Süddeutsche Zeitung

Björk:Augenzwinkernd hinter der Quallen-Vulva

Die isländische Sängerin und Avantgarde-Pop-Königin Björk kehrt mit einer sensorischen Überwältigung zurück.

Von Jan Kedves

Man kann ja vieles über Björk sagen, aber nicht, dass sie den Kopf in den Sand steckt. 2015 war das Horrorjahr im Leben der Isländerin: erst das halböffentlich ausgetragene Ende ihrer zuvor so symbiotischen Beziehung zum Kunst-Adonis Matthew Barney, welches Björk in ihrem arg zähflüssigen Herzkrampf-Album "Vulnicura" vertonte. Dann richtete ihr der deutsche Megakurator Klaus Biesenbach am New Yorker MoMA eine Einzelausstellung aus, die überall als platt verrissen wurde, von der Kunst- wie von der Popkritik.

Zwischen die Stühle geplumpst und sitzengelassen, unter Wert verkauft beziehungsweise ausgestellt, und dann auch noch mit einem Album auf Tour, das, wie die Sängerin in einem Interview selbst sagte, für sie intern irgendwann nur noch den Titel "Hölle" trug. Ja, Björk hätte viel länger als zwei Jahre brauchen können, um künstlerisch wieder auf die Beine zu kommen.

Man braucht zum Anhören kein neues digitales Werkzeug

Aber nichts da. "The Gate" (One Little Indian) heißen die neue Single und das neue Video der 51-Jährigen, sie feierten am Wochenende am Rande der Londoner Fashion Week Premiere und sind inzwischen im Netz zu hören und zu sehen. Hören und sehen sind dabei die Stichworte, denn das eine sollte man ohne das andere nicht tun. Das sollte man ja bei Pop, insbesondere bei Björk, sowieso eigentlich nie, wobei die Künstlerin es einem zuletzt rein technisch nicht leicht machte. Björks Begeisterung für neue Technologien wie interaktive Apps oder Virtual-Reality-Videos stand nämlich irgendwann in einem diametralen Verhältnis zur Begeisterung ihres Publikums, das zunehmend weniger Lust verspürte, zum Konsum jeder einzelnen künstlerischen Äußerung von Björk wieder irgendein neues digitales Werkzeug aus dem Netz installieren zu müssen.

Ja, Björk schien Pop ganz hinter die Schranken ihrer eigenen Björk-Software verlagern zu wollen. "The Gate" gibt es nun aber, fast altmodisch, frei auf Youtube zu sehen. Gut so. Spätestens hier sollte man also in die Beschreibung einsteigen.

Wir sehen Björk von hinten, wie sie in einer Art digital animiertem Kornfeld sitzt und für eine Schar extraterrestrisch aussehender Tiere, die aus einer Nebenhandlung von Luc Bessons "Valerian"-Film stammen könnten, eine kauzige kleine Melodie flötet. Dann dreht sie sich um, und wir sehen, dass sie eine Art Quallen-Vulva im Gesicht trägt. Björk trägt, das muss man wissen, seit einer Weile fast nur noch Masken im Gesicht, vielleicht ist es ihr kreativer Umgang mit dem Altern, die ungiftige Alternative zu Botox oder ihr Kommentar auf automatische Gesichtserkennung. Die Masken erinnern jedenfalls an jene Science-Fiction-Hutkreationen, die der Londoner Star-Modist Philip Treacy schon seit langem Grace Jones auf den Kopf schneidert, nur dass der Hut bei Björk eben ins Gesicht gerutscht ist. Kaum hat Björk uns durch ihre Quallen-Vulva vielsagend zugezwinkert, tauchen wir ein in einen schwarzen hermetischen Raum, der sehr weit draußen oder sehr tief drinnen liegen könnte und in dem jede Bewegung nur noch vom Sound gesteuert wird.

Der Sound besteht aus kristallinen, stark prozessierten Flötenklängen. Der genialische junge Produzent Alejandro Ghersi alias Arca aus Venezuela, mit dem Björk wieder zusammengearbeitet hat, lässt sie einem elastischen Taktmaß gehorchen und türmt sie zu wunderbaren, gleich wieder in sich zusammenfallenden digitalen Kaskaden auf. Jede Kaskade entfacht ein Feuerwerk der spektralfarben herumwirbelnden und zischenden CGI-Animation, dazu singt Björk eine immer gleiche Melodie: Ich kümmere mich um dich, du kümmerst dich um mich, alle Töne innerhalb einer Quinte.

Ohne Video wäre der Song langweilig, ohne Song ergäbe das Video keinen Sinn. Zusammen sind sie ein echtes Ereignis, die perfekte Synthese, überwältigen sensorisch, bis der Kopf taumelt.

Kitsch gehört bei Björk immer dazu

Es so herum zu erzählen, ist vermutlich besser. Denn wenn man nacherzählte, was in dem schwarzen Raum an Handlung passiert, müsste man sagen: Zwei Verliebte werfen sich ihre Herzen zu, meine Güte, wie kitschig. Aber der Kitsch, der gehört bei Björk ja auch immer mit dazu, nur wird er im besten Fall eben im Zaum gehalten durch Digitalsound und futuristische Visualisierungen. So war das schon bei dem "All Is Full Of Love"-Video, das der Regisseur Chris Cunningham 1999 für Björk drehte, in dem zwei frisch zusammengeschraubte Roboter sich gegenseitig mit Petting erregten. An dieses Video muss man bei "The Gate" wieder denken, nur dass hier die Zuneigung gleich wilde Funken schlägt.

Ja, während Björk sich irgendwann kokett den Daumen lutscht, schießen die erotisierten Synapsen wie Pyrotechnik aus ihrem kaleidoskopisch ausgefaltetem Zauberkleid heraus. Dass dieses Kleid von Alessandro Michele, dem amtierenden Chefdesigner von Gucci, speziell für Björk entworfen wurde, darum wurde am Premierenwochenende in London natürlich fast schon wieder der größte Wind gemacht. Das Kleid schillert ja auch hübsch perlmuttfarben. Aber eigentlich ist es völlig nebensächlich. Die Hauptsache ist: Björk ist heil wieder zurück.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2017/cag
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