Birgit Minichmayr im Interview:"Bei dieser Frau muss eine Ich-Störung vorgelegen haben"

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Adele Spitzeder war die vielleicht erste weibliche Großspekulantin der Geschichte. Die Pleite ihrer Bank trieb Ende des 19. Jahrhunderts Menschen in den Suizid. Jetzt wurde ihr Leben verfilmt - mit Birgit Minichmayr in der Hauptrolle. Im Interview erklärt die Schauspielerin, was der Film mit der aktuellen Finanzkrise zu tun hat, und warum sie so selten im TV zu sehen ist.

Christopher Pramstaller

60 Banken insolvent, ganze Gemeinden pleite und Suizide in ganz Bayern: Als die "Dachauer Bank" bankrott geht, fordern die wahnwitzigen Zinsversprechen der vielleicht ersten Großspekulantin der Geschichte ihren Tribut. Mit Hilfe einer ausgefeilten PR-Maschinerie und eines Schneeballsystems hatte die gescheiterte Schauspielerin Adele Spitzeder eine der zwischenzeitlich größten Privatbanken ihrer Zeit aufgezogen. Als zahlreiche Gläubiger gleichzeitig ihr Geld zurückfordern, bricht alles auseinander. Zahllose Menschen stehen vor dem Ruin, Adele Spitzeder wandert ins Gefängnis. Der Bayerische Rundfunk und der ORF haben ihr Leben in "Die Verführerin Adele Spitzeder" verfilmt. In der Hauptrolle: Birgit Minichmayr, 34. Im Interview erklärt sie, wie erschreckend die Parallelen zur heutigen Krise sind, wie man ohne Unrechtsbewusstsein vom Geld anderer leben kann und warum es heute keine sperrigen Filme mehr gibt.

1977 in Linz geboren, hat Birgit Minichmayr eine steile Theater- und Filmkarriere hingelegt. Aktuell ist sie im Münchner Residenztheater zu sehen. (Foto: Reuters)

SZ: Frau Minichmayr, die Krise des Finanzsystems findet kein Ende. Der Markt ist überhitzt, Banken gehen in die Insolvenz. Auch Adele Spitzeder ging mit ihrer "Dachauer Bank" pleite. Gibt es da Parallelen?

Birgit Minichmayr: Ja, und sie sind wirklich faszinierend. Eine Krise wegen Überwirtschaftung gibt es eben nicht erst seit gestern. Das System der Adele Spitzeder brach aus diesem Grund zusammen und das gleiche Phänomen findet sich kurze Zeit später in der Gründerkrise.

SZ: Und genau wie damals haben alle mitgemacht, im Glauben an den großen Gewinn. Erst die kleinen Leute, dann die Bauern - und wenn sich schließlich irgendwann selbst König Ludwig II. von Bayern Geld bei Adele Spitzeder leihen will, fragt man sich, ob überhaupt jemand verstanden hat, wie das mit den Zinsen funktioniert.

Minichmayr: Verbrieft ist diese Begebenheit zwar nicht, aber auch ohne den König Ludwig II. sind die Dimensionen unglaublich. Bauern haben ihre Höfe verkauft, weil sie dachten, sie könnten alleine von den Zinsen leben. Ganze Gemeinden haben der "Dachauer Bank" ihre Finanzen anvertraut. Adele Spitzeder hat die Menschen mit dem Versprechen verführt: Wenn ihr mir etwas gebt, dann bekommt ihr sofort etwas zurück.

SZ: Aber wie schafft man so etwas? Adele Spitzeder war eine erfolglose Schauspielerin, die weder gut wirtschaften noch irgendwelche Sicherheiten anbieten konnte.

Minichmayr: Sie muss eine ungemeine Ausstrahlung besessen und irrsinnig imponiert haben. Und sie hat von Anfang an ganz offen gesagt, dass sie keine Sicherheiten bieten kann. Darauf haben die Leute nach dem Motto reagiert: Wenn es keine Sicherheiten gibt, dann macht das nichts. Wir halten schon alle zusammen.

SZ: Die Menschen gingen davon aus, Adele Spitzeder sei eine Wohltäterin und haben ihr deshalb vertraut. Aber war sie das wirklich?

Minichmayr: Sie hat tatsächlich viel für das Volk getan. Sie ließ einen Kirchturm bauen und hat ein Armenhaus gegründet. Aber Wohltätigkeit kann etwas ungemein Eigennütziges sein. Sie füttert das Ego und macht Menschen abhängig. Es gibt eine Szene im Film, in der sie Geld an die Armen verteilt. Eine sehr starke Szene, die sie vielleicht in einem etwas zu wohltätigen Licht zeigt. Die Persönlichkeit dieser Frau liegt irgendwo zwischen Bernard Madoff und Robin Hood. Wobei sie für mich ein sehr vampiristischer Robin Hood ist. Sie tut etwas für die Menschen, füllt gleichzeitig aber auch die eigene Tasche.

