Björk-Ausstellung im MoMA:Hommage an die Urmutter aller Girlies

Sängerin Björk

Sonst sicher nicht ihre übliche Blickrichtung: Björk hält Rückschau im MoMA. Hier ist sie bei einem Auftritt in Santiago de Chile 2012 zu sehen.

(Foto: dpa)

"Desaster" hieß es, bevor die Ausstellung überhaupt eröffnet war: Das Museum of Modern Art zeigt eine Björk-Retrospektive. Es gibt ziemlichen Kitsch - aber keine intellektuelle Erfahrung.

Von Peter Richter

Zwei Dinge kann man über die Ausstellung "Björk" im Museum of Modern Art in New York jetzt schon sagen: Sie wird, wenn sie diesen Sonntag für das Publikum öffnet, lange Warteschlangen produzieren. Und es ist selten mal eine Schau bereits vor der Eröffnung dermaßen in der Luft zerpflückt worden wie diese. "Desaster", "Starfucking" und vor allem "Hard Rock Café" sind Vokabeln, die durchs Netz geisterten, kaum dass der Presserundgang vorüber war. Inwieweit das eine mit dem anderen zu tun hat und ob das eher gegen oder für die Sache spricht, das sind jetzt so die Fragen.

Denn besonders kontrovers ist die Person, der diese Retrospektive gilt, ja eigentlich gerade nicht. Die aus Island stammende Sängerin Björk Gudmundsdóttir, genannt Björk, teilt die Menschheit eher seit Jahrzehnten zuverlässig in zwei Lager: in Bewunderer - und in solche, die mit ihrer Musik, mit ihrer Art zu singen und mit all dem Feen- und Elfenhaften, das ihr zu Recht oder Unrecht dauernd attestiert wird, zwar weniger anfangen können, aber trotzdem zugestehen müssen, dass da ein Werk geschaffen wurde, das Respekt verlangt. Totale Unkenntnis oder Ablehnung ist schwer möglich. Dafür waren die Videos, die Kostüme, nicht zuletzt die Sounds immer schon zu bemerkenswert und avantgardistisch.

Man muss etwas nicht zwingend auf der eigenen Playlist haben, um anzuerkennen, dass es den kulturellen Kanon erweitert, indem es fortwährend an den Grenzen des technologisch und ästhetisch Denkbaren zerrt. Es umgekehrt mit Songs, die man nicht mitsingen kann, zu der Art von Popularität geschafft zu haben, die dem Pop seinen Namen gab: Das ist auch wiederum eine Leistung eigenen Rechts.

"Björk ist der Inbegriff der Neunzigerjahre-Künstlerin"

Wenn aus der Welt des Pop je wirklich jemand prädestiniert war, vom MoMA interessant gefunden zu werden, dann am ehesten wohl tatsächlich Björk. Denn auf der anderen Seite steht eben dieses Museum, das mit seinen verschiedenen Departments versucht, auf möglichst vielen Gebieten den "state of the art" der visuellen Kultur abzubilden, und deshalb auch vor ein paar Jahren schon die Smartphone-App erworben hat, die Björk anlässlich des Albums "Biophilia" entwickeln ließ.

Außerdem arbeitet an diesem Museum Klaus Biesenbach, der sich als Kurator in den Neunzigerjahren einen Namen gemacht hat, als es in der bildenden Kunst generell viel um Kollaborationen und Überwindung der Grenzen zwischen den kreativen Gattungen ging. Björk, sagt er, sei gewissermaßen der Inbegriff einer Neunzigerjahre-Künstlerin; sie habe getan, was damals auch Leute wie Pipilotti Rist oder Doug Aitken umtrieb.

