Biografie:Starrsinn

Marcel Feige zeigt Mahatma Gandhi als zwiespältig großen Menschen. Der geniale Revolutionär, dem Indien seine Unabhängigkeit verdankt, wird hier mit Charisma und heftigen Widersprüchen dargestellt.

Von Harald Eggebrecht

Einen genialen Mann in seinen heftigen Widersprüchen schildert Marcel Feige in seiner so sorgfältig wie knapp erzählten (leider mit vielen Druckfehlern übersäten) Biografie über Gandhi, den Vater der indischen Unabhängigkeit von britischer Kolonialherrschaft. Feige zeigt mit pathosfreiem Respekt den Inspirator, der Askese und Gewaltlosigkeit als Instrumente des Widerstands einsetzte und den indischen Subkontinent mit ungeheurem Charisma aus der kolonialen Gefangenschaft führte.

Doch in den Prinzipien von Enthaltsamkeit, Luxusverweigerung, Vegetarismus, vermeintlicher Energiegewinnung aus Keuschheit liegt auch etwas Rigides, "Verbohrtes", wie sogar der Mitstreiter und spätere indische Premierminister Jawaharlal Nehru über den Verehrten gesagt hat. Wie Gandhi mit seiner Frau und seinen Söhnen umsprang, zeugt von Engherzigkeit und Starrsinn. Wie so oft entpuppt sich ein vorbildhafter Menschheitslehrer im familiären und freundschaftlichem Umgang als schwierige, ja, autoritäre Charaktere, nach deren vermeintlich allgemeingültigen Normen alle und zuerst die Familie zu funktionieren haben. Also muss Gandhis Frau Kasturba zuerst seine bedrängende sexuelle Gier ertragen, später die abrupte Abkehr von jeder körperlichen Liebe. Mehrfach will sie ihn verlassen, doch Gandhi, ein begnadeter Haarspalter in seinen Argumentationen, kann sie immer wieder davon abbringen. Feige zeichnet den Weg nach, auf dem Gandhi zum Asketen, Brieffreund des ähnlich radikal denkenden russischen Romanciers Lew Tolstoi wird, zum Gegner der Moderne, der sich von fortschrittlicher Medizin abkehrt. Aber dankbar ist, als ihm der Blinddarm operiert wird. Auch dass der Apostel der Gewaltlosigkeit sich umstandslos in Kämpfen gegen die Buren und im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Briten engagiert und selbst Ambulanz-Corps aufstellt, verstört und belegt seine Widersprüchlichkeit. Gerade, weil Feige diese Zwiespältigkeit in Wesen und Wirken Gandhis nicht zugunsten einer zweifelsfreien Heiligenlegende beiseite lässt, faszinieren dann die Hartnäckigkeit, die kämpferische Gewitztheit und der unbedingte Wille, mit dem Gandhi seine Ziele verfolgt hat, von denen die Unabhängigkeit Indiens nur eines war. Verständlich wird auch, dass es wohl trotz aller Einwände immer ein enormes Maß an Egomanie, an Ichbezogenheit bei jemandem geben muss, der sich einer weltverändernden Aufgabe stellt, will er sie denn lösen. Aus dieser unübertragbar eigenen Kraft schöpfte auch der Rebell und Asket Gandhi.

Marcel Feige: Gewaltloser Rebell. Die Lebensgeschichte des Mahatma Gandhi. Beltz & Gelberg, Weinheim 2016. 227 Seiten, 16,95 Euro.

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