Dies ist kein Feelgood-Film, sagt eine, die ihn sehr früh zu sehen bekam, "er erschöpft einen emotional". Nach der Hälfte habe sie eine Pause einlegen, an die frische Luft gehen müssen. "Die letzten Tage ihres Lebens waren brutal."
Joyce Carol Oates hat das erzählt, in einem Interview mit dem New Yorker, ihr Roman "Blond" über das leidvolle Leben von Marilyn Monroe hat Andrew Dominik die Vorlage geliefert für seinen gleichnamigen Netflix-Film. Der Roman ist von 2000, entstanden lange bevor die "Me Too"-Debatte den Blick auf das Verhältnis von Männern und Frauen im Showbusiness, in Hollywood zumal, verschärfte und veränderte. In ihren Romanen und Erzählungen widmet sich Oates den finsteren Seiten der amerikanischen Psyche, dem Horror von Verdrängung und unterdrücktem Verlangen. "Blond", sagt sie, "ist mein 'Moby Dick'."
Die Geschichte ist ein Schauerstück über eine junge Frau, die in den Fünfzigern in die Maschinerie des Hollywoodsystems gerät und in eine fürchterliche Einsamkeit rutscht, die dann mit einer Überdosis Tabletten endet, unter bis heute ungeklärten Umständen. Der absolute Horror kommt zum Schluss, ein Rendezvous mit dem Präsidenten, es handelt sich um John F. Kennedy. Marilyn wird von zwei Secret-Service-Männern durch die Hotelgänge geschleift wie ein Stück Fleisch, der Präsident liegt im Bett und telefoniert, sie muss ihm einen blasen, und er schaut derweil auf dem Fernseher dicken Weltraumraketen zu.
Man kennt die Geschichte der unglücklichen Norma Jeane Baker, die als Marilyn Monroe Karriere machte, aus Dutzenden Büchern und Fotobänden. "Blond" ist ein Roman, nicht alles darin ist faktisch belegt, und der Film hat manches weiter zugespitzt. Marilyn ist ein ungeliebtes Kind, die Mutter will sie loshaben, muss in eine Anstalt eingeliefert werden, paranoide Schizophrenie. Marilyn gilt danach als Waise, den Namen des Vaters kennt sie nicht, er ist ein wichtiger Mann in der Filmproduktion.
Marilyn liest Dostojewski, die Männer lachen sie aus dafür, beuten sie aus, privat und im Job
In Hollywood herrscht Ausbeutung, der Frauen zumal. Marilyn ist sensibel, sie liest Dostojewski, darüber machen die Männer sich lustig, und einmal endet ein Vorsprechen in einer Vergewaltigung. Nicht besser sind die Männer, die sie zu schützen vorgeben. Joe DiMaggio etwa, der Baseballstar, der sie heiratet, aber die sagenhafte Szene regt ihn dann auf, die Billy Wilder für "Das verflixte 7. Jahr" dreht, wenn ein Luftstoß aus dem U-Bahnschacht ihr den Rock hochjagt. Die Kamera schwenkt langsam über die Schar der Männer, die mit geiler Begeisterung den Dreharbeiten zugucken. Auch der Vater, der Marilyn aus der Distanz, aus der Unsichtbarkeit immer wieder schreibt, bekennt, dass er sich für diesen Film keine Kinokarte gekauft hat. Der Purismus der Väter, eine fiese Form der Monopolisierung.
Nur Arthur Miller ist anders, der Romanschreiber und Dramatiker, Adrien Brody spielt ihn mit der arroganten Zärtlichkeit des Intellektuellen. Marilyn ist glücklich mit ihm, sie kommt weg von Hollywood, aber dann gibt es Fehlgeburten, und sie erkennt, dass er ihre Ehe als Stoff für sein Schreiben genommen hat.
Schauspieler vergessen nie ihre Technik, maulen die Männer beim Besetzungsgespräch, wenn Marilyn sich gefühlvoll in eine Rolle versenkt. Andrew Dominik wollte zuerst Naomi Watts als Marilyn, aber als die Arbeit an dem Projekt sich hinzog, entwuchs sie der Rolle. Nach vielen Jahren fand er dann die kubanische Schauspielerin Ana de Armas, die zweimal in tollen Filmen mit Daniel Craig spielte, "Knives Out" und dem Bond-Film "No Time to Die". Ana de Armas ist, wie Monroe auch, nicht blond, und ihr fehlt jene Naivität, mit der Marilyn scheinbar ordinären Rollen eine unglaublich leichte Unschuld verlieh. Andrew Dominik legt den Film komplex an, wechselt flink zwischen Farb- und Schwarz-Weiß-Szenen. Er rutscht am Ende aber, wie ihm das schon in seinem ebenso langen Film "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" mit Brad Pitt und Casey Affleck passiert ist, doch in tragisches Pathos. Die wirren Strähnen in Marilyns Frisur werden ein festes Zeichen ihres Seelenzustands. Das sei, hat der Kritiker Richard Brody konstatiert, eine Art directorial sadism, Marilyn, das Opfer, das Objekt.
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Die Ausbeutung ist gnadenlos in Hollywood, aber nicht unbedingt auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Marilyn regt sich auf, als sie erfährt, dass sie für den Film "Blondinen bevorzugt" 500 Dollar pro Woche kriegen soll, Jane Russell aber, die schwarzhaarige zweite Frau des Films, 100 000 erhält. Und dabei hat der Film Blondinen im Titel.
Väter weinen nicht ... Die Beziehung einer Tochter zum Vater, hat Freud früh gewarnt, ist sehr viel komplexer als der Ödipuskomplex, der Sohn und Vater zusammenbringt. Der unsichtbare Vater bestätigt Norma Jeane seine Präsenz, verspricht ihr, er werde sich irgendwann zeigen. Es sind Briefe wie imaginäre innere Monologe. Eine Zeit lang macht Marilyn mit zwei Jungs die Nächte von Los Angeles unsicher - das ist eine erfundene Episode -, zwei, die homosexuell, also wirklich eines Mädchens beste Freunde sind: Cass und Eddy (Xavier Samuel und Evan Williams). Sie haben berühmte Hollywood-Väter, Charles Chaplin und Edward G. Robinson, und sie leiden darunter, dass sie neben denen nicht zählen. Bei uns zu Hause, stellt Cass fest, ist alles auf den Vater fokussiert. Mit Marilyn genießen sie die Freiheit, sich neu zu erfinden. Als Dreieck, als Zwillinge, nur zu dritt. Nach Cass' Tod erhält Marilyn eine letzte Karte von ihm: "There never was a tearful father".
Blonde , 2022 - Regie, Buch: Andrew Dominik. Nach dem Roman von Joyce Carol Oates. Kamera: Chayse Irvin. Schnitt: Adam Robinson. Musik: Nick Cave, Warren Ellis. Mit: Ana de Armas, Lucy DeVito, Adrien Brody, Sara Paxton, Bobby Cannavale. Netflix, 166 Minuten. Streaming-Start: 28.9.2022.