Björk, könnte man auch sagen, hat da weitergemacht, wo der Performer Leigh Bowery 1994 aufhören musste. Es spricht deshalb einiges dafür, "Björk" als letzte Ausstellung der Neunzigerjahre zu begreifen. Die Idee dazu stammt jedenfalls bereits von damals. Es hat dann halt nur noch anderthalb Jahrzehnte und eine gescheiterte Beziehung mit dem Künstler Matthew Barney gebraucht, damit auch Björk bereit war, Rückschau zu halten, was bisher ganz sicher nicht ihre übliche Blickrichtung war. Es ist aber nun einmal die eines Museums.

Für das MoMA prädestiniert

Mid-Career Retrospective, wie das in der nüchternen Terminologie des Kunstbetriebs heißt, klingt halt immer ein bisschen nach Midlife-Krise oder zumindest nach biografischem Wendepunkt. Björk, die man auf einer Wand des MoMA in dem Video zu "Big Time Sensuality" von 1993 noch wie eine Urmutter aller sogenannten Girlies auf einem durch Manhattan fahrenden Sattelschlepper tanzen sieht, wird im nächsten Jahr fünfzig und hat der Welt auf ihrer aktuellen Platte "Vulnurica" soeben den Kummer über das Zerbrechen ihrer Partnerschaft mitgeteilt.

Das Video zu dem trennungsverarbeitenden Song "Black Lake" ist in zweifacher Hinsicht tragisch. Erstens weil man sie natürlich nicht gerne so unglücklich sieht. Zweitens aber, weil sie sich da barfuß in der kargen, kalten Lava-Landschaft Islands stehend nach Schlagersängerinnenart mit der Faust gegen das gebrochene Herz trommelt und am Ende von dannen schwebt. Und ausgerechnet das ist als Auftragsarbeit für die Sammlung des MoMA entstanden, welches einen Kinosaal weiter selber vorführen darf, dass eigentlich jedes von Björks früheren Videos avancierter war.

Blörk Ausstellung MoMA

Es gibt sie noch: Die gefühlvollen Roboter aus Björks Video zu "All is full of Love" von 1999.

(Foto: Reuters)

Die Zusammenarbeit mit Leuten wie Michel Gondry, Spike Jonze, Chris Cunningham hat Dinge hervorgebracht, die als Musikclips auf MTV immer ein bisschen unter Wert verkauft wirkten. Heute, wo es MTV als Abspielstation nicht mehr gibt, sondern nur noch Youtube, die Bildschirmchen von Smartphones und deren dürren Schepperklang, kann man im Prinzip nur dankbar sein, wenn einem dafür mal ein Kino mit ordentlichen Lautsprechern hingestellt wird.

Die Aversionen gegen Popkultur, Mode und Celebrities sind zuverlässig und heftig

Wird durch dieses Setting aus künstlerisch ambitionierten Musikvideos nun tatsächlich Videokunst mit Musik? Werden die Plattencover, wenn sie wie Ikonen an die Wand des Museums gehängt werden, vom Artwork zu "works of art"?

In den späten Neunzigern wäre es noch auf die Antwort hinausgelaufen, dass der Unterschied irrelevant sei. Genau das ist fünfzehn Jahre später offenkundig anders. Es gibt das in Amerika oft und gern gebrauchte Wort "Backlash". Es mit Gegenreaktion zu übersetzen, würde die Vehemenz nicht ganz zum Ausdruck bringen, die das beinhalten kann. Die Grenzen, die in den Neunzigern geschleift werden sollten, werden inzwischen auffällig häufig eher wieder betont - besonders oft mit Blick auf das MoMA, das offenkundig immer noch zu sehr als zentrale Kanonisierungsanstalt des Kunstbetriebes gebraucht wird, um widerspruchslos Künsten geöffnet werden zu können, deren Valorisierung, wie eben beim Pop, eher über die Breite als über die Spitze erfolgt.