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SZ: Dann kommt die Krise, die "Dachauer Bank" geht pleite und unglaublich viele Menschen werden in den finanziellen Ruin getrieben.

Birgit Minichmayr mit dem Regisseur Xaver Schwarzenberger (links) und dem Schauspieler Maximilian Krückl während den Dreharbeiten zu "Die Verführerin Adele Spitzeder". (Foto: dpa)

Minichmayr: Die Folgen waren dramatisch. In knapp zwei Jahren hatte sie 31.000 Menschen um insgesamt acht Millionen Gulden geprellt. Ganze Gemeinden waren plötzlich ruiniert und Bauern standen ohne Höfe da. Nicht wenige Menschen hat die Pleite der "Dachauer Bank" in den Suizid getrieben.

SZ: Wie konnte Adele Spitzeder das mit ihrem Gewissen ausmachen? Sie hat während der ganzen Zeit mehrere Häuser besessen und ein Leben im Luxus geführt.

Minichmayr: Diese Frau hatte kein Unrechtsbewusstsein. Das hat mich an dieser Rolle so fasziniert, als ich ihre Memoiren gelesen habe. Sie war keine Wohltäterin sondern eine hochkorrupte Frau, die am Ende ihre Angestellten anklagte und behauptet hat, sie hätte den Laden noch aus den roten Zahlen herausgebracht.

SZ: Das konnte sie nicht ernsthaft glauben. Säckeweise wurde Geld in irgendwelchen Wohnungen gestapelt. Die Buchführung bestand nur aus Quittungszetteln.

Minichmayr: Bei dieser Frau muss irgendeine Ich-Störung vorgelegen haben. Sie kam aus einem reichen Haus, ging auf teure Schulen und wollte auf großem Fuß leben. Und weil sie mit der Schauspielerei nicht genug erwirtschaften konnte, macht sie eine Privatbank auf. Aber viel verrückter ist: nachdem sie wegen des Bankrotts für kurze Zeit ins Gefängnis musste, kommt sie raus und gründet wieder eine Bank. Die hat überhaupt nicht reflektiert, was sie da eigentlich angestellt hat.

SZ: So unsympathisch diese Frau sein mag: Ihr Leben ist von einer großen Tragik gekennzeichnet. Denn die Bank ist im Grunde nur Mittel zum Zweck: Eigentlich will Adele Spitzeder ein Theater bauen und dort als Schauspielerin auftreten.

Minichmayr: Dass es mit der Schauspielerei nicht geklappt hat, ist sicherlich eine tiefe Wunde in ihrem Leben. Unterschätzen sollte man Adele Spitzeder nicht. Sie war ganz kein Dummchen. Literarisch sehr gebildet, hat sie zahlreiche Stücke übersetzt. Dantes Inferno soll auch dabei gewesen sein.

SZ: Adele Spitzeder war eine Frau mit höchst ambivalenter Persönlichkeit. Ist es eine besondere Herausforderung, gerade so eine Rolle zu spielen?

Minichmayr: Auch wenn Adele Spitzeder keine große Sympathieträgerin ist, so hat ihre Chuzpe fasziniert. Mit welcher Verve sie das durchgezogen hat und so verschwenderisch lebte, ohne dass ihr ein Groschen davon selbst gehörte.

SZ: Maliziöse Frauen scheinen Ihnen zu liegen. In Filmen wie Hotel oder dem Polizeiruf Kellers Kind haben Sie ähnlich schwierige Charaktere gespielt.

Minichmayr: Ich glaube an die Widersprüchlichkeit im Menschen. Es gibt überall Kehrseiten. Wir sind komplexe Wesen sind. Das fließt in meine Rollengestaltung ein.

SZ: Wird für sie eine Rolle erst interessant, wenn sie einen schwierigen Charakter hat?

Minichmayr: Schauspieler geben gerne den Verbrecher. Aber wenn ich eine Rolle vollkommen unsympathisch finde, habe ich keinen Zugang und könnte die Rolle nicht übernehmen. Man braucht etwas, das man vielleicht am besten mit Interesse beschreiben kann.

SZ: Vor Adele Spitzeder haben Sie viel Theater gespielt - zuletzt in Salzburg, seit kurzem in München. Wollen Sie nach Adele Spitzeder wieder mehr Filme drehen?

Minichmayr: Nach Alle anderen vor zwei Jahren fehlten schlichtweg spannende Projekte, bei denen ich unbedingt dabei sein wollte. Ich bin sehr wählerisch und suche meist die Zusammenarbeit mit bestimmten Regisseuren. Gerne würde ich viel mehr sperrige Filme machen. Leider finanziert das heute aber kaum mehr jemand.

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