Biografie:Hildebrand Gurlitt - Hitlers Kunsthändler

Er war ganz nah an den Quellen von Raubkunst und kaufte "rauschhaft". Ein neues Buch erhellt Leben und Netzwerke des besessenen Sammlers und Nazi-Profiteurs.

Buchkritik von Ira Mazzoni

Wer war dieser Mann, der glaubte, den Tiger reiten zu können? Wer war er, der angeblich alles im Krieg verloren hatte, am Ende seines Lebens jedoch mehr als 1500 Artefakte sowie Konvolute von Briefen, Rechnungen, Geschäftsbüchern hinterließ, die das Leben seine Sohnes unter der Last von Heimlichkeiten begruben?

Die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann und die Kunstkritikerin Nicola Kuhn präsentieren nun die erste umfassende Biografie Hildebrand Gurlitts (1895 - 1956). Und das Buch hat Brisanz. Denn die Autorin - Projektkoordinatorin der Forschungsstelle "Entartete Kunst" an der Freien Universität Berlin - sammelte schon länger Material zu Hildebrand Gurlitt. Schließlich gehörte er zu dem engen Kreis von vier privilegierten Händlern, die vom Propagandaministerium autorisiert wurden, die in deutschen Museen beschlagnahmte "Entartete Kunst" gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Und dabei wurde er offenbar vom zuständigen Funktionär Rolf Hetsch in besonderem Maße bevorzugt.

Hildebrand Gurlitt musste nicht, wie die anderen auf Kommissionsbasis arbeiten. Gleich sein erster Ankauf war ein gut eingefädelter Coup: Innerhalb eines Tages verkaufte er sechs Gemälde von Wassily Kandinsky und ein Werk von Robert Delaunay mit 1000 Franken Gewinn an die Galerie Gutekunst und Klipstein in Bern. Diese vermittelte die Bilder an das Guggenheim-Museum in New York.

Handelsbeziehungen, die noch dem Sohn den Lebensunterhalt sicherten

Spätestens seit diesem 20. Februar 1939 unterhielt Gurlitt demnach beste Beziehungen zum Schweizer Kunsthändler August Klipstein. Auch dem Nachfolger Eberhard W. Kornfeld hielt er die Treue. Auf diese gewachsene Handelsbeziehung konnte sich noch Hildebrands Sohn Cornelius verlassen, wenn er mal wieder eine expressionistische Grafik zum Zwecke des Lebensunterhalts veräußern musste. Dass das Kunstmuseum Bern den sorgsam gehüteten Bilderschatz erben soll, erscheint vor diesem Hintergrund nur konsequent.

Meike Hoffmann verteidigt mit dieser Biografie vor allem ihren sorgsam abgesteckten Claim, dessen hermetische Grenzen durch den sogenannten Münchner Kunstfund löchrig wurden. Plötzlich interessierte sich jeder für den "Nazi-Kunsthändler", der vermeintlich Massen von Raubkunst versteckt hatte. Journalisten bewiesen, dass sie in Archiven schnell fündig werden konnten. Schon im letzten Spätherbst veröffentlichte Thames and Hudson die soliden Recherchen von Catherine Hickley zum Münchner Kunsthort (jetzt auch auf Deutsch: Gurlitts Schatz. Hitlers Kunsthändler und sein geheimes Erbe, Czernin-Verlag, Wien 2016, 325 S., 24.90 Euro.).

Unterdessen war Meike Hoffmann zum Stillschweigen verpflichtet. Denn sie war die Fachfrau der ersten Stunde, als es darum ging, den von der Staatsanwaltschaft in der Münchner Wohnung von Sohn Cornelius Gurlitt beschlagnahmten Kunstbesitz zu identifizieren. Früher als andere hatte sie Einsicht in die Geschäftsbücher. Wer aber von dem prominenten Mitglied der inzwischen aufgelösten "Taskforce Schwabinger Kunstfund" einen Enthüllungsroman erwartet - wird enttäuscht.

Der Druck, ein "echter Gurlitt" zu werden

Hoffmann verknüpft "ihre" Quellen aus nicht näher benanntem Privatbesitz mit dem, was seit dem Kunstfund ohnehin öffentlich geworden ist. Für den Schlussakkord des Buches - die Schilderung des Falls und der daraus resultierenden Konsequenzen für die Provenienzforschung - übernimmt die Kulturredakteurin des Tagesspiegel, Nicola Kuhn, die Erzählung.

Hoffmann zeichnet das Porträt eines Mannes, der von Beginn an unter dem Druck des Professoren-Hauses steht, ein "echter Gurlitt" zu werden. Zeitlebens wird er die Büste seines berühmten Vaters Cornelius Gurlitt, des deutschen Barock-Papstes und Denkmalpflegers, von Schreibtisch zu Schreibtisch schleppen. Des Vaters Netzwerke öffnen anfangs Türen in die Kunstwelt. Aber Hildebrands Domäne wird die Avantgarde.