Ausgerechnet in Amerika sind die Aversionen der engeren Kunstbetriebsangehörigen gegen Popkultur, Mode und Celebrities im Museum so heftig und so zuverlässig, dass sich im Prinzip Kraftwerke antreiben lassen müssten mit der dabei freigesetzten Energie. Hätte das MoMA nicht einen richtigen Künstler finden können stattdessen? Das ist die Frage, die, nur zum Beispiel, Jerry Saltz vom New York Magazine stellt.

Björks Schwanenkleid hängt jetzt an einer Björk-Puppe

Die Gegenfrage könnte lauten, wie viele klassische bildende Künstler es überhaupt gibt, die ähnlich wirksam an den ästhetischen Fronten unserer Gegenwart arbeiten wie die Leute, die jetzt in der Entourage von Björk durch das MoMA rauschen. Kann sein, dass Arca, dieser sehr junge Musikproduzent, nur der Gegenstand eines vorübergehenden Hypes ist; kann aber auch sein, dass es stimmt, was so gehofft wird, dass also dieser junge Venezolaner definiert, wie die nächsten paar Jahre so klingen werden.

Und welcher Bildhauer wäre ähnlich unerschrocken wie der deutsche Modedesigner Bernhard Willhelm; welcher Künstler hätte in den letzten Jahren ein umstritteneres, gehassliebteres, gleichzeitig weltbekannteres Werk geschaffen als der Mazedonier Marjan Pejoski mit dem Schwanenkleid, in dem Björk die Oscar-Verleihung des Jahres 2001 als Versammlung dumm tuschelnder Puten dastehen ließ.

Björk-Ausstellung im MoMA: Im Schwanenkleid von Marjan Pejoski, schrieb sich Björk 2001 in die Mode-Annalen der Oscar-Verleihung ein.

Im Schwanenkleid von Marjan Pejoski, schrieb sich Björk 2001 in die Mode-Annalen der Oscar-Verleihung ein.

(Foto: AFP)

Jetzt kann es an einer Björk-Puppe im MoMA besichtigt werden, zusammen mit den Kostümen von Willhelm, Alexander McQueen und all den anderen. Außerdem gibt es Notizbücher mit Songtexten, sogar Kinderfotos und derlei Dinge mehr. Die Memorabilien aus dem Leben und Schaffen der Sängerin Björk müssen in einem schwarzsamtenen Gedärm aus engen Gängen abgegangen werden, wo ihnen dramatisch Spotlights ins Gesicht leuchten, was gar nicht recht zu dem sonst so minimalistischen, offenen Inszenierungsstil von Biesenbach passen will.

Produktionsreliquien als auratische Objekte

Man bekommt außerdem einen Audioguide verordnet, der jeweils Musik aus dem Album gespielt, dessen Requisiten man da gerade passiert. Dazu spricht eine Isländerin, die nicht Björk ist, einen Text, den sich ein isländischer Autor ausgedacht hat, der ebenfalls nicht Björk ist, und in dem es vage um Björks Leben geht, aber als Märchen. Es ist, leider, ein ziemlicher Kitsch.

Vielschichtigkeit ist ganz offensichtlich das Wort, das einem dazu in den Sinn kommen soll. Oder auch der Begriff der "Immersion", der in den Neunzigern so wichtig wurde. Allerdings wurde damals auch die Rezeptionsästhetik in die Kunstgeschichte eingeführt, und so kann man heute nicht anders, als in dem Björk'schen Labyrinth immerzu auch die Ungeduld, schließlich die Verärgerung der anderen zu sehen.

Kann sein, dass sich an dieser Stelle die ehrenwerte Absicht, eine Ausstellung weniger über als zusammen mit Björk zu machen, nicht besonders auszahlt. Die Präsentation von Produktionsreliquien als auratische Objekte soll hier ein Erlebnis arrangieren, das dem Direktkontakt mit einem berühmten Gemälde (oder besser: den Vorstudien dazu) gleichkommt. Was es nicht so gut liefern kann, ist eine intellektuelle Erfahrung; dafür müsste einem vielleicht auch etwas anderes erzählt werden als Märchen.

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