Biologie:Der Killer aus dem Märchen

Biologie: Nettes Raubtier? Ein europäischer Grauwolf. Abbildung aus dem besprochenen Band

Nettes Raubtier? Ein europäischer Grauwolf. Abbildung aus dem besprochenen Band

In Westeuropa breitet sich der Wolf wieder aus. Die Biologin Bärbel Oftring und die Zeichnerin Theresa Schwietzer machen Werbung für ihn.

Von Rudolf Neumaier

Der böse Wolf braucht gute Lobby. Zu diesem Zweck hat die Biologin Bärbel Oftring ein Kinderbuch verfasst, illustriert hat es Theresa Schwietzer. Mit Ausklappseiten ist es aufwendig gestaltet. Abgesehen vom Reh, das die Wölfe mit gefletschten Zähnen reißen, sind die Zeichnungen gut. Das Reh aber trägt hier einen Schweif wie ein English Setter. Das wirft die Frage auf, wie viel die Urheberinnen in ihrer Fixierung auf den Wolf von der Wildtierwelt verstanden haben. Nein, liebe, liebe Kinder, Rehe haben keinen Hundeschwanz. Und nein, der Wolf ist bei Weitem nicht so stark vom Aussterben bedroht wie Nashörner, und wie die Autorin suggeriert.

Am Ende schreibt Oftring, Europa sei die natürliche Heimat der Wölfe. "Im Umgang mit ihnen können wir zeigen, dass unsere Appelle an die Menschen anderer Länder, die dort heimischen Tiger, Elefanten, Nashörner und andere Wildtiere zu schützen und alles für deren Erhalt zu tun, wirklich ernst gemeint sind und auch für uns selber gelten." Wenn nun aber ein denkendes Kind vorblättert auf die Doppelseite mit der Überschrift "Lebensraum", wird es beim Blick auf die eurasische Karte grübeln: Nanu, der Wolf ist ja sehr, sehr weit verbreitet. Er kommt in der ehemaligen Sowjetunion ebenso vor wie in der Türkei, in Italien, Polen, Spanien, auf dem Balkan, in den Pyrenäen und in Deutschland. Alle Eltern, die nach einem Vorleseabend mit dem Buch um die Tierart Canis lupus bangen, können beruhigt werden. Das Bundesumweltministerium meldet: "Der positive Trend der Populationsentwicklung und die damit verbundene Ausbreitung des Wolfes insgesamt hält weiter an."

Faszinierend ist der Wolf, keine Frage. Das haben Wildtiere an sich, vom Mauswiesel bis zum Wisent. Die Wolfsbiologie beschreibt Bärbel Oftring so, wie es Grundschulpädagogen für den Heimat- und Sachunterricht aufbereiten würden. Wobei die Verlagsempfehlung "ab 6 Jahren" stutzen lässt. Denn Bärbel Oftring lässt wie selbstverständlich Begriffe wie "GPS" und "Hormonspiegel" fallen. Sie traut ihrer Klientel einiges zu. Und dass mitten im Text ein Quellennachweis wie das "Bundesamt für Naturschutz nach den Monitoringdaten der Bundesländer Stand November 2018" eingeflochten wird, dürfte die geneigte Jungleserschaft ebenfalls begrüßen. Respekt, werden achtjährige Leserinnen raunen, das ist ja mal sauber recherchiert.

Aber wozu muss der Wolf im Wald vor dem eigenen Dorf vorkommen? Wozu muss er sich in Gebiete ausbreiten, in denen Bauern ihre Nutztiere weiden lassen und Tierarten wie der Rothirsch aus forstwirtschaftlichen Gründen schon lange nicht mehr existieren dürfen? Wenn der Wolf kommt, würden sich Rehe, Hirsche und Wildschweine besser im Wald verteilen, schreibt Oftring. "Dadurch können sie Bäume und Sträucher viel weniger schädigen, als wenn sie stets mehr oder weniger an denselben Stellen leben und fressen. So gibt es mehr Nahrung für Insekten."

Das klingt, als seien Rehe und Wildschweine fürs Insektensterben mitverantwortlich. Als Märchen funktionieren die Geschichten von Rotkäppchen, den sieben Geißlein und dem Wolf dann doch besser.

Bärbel Oftring : Wölfe. Mit Illustrationen von Theresa Schwietzer. Gerstenberg-Verlag, Hildesheim 2020. 64 Seiten, 20 Euro.

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