Süddeutsche Zeitung

Debatte um Kolonialgedenken:Bildersturz, denkmalschutzgerecht

Bismarck "vom Sockel holen", aber seine Statue stehen lassen: In Berlin wird gerade eine intelligentere Form des Protests probiert.

Von Peter Richter

Seit ein paar Tagen und noch bis Sonnabend steht ein ungewohnt bunter Bismarck im Berliner Tiergarten. Die Statue des Reichskanzlers sieht auf einmal aus wie kostümiert, und zwar gleichzeitig für Christopher Street Day und Neptunfest: Alle Farben des Regenbogens bedecken die Figur bis zum Pickel auf der Pickelhaube. Darüber liegen wilde Netzstrukturen, die ein bisschen schwindelerregend wirken, da oben auf dem Baugerüst, das das Künstlerduo "Various & Gould" errichten hat lassen. Denn das Berliner Bismarck-Denkmal ist schon ohne Sockel ungefähr sechseinhalb Meter hoch. Various & Gould, das sind eine Frau und ein Mann, die ihre Namen für unwesentlich halten und seit dem Kunststudium in Weißensee zusammenarbeiten, wobei sie "auf meist spielerische Weise sozialrelevante Themen in Angriff" nehmen, wie es auf einem Handzettel heißt.

Das sozialrelevante Thema ist in diesem Fall der Kolonialismus, konkret die sogenannte Kongo-Konferenz, bei der 1884 bis 1885 in Berlin das koloniale Wettrennen der Europäer koordiniert und auch Deutschland zur Kolonialmacht wurde - sowie die Rolle, die Otto von Bismarck als Geburtshelfer dabei gespielt hat. Diese Rolle halten die beiden Künstler bisher für unterbelichtet und wollen sie, wie sie Besuchern mit ostentativer Freundlichkeit erklären, hier nun "mit Farbe ins Heute holen".

Wer sich da über Denkmalschändung aufregt (und Passanten, die das tun, gebe es reichlich), der kann hier insofern beruhigt werden, als eben nicht die Statue selbst, sondern eine Umhüllung aus Pappmaché farbig gepimpt wurde. Die Abformung soll in Einzelteile zerschnitten diesen Samstag, 21. August, heruntergenommen werden, um später, um den Tag des offenen Denkmals am 11. September herum, im Zuge einer Verformungsperformance, kurz "Verformance", kolonialismuskritisch weiterbearbeitet zu werden.

Bismarck werde so "vom Sockel geholt", gleichzeitig bleibt die monumentale Bronze, die der Bildhauer Reinhold Begas 1901 in den Guß gegeben hatte, so, wie sie war. Unter diesen Umständen war das den zuständigen Behörden eine Genehmigung und dem Senat sogar eine Förderung wert, auch das Kulturhaus Savvy Contemporary ist mit an Bord. Wenn das Schule macht, und das Künstlerduo hat noch etliche Statuen in Europa auf der Liste, würde es den ikonoklastischen Impetus der jüngsten Protestbewegungen vielleicht endlich auf ein weniger einfältiges, weniger vormodernes, bildmagisches und dialektikfreies Niveau heben, während Begas' pompöser Bismarck weiterhin wie ein vergessener Opa im Gebüsch stehen und erbost in den Kreisverkehr rund um die zum LGBTQ-Symbol gewandelte Siegessäule starren darf.

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