Süddeutsche Zeitung

Biografie:Hinter den Spiegeln

Comic-Chamäleon: Der niederländische Zeichner Typex hat ein 550-Seiten-Opus über Andy Warhol verfasst, das so wandelbar wirkt wie sein Sujet. Die rätselhafte Figur Warhol aber kann auch er nicht entschlüsseln.

Von Thomas von Steinaecker

"Los, Junge!", rufen Micky Maus, Dick Tracy und all die anderen Comic-Figuren, die sich um den kleinen Andy versammelt haben. Sie deuten auf den Spiegel über dem Waschbecken. "Das ist der Weg zum Ruhm." Ein verführerischer Satz für das Kind bettelarmer Auswanderer aus den Karpaten, die in einer winzigen Wohnung in Pittsburgh wohnen. Aber so oft sich Andy, wenn er nicht schlafen kann, in die Welten seiner geliebten Comics flüchtet - jetzt zögert er. "Da ist nichts ... nur ich ...", stammelt er, nur um es dann kopfüber doch noch zu wagen.

Das ist nicht bloß ein brillanter, sondern vielleicht sogar der bestmögliche Einstieg für die Biografie über einen Künstler, von dem das Bonmot stammt, er bestehe lediglich aus Oberfläche mit nichts dahinter. Die Hürde, Teil der Flut von Comic-Biografien über bekannte Persönlichkeiten zu sein, nimmt dieses 550-Seiten-Opus also spielend. Trotz hervorragender Ausnahmen mag man sie ja eigentlich nicht mehr sehen, all die gezeichneten Schnellkurse, die biografische Stationen abhaken und dabei selten einen Wikipedia-Artikel an Informationsgehalt übertreffen. Am schlimmsten wird es freilich bei Werken über Maler, wenn etwa Schiele, Monet oder Picasso nicht nur als ihr eigenes Stereotyp auftreten müssen, sondern ihre Gemälde als Zitat in Panels eingefügt werden - was dann stets vor Augen führt, wie wenig sich am Ende klassische Malerei und Comics miteinander vertragen.

Anders verhält es sich da bei Andy Warhol. Einem Künstler, der einerseits seine Wurzeln in der Popkultur und Werbegrafik hat, andererseits wie kein zweiter selbst zu Lebzeiten zur Ikone, ja, in gewisser Weise zur Comic-Figur geworden ist. Zugleich ist die Bedeutung Warhols und seiner Werke mehr als bei anderen Malern nur aus dem Kontext ihrer Zeit zu verstehen, da sie andernfalls zum teuren Deko-Element verkommen. All das liefert dem bislang hierzulande kaum bekannten niederländischen Künstler Typex, der seit den 1980ern Comics und Illustrationen zeichnet, die Steilvorlage für ein Opus magnum, dessen Konzept sofort neugierig macht, so ungewöhnlich und zugleich passend scheint es für sein chamäleonartiges Sujet: zehn Kapitel, jedes in einem völlig anderen Stil, der sich nach der jeweiligen Zeit richtet.

Auch wenn man viele der Geschichten schon gehört hat, ist man doch schnell angetan von Typex' Anspielungsreichtum und Wandlungsfähigkeit. So erleben wir Warhols Kindheit in den 1930ern als Mischung aus "Little Nemo", "Krazy Kat" und russischen Bilderbögen. Sein Durchbruch zu Beginn der 1960er, die Entstehung der "Factory", die ausschweifenden Nächte in der Schwulenszene New Yorks werden folgerichtig im Pop-Art-Modus erzählt, bevor das Buch mit der tragischen Geschichte der Warhol-Muse Edie Sedgwick zum Pulp-Comic wird; wenn kurz darauf Warhol bei Velvet Underground die Regler übernimmt, streiten sich Lou Reed und Nico in psychedelischen Farben; um sich, wenn er bei den 1980ern angelangt ist und Warhols Leben die Angst vor Aids und dem Älterwerden bestimmen, in nüchterne schwarz-weiße Flächen zu verwandeln.

Die Meisterschaft Typex', sich all diese Stile geradezu traumwandlerisch anzueignen, ist imponierend, ebenso wie sein Vorhaben, auch ja jeder Figur aus der umfangreichen Entourage Warhols einen Seitenplot zu schenken. Dieser Wille zur Lückenlosigkeit bringt aber mit fortschreitender Lektüre ein nicht geringes Problem mit sich. Das Buch läuft Gefahr, zu viel des sehr Guten zu sein. Typex ist ein brillanter Zeichner; dramaturgisch hat er oft Mühe, die Fülle an Ereignissen und Figuren zu bewältigen. Da helfen auch die zwölf charmanten Sammelbilder nichts, die am Anfang von jedem der zehn Teile die Hauptprotagonisten der folgenden Seiten vorstellen. Zu viele der Episoden führen ins Plot-Nirwana oder sind von geringem Erkenntnisgewinn. Als Beispiel möge der Auftritt David Bowies dienen, der sich völlig unvermittelt als Pantomime betätigen darf, ansonsten aber nichts zur Handlung beiträgt. Das alles fällt zu Lasten der differenzierten Darstellung jener Figur, um die es eigentlich geht. Zu oft gibt Warhol grenzbeschränkte Sätze von sich, etwa, wenn er mit Velvet Underground im Aufnahmestudio sitzt: "Ich find's sooo aufregend." Suggeriert der Aufwand, der hier getrieben wird, tatsächlich hinter den Spiegel und die Oberfläche zu schauen, wird man also enttäuscht. Die Ikone Warhol ersetzt Typex durch eine seelenlose Karikatur. Nur am Anfang und am Ende gestattet sich das Buch, in jene Tonart zu wechseln, die es selbst im Untertitel trägt: die des "Fairytales", des Märchens. Und plötzlich geschieht etwas Unerwartetes: Indem der Autor sich einmal nicht an die Fakten hält, wird die rätselhafte Figur Warhol plötzlich greifbar, in ihren Sehnsüchten, ihrer Zerbrechlichkeit - und Menschlichkeit.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2018
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