Süddeutsche Zeitung

Blues-Filme im Kino:Dunkle Nacht auf kaltem Grund

Mit "The Soul of a Man" von Wim Wenders startet eine Kino-Geschichte des Blues. In den nächsten Wochen werden Beiträge von Richard Pearce und Scorsese folgen, später die von Clint Eastwood, Mike Figgis, Marc Levin und ein Konzertmitschnitt von Antoine Fuqua.

FRITZ GÖTTLER

Kino ist Aufbruch, man zieht los in der Früh, im ersten Licht, eine Odyssee in fremde Welten und Räume, in eine Zukunft, die in weiter Ferne so nah ist - die man am Ende als die eigene Vergangenheit womöglich erkennt ... Im Jahr 1977 zog die Raumsonde Voyager 2 los, an Bord hatte sie Objekte und Aufnahmen, Sprach- und Musikproben, die die Geschichte der Menschheit repräsentieren. Neben Chuck Berry und Mozarts Zauberflöte war auch "Dark is the Night" darunter, ein berühmter Blues-Titel, gesungen von Blind Willie Johnson.

Mit dem Voyager-Start beginnt der neue Film von Wim Wenders, der dritte Musikfilm nach dem "Buena Vista Social Club" und BAP - seine Vision vom Blues, für den er sich die Persona von Blind Willie Johnson borgt.

Der ist einer der großen Bluesmen in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, auch wenn seine Karriere kurz und unscheinbar, von wenigen nur wahrgenommen war. Ein blinder Sänger, allein in der Nacht des Weltalls, ein Blues-Teiresias vergegenwärtigt ein paar elementare Momente aus der Geschichte des Blues, der der Suche nach der Seele eines Menschen gewidmet ist, nach der Seele der Menschheit.

2003 hat der amerikanische Kongress zum Jahr des Blues erklärt, in diesem Zusammenhang hat Martin Scorsese, ein weiterer Blues-Bekenner, eine kleine Serie zur Geschichte dieser Musik angeregt und mit Hilfe seiner Kollegen produziert. Die Filme wurden auf den Festivals in Cannes und Venedig gezeigt und sind im vorigen Herbst im amerikanischen Fernsehen gelaufen, nun bringt der Verleih Reverse Angle sie in die deutschen Kinos. In den nächsten Wochen sollen Beiträge von Richard Pearce und Scorsese folgen, später die von Charles Burnett, Clint Eastwood, Mike Figgis, Marc Levin und ein Konzertmitschnitt von Antoine Fuqua, vom Auftaktkonzert am 7. Februar 2003, in der Radio City Music Hall.

Er hat die nötige Distanz, sagt Wenders über seinen "Erzähler" Johnson, und er stellt ihm zwei weitere Blues-Helden seiner Jugend zur Seite, Skip James und J.B. Lenoir - ihr Leben und Nachleben gleicht dem von Johnson. Die Suche nach den Ursprüngen des Blues muss an den Rändern beginnen, ganz weit draußen - in der Provinz von Germany zum Beispiel, wo der junge Wim Wenders den Blues und den Rock entdeckt und sich dabei so weit weg fühlen muss wie Blind Willie Johnson im All. "The Soul of a Man" handelt auch von der Suche nach der eigenen Jugend - und der Vision vom Kino, die sich damals entwickelte.

Now, voyager ... In den Siebzigern hat Wim Wenders das Reisekino für sich (wieder) erfunden, das road movie. Seit Jahren scheint er sich nun zurückzusehnen nach der rauen rebellischen Nüchternheit dieser Filme, nach "Summer in the City" oder "Alice in den Städten", in denen Möchtegerngangster figurierten, verlorene Einzelgänger. "Von manchen Erfahrungen weiß man schon vorher, dass sie gleichzeitig so neu und doch schon so vertraut sein werden, dass man sich ein wenig scheut, sie zu machen", hatte er 1970 in der Zeitschrift Filmkritik geschrieben und davon scheint auch "The Soul of a Man" inspiriert - es war die Zeit damals, da die Musik die Sinnlichkeit ersetzte, die den Bildern des Kinos verloren ging.

Es ist ein einfaches, ein ganz ursprüngliches Kino, das Wenders hier praktiziert, er ist zum Sammler geworden, wie Nick Ray es war, der für Alan Lomax die Folksongs in der Depressionszeit aufgenommen hatte, wie John Ford, der die amerikanischen Mythen in seinem Monument Valley ansiedelte, wie Ray Bradbury, der von der Verlorenheit des Menschen im Raumfahrtzeitalter erzählte. Aber die Geschichte des Blues entzieht sich den klassischen Techniken der Repräsentation und ihrer Erfassung - es gibt kaum Bilder der drei Musiker, kaum Aufnahmen ihrer Songs. Viele Blues-Stücke kennt man aus den Cover-Versionen der sechziger und siebziger Jahre, für "Soul of a Man" interpretiert etwa Cassandra Wilson "Vietnam Blues" von Lenoir oder Lou Reed "See that my grave is kept clean" von Willie Johnson. Ein paar Szenen aus den Wanderungen von Skip James und Johnson hat Wenders inszeniert, zum Teil im Stummfilmstil, mit einer handbetriebenen Kamera, schwarzweiß und 16 Bilder in der Sekunde. Von J. B. Lenoir hat er zwei 16mm-Filme aufgetrieben, die ein junges Ehepaar in den Sechzigern machte - um den Sänger dem schwedischen Fernsehen zu verkaufen: da steht er in einem scheußlich-engen Kleinbürger-Appartement und schaut in die Kamera, spielt seine alten Songs und bemüht sich, nicht anzustoßen mit seinen Bewegungen an den Rand der Bilder. Es ist die Freiheit in der Beschränkung, die der Film von Wenders erforscht, und er bewegt sich dafür zwischen den beiden Extremen von Inszenierung und Performance. An den Punkten, da sie unerwartet aufeinandertreffen, fängt die Leinwand an zu vibrieren, scheint das Profane mit dem Sakralen vereint. Kino pur, transzendentaler Stil im Film. THE SOUL OF A MAN, USA 2003 - Regie, Buch: Wim Wenders. Kamera: Lisa Rinzler. Schnitt: Mathilde Bonnefoy. Mit: Keith B. Brown, Chris Thomas King, Steve und Ronnog Seaberg, Beck, T-Bone Burnett, Nick Cave and the Bad Seeds, Los Lobos, Bonnie Raitt, Marc Ribot, Lou Reed. Erzähler: Laurence Fishburne. Reverse Angle, 103 Minuten.

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SZ v. 05.05.2004
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