Katholische Kirche:Gott dealt nicht

Katholische Kirche: Bischof Helmut Dieser.

Bischof Helmut Dieser.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

"Homosexualität ist keine Panne Gottes, sondern gottgewollt im selben Maß wie die Schöpfung selbst": Helmut Dieser, Bischof von Aachen, provoziert die Amtskirche.

Von Hans Hütt

Georg Löwisch, seit zwei Jahren Chefredakteur der Zeit-Beilage "Christ & Welt", zuvor war er sechs Jahre Chefredakteur der taz, hat mit Helmut Dieser gesprochen. Er ist der erstaunlich liberale katholische Bischof von Aachen. Das Gespräch haut einen von den Socken.

Löwisch fragt zu Beginn: "Aber Gott will jeden Menschen auf jeden Fall?"

Dieser antwortet: "Ja, das ist der Deal. Dass er mir nie kündigt. Und dass er meine Entscheidungen immer mit gutem Willen umgibt. Selbst wenn ich mich total ins Off gesetzt habe, selbst wenn ich im Gefängnis gelandet bin - auch dort kann die Stunde der Gnade schlagen. Gott sagt immer: Du kannst sein, wer du bist, wenn du nur wirklich willst."

Wer in der flapsig klingenden Antwort nur einen modischen Slang witterte, hat diesen Bischof gründlich missverstanden. Bloß zu entgegnen, Gott deale nicht, käme ihm nicht bei. Denn ein Deal, der sich aus der Sprache der Ökonomie ins Gehege der Seelsorge verirrte, bliebe eine Vereinbarung auf Gegenseitigkeit. Der Klageweg ist zwar ausgeschlossen, denn wer wollte Gott vor welches Gericht zerren? Und wer wären die Richter, wenn nicht er selbst? Kann Gott sich Dispens erteilen und sich für befangen erklären? Das wäre ja noch schöner! Wen würde er an seine Stelle setzen? Natürlich sich selbst. So viel Chuzpe ist Gott zuzutrauen. Murmelt er vielleicht sogar in seinen Bart: "Mein Reich ist auch von Diesers Welt?"

Es ist naiv zu glauben, das Geschlecht eines Kindes bei der Geburt für immer festlegen zu können

Für Bischof Dieser sind die christlichen Gebote "ein Geländer dafür, wie der Weg Jesu gehen kann". Du kannst dich am Geländer festhalten oder freien Fußes auf schwierigem Gelände deinen Weg suchen. In diesem Interview hören wir einen neuen Advent, die Einkehr der Existenzphilosophie in die rheinisch-katholische Liberalität in den Fußstapfen des katholischen Theologen Karl Rahner. Auf die amtskirchliche Haltung zur Homosexualität antwortet Bischof Dieser mit dem Satz "Was wir in der Schöpfung vorfinden, ist gut. Homosexualität ist keine Panne Gottes, sondern gottgewollt im selben Maß wie die Schöpfung selbst."

Das ist so wunderbar leichtfüßige Dogmatik, dass dieser Bischof das Unfehlbarkeitsdogma vom doktrinären Kopf auf bewegliche Füße stellt. Es gibt keine Pannen. Akzeptiert das doch bitte! Wenn ihr das nicht einsehen wollt, wie sähe euer Pannendienst denn aus? Fegefeuer zu Lebzeiten? Ausschluss aus der Kirche und Verdammnis? Nein! Für die Amtskirche gibt Bischof Dieser die Zarah Leander von heute: "Liebe kann nicht Sünde sein." Die Verantwortlichen für die Christopher-Street-Paraden in Köln und Aachen könnten diesem Bischof einen eigenen Wagen spendieren, denn er hat verstanden und akzeptiert, dass ein Mensch einen anderen annehmen und ihm treu bleiben kann. Das findet seinen Segen, selbst wenn ihm das Ärger mit Rom bereiten wird.

Auch die neuesten identitätspolitischen Differenzierungen werfen Dieser nicht aus der Bahn. Wer etwa des naiven Glaubens wäre, dass das Geschlecht eines Kindes bei der Geburt robust und auf Dauer von dem Geburtshelfer oder der Hebamme festgelegt würde, hat keine Ahnung von den polymorphen Erscheinungsformen von Neugeborenen, ganz zu schweigen von den Wegscheidungen, die auf ein Kind warten, das eines Tages den Eintrag in seinem Pass ändern wird. Auch eine solche Entscheidung respektiert der liberale Bischof. "Es gibt keine 100-prozentige Linearität, dass alle Menschen in gleicher Weise spüren, männlich oder weiblich zu sein." Das kann er auch im Taufeintrag offen lassen - wenn die Eltern mitspielen.

So viel Mut ist erstaunlich. Der Bischof hat einen Deal mit der modernen Schöpfungsgeschichte. Glückauf!

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