Biografie von Paula Thiede:Rund um den Mehringplatz

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Paula Thiede wurde am 6. Januar 1870 in Berlin als Pauline Berlin geboren. Sie starb am 3. März 1919. (Foto: oh)

"Frau Berlin" - eine Biografie der fast vergessenen Gewerkschafterin und Arbeiterführerin Paula Thiede.

Von Susan Vahabzadeh

Frau Berlin ist ein ziemlich passender Name für Deutschlands erste Gewerkschaftsvorsitzende. Der Historiker Uwe Fuhrmann nennt Paula Thiede so in seinem Buch "Frau Berlin", mit Mädchennamen hieß sie nämlich wie die Stadt, aus der sie stammte. Paula Berlin wurde 1870 in der Nähe des Belle -Alliance- Platz geboren, der heute Mehringplatz heißt und in dessen Nähe das Willy Brandt-Haus steht. Was irgendwie passt: Paula Thiede war eine der ersten Arbeiterführerinnen, eine Zeitgenossin von Clara Zetkin - aber heutzutage ist sie dennoch fast vergessen.

Thiede arbeitete im Buchdruck, sie war Bogenanlegerin. Uwe Fuhrmann lässt in seinem Buch nicht nur das Leben von Paula Thiede selbst Revue passieren, er versucht es einzuordnen in die Verhältnisse ihrer Zeit. Wer weiß schon heute noch, was Trockenwohnen bedeutet? Das hat auch Paula Thiede getan, sie zog, als ihr erster Ehemann verstorben war und sie zwei kleine Kinder allein versorgen musste, in einen halbfeuchten Neubau, damit er schneller für die eigentlichen Mieter bewohnbar wurde. So begann Paula Thiede, sich zu engagieren - und brachte es schließlich, 1898, zur ersten Vorsitzenden des "Verbandes der Buch- und Steindruckerei-Hilfsarbeiter und -Arbeiterinnen Deutschlands".

Frauen in der Arbeiterbewegung sind kein besonders gut erforschtes Feld. Nur sehr wenige Bücher beschreiben die Lebensumstände von Arbeiterinnen während der industriellen Revolution und kurz danach, obwohl die Bedingungen für sie nicht viel besser waren als, beispielsweise, bei Kinderarbeit - die Kinderarbeit in Großbritannien geht in weiten Teilen darauf zurück, dass Fabrikarbeiterinnen so wenig Lohn bekamen, dass sie ihre Kinder nicht davon ernähren konnten. Auch in einer Berliner Druckerei zur Jahrhundertwende bekamen Frauen nur einen Bruchteil dessen, was ihre männlichen Kollegen verdienten.

Es war eine schwierige Recherche, schreibt Uwe Fuhrmann - denn fast alles, was er über Frau Berlin zu erzählen hat, musste er sich mühselig aus Originalquellen zusammensuchen, und so füllt er manchmal die biografischen Lücken mit informierten Vermutungen darüber, wie es wohl gewesen ist.

Niemand weiß heute noch, was die beiden Ehemänner von Paula Thiede zum Engagement ihrer Frau zu sagen hatten, aber ungewöhnlich war es auf jeden Fall, dass sie sie gewähren ließen, und Fuhrmann kann beispielsweise ganz gut nachvollziehen, dass sie den zweiten wohl in Aktion bei einer Sitzung kennengelernt hat. Er wusste also, worauf er sich einließ. Vielleicht hat ihm ja gerade das gefallen.

Uwe Fuhrmann: "Frau Berlin". Paula Thiede. Vom Arbeiterkind zur Gewerkschaftsvorsitzenden. UVK, Tübingen 2019. 229 Seiten, 17 Euro.

© SZ vom 02.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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