove, Rezept aller Southern Soul Hits, die einst auf Labels wie Stax, Hi Records oder Backbeat erschienen? Auerbach hatte ein paar passende Songs, unter anderem von John Prine, Nick Lowe und Pat McLaughlin, in der Schublade, und er wusste, wen er unbedingt anrufen musste: Schlagzeuger Gene Chrisman (der schon für Elvis Presley, Aretha Franklin und Dusty Springfield spielte), Bobby Womacks und JJ Cales ehemaligen Keyboardmann Bobby Woods, Gitarrenlegende Duane Eddy - und dazu den Bläsersatz der Preservation Hall. In dieser Versammlung altehrwürdiger Veteranen war Finley mit seinen 63 Jahren plötzlich nicht nur der Jüngste. Sondern auch der Joker. Ein Mann, der Neuland betritt.

Mit einem Soul-Routinier als Sänger wäre wohl ein anderes Album herausgekommen - einer dieser wohligen "Wir können es noch"-Aufgüsse. Dan Auerbach aber wollte den Bluesmann Finley aus seiner Komfortzone holen. Ihn in den Treibsand der großen Gefühle locken, dorthin, wo sich Gosse und Himmel berühren. Bestand die Kunst des Southern Soul nicht immer darin, rituell hinabzusteigen in die dunklen Keller der menschlichen Existenz, das Drama des Scheiterns auf sich zu nehmen, um schließlich in einer Art kollektiven Beichte die Läuterung zu suchen? Finley trifft diese spirituellen Untertöne auf Anhieb - obwohl jeder Song ein neues stilistisches Abenteuer bedeutet: Verspukt säuselnder Voodoo Soul ("Get it while You Can"), akustischer Gitarren-Country-Boogie ("You Don't Have to Do Right"), herzerweichende Lamentos ("Empty Arms") und von düsteren Bläsern getriebener Funk ("Medicine Woman"). Und doch bindet Finleys Gesang alles sehr stimmig zusammen. Hört man dem Mann in jeder Silbe an, wie viele Stiefelsohlen er schon durchlaufen hat - und welcher Hunger ihn noch weitertreibt.

"Nur wer gekniet hat", sagt Robert Finley, "genießt es, sich aufzurichten."

"We're goin' platinum!", soll der Bluesmann bei jedem Playback ausgerufen haben. Und, hey, ist das nicht ein guter Albumtitel? Zeigt er doch den ganzen Aberwitz des erblindeten Zimmermanns, dessen musikalische Karriere bisher aus ein paar Jahren mit der Armeeband, unbezahlten Gospel-Gigs in lokalen TV-Sendern, dem Tingeln durch Malls bestand, und der es der Welt noch mal zeigen möchte. Eine Win-Win-Situation ist das Album jetzt schon: Hier der Produzenten-Star mit der Mission, den traditionellen Südstaaten-Sound für die Gegenwart urbar zu machen, dort der im Blues-Milieu aufgewachsene Underdog, der sich alles nur nach Gehör draufschafft. Einziger Makel: Auerbach lässt den Hörer all zu glatt vom Haken. Hat sich der Easy Eye Mastermind etwa von der Technik verführen lassen, alles endlich einmal so glasklar und geordnet zu produzieren, wie es den legendären Recordmen der sechziger Jahre - sie nahmen mit oft nur vier Spuren in Eierschachtel-isolierten Schuppen auf - niemals möglich gewesen wäre? Wollte er mit Glockenspielen und kristallinen Riff-Figuren doch ein wenig "Platinum"-Ambitionen zeigen? Perfektion und Sauberkeit - das klingt wie die Antithese dieses zwischen Baumwollfeldern entstandenen Gospel-Derivats. Trotzdem: Allein Finleys schmachtendes Falsetto auf "Holy Wine" ist groß genug, um mit ihm auf die Knie zu fallen. Mitzuflehen. Mitzubereuen. Nicht weil die eigenen Missetaten so drücken würden. Sondern weil das Souldrama so schön im Magen glüht. Oder wie Finley es sagt: "Nur wer gekniet hat, genießt es, sich aufzurichten."

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SZ vom 03.01.2018
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