Frank-Schirrmacher-Biografie:Ein durch und durch boshaftes Buch

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Frank Schirrmacher (1959-2014) war Mitherausgeber der FAZ und Autor von Bestsellern wie "Das Methusalem-Komplott" oder "Minimum". (Foto: Regina Schmeken)

Michael Angele porträtiert den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und vergisst über dem Anekdotischen das publizistische Projekt des Journalisten.

Von Andrian Kreye

Am Ende dieser ersten Biografie über den 2014 verstorbenen FAZ-Herausgeber und Bestsellerautor Frank Schirrmacher befindet sich ein fünfseitiges Register mit Namen aus dem deutschen Kultur- und Medienbetrieb. Wer zu diesen Betrieben gehört, wird diese Liste wahrscheinlich als erstes lesen. Es handelt sich dabei aber weniger um eines jener Verzeichnisse, mit denen es einem angelsächsische Sachbücher leichter machen, ein Thema zu erfassen. Es funktioniert eher wie die Namenslisten am Ende der Zeitschrift Bunte, die den aktuellen Klatschkosmos der Republik definieren. Wer sich darin wiederfindet, wird deswegen auch nicht ewig für die Nachwelt zum Kosmos Schirrmacher zählen. Fast sämtliche Figuren sind nur Beweismittel für die These, dass es sich bei Frank Schirrmacher um einen Machtmenschen mit zweifelhaften Methoden und Motiven gehandelt habe.

Überhaupt ist Michael Angeles "Schirrmacher. Ein Porträt" ein geschwätziges und durch und durch boshaftes Buch. Damit verschenkt der Journalist und Literaturwissenschaftler die Chance, ein Stück Geschichte der Bundesrepublik