Museen sind Marktplätze. Es wird gekauft und verkauft

Sein erstes Museum in der Industriestadt Zwickau macht er zu einem Zentrum der Moderne und der Arbeiterbildung. Nebenbei baut er die erste große Sammlung zeitgenössischer künstlerische Fotografie für den Dresdner Industriellen Kurt Kirchbach auf. Es entsteht eine enge Freundschaft, die über Zeiten erzwungener Arbeitslosigkeit hinweg hilft. Seit den Zwanzigerjahren handelt der junge Kunsthistoriker auch mit Kunst - mit Briefkopf des Museums, was damals nicht unüblich ist. Museen sind Marktplätze. Es wird gekauft und verkauft.

Als Hildebrand Gurlitt wegen nationalistischer Hetze gegen seinen leidenschaftlichen Moderne-Kurs erst den Job in Zwickau und später auch noch den als Leiter des Kunstvereins Hamburg verliert, verlegt er sich ganz aufs Handeln. Als die antisemitischen Gesetze verschärft wurden und Hildebrand wegen seiner jüdischen Großmutter um seine Händlerlizenz bangen muss, übernimmt seine Frau Helene die Geschäfte. Sie führt fortan die Bücher für die Steuer und unterdrückt alles Verfängliche.

Hoffmann legt nahe, dass Kontakte zum Evangelischen Bilderdienst Gurlitt den Weg zur Verwertungsstelle "Entartete Kunst" geebnet haben, wo er Verträge über 78 Gemälde, 278 Aquarelle, 52 Zeichnungen und 3471 Drucke abschließt. Vieles davon geht, entgegen den Abmachungen, direkt an seine norddeutschen und rheinischen Sammler. Etliches auch an andere Händler. Vieles behält er selbst. So weit alles bekannt.

Gurlitt soll an der Seine für deutsche Kunst werben

Neu ist, dass Hildebrand Gurlitt "im Interesse des Reiches" bereits im Jahr 1940 ins besetzte Holland reisen darf, wo sein alter Bekannter aus Berliner Studienzeiten, Eduard von Plietzsch, Kunstsachverständiger der Dienststelle Mühlmann geworden ist. Ein weiterer alter Bekannter, der Kunstkritiker Erhard Göpel, findet wiederum ein neues Auskommen im Referat Sonderfragen für die besetzten niederländischen Gebiete. Gurlitt ist damit ganz nah an den Quellen von Raubkunst und kauft "rauschhaft".

Im Juni 1941 beruft dann die Kulturabteilung der deutschen Botschaft in Paris, das Deutsche Institut, Gurlitt in die Seine-Metropole. Er soll Ausstellungen organisieren, für deutsche Kultur werben. Für seine Handelsaktivitäten nutzt er fortan auch die Kuriere der Botschaft. Meike Hoffmann bezeugt darüber hinaus Gurlitts große Nähe zum Deutschen Kunstschutz. Nutznießer waren seine privaten Kunden, genauso wie etliche deutsche Museen.

So war Gurlitt in Paris längst Hans Dampf in allen Gassen, als er von Hermann Voss den Auftrag erhielt, als Einkäufer für Hitlers Linzer Museum tätig zu werden. Wieder zu besonderen Konditionen. Seine letzten Einkäufe tätigte Gurlitt noch nach dem D-Day (6. Juni 1944). Kunst, die er nicht mehr außer Landes bringen konnte, deponierte er bei befreundeten Kunsthändlern und holte sie nach dem Krieg ab, als er wieder in deutscher Kulturmission reisen durfte.

Durch einen Film zur Eile getrieben

Das detailreiche, aber bisweilen betuliche Buch wäre lesbarer, wenn sich die Autorinnen mehr Zeit gelassen hätten, aus einem Sammelsurium von beziehungsreichen Namen und entlarvenden Zitaten eine kohärente Erzählung zu bauen, die Konkurrenzen und Seilschaften unter Kunsthändlern und Kunsthistorikern genau untersucht. Aber die von dem Filmemacher Maurice Philippe Remy angekündigte "wahre Geschichte", trieb Agentur und Verlag zur Eile.

Meike Hoffmann verteidigt ihre nebenberufliche Parforcejagd: Die Biografie werde durch neu ausgewertete Dokumente nicht falsch. Aber präziser. Schließlich geht es um die Entschlüsselung eines Systems, das erheblichen Einfluss auf die Kunstpolitik Nachkriegsdeutschlands gewann.

Meike Hofmann, Nicola Kuhn: Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt 1895 - 1956. Die Biographie. Verlag C.H . Beck, München 2016. 400 Seiten mit 36 Abbildungen, 24,95 Euro.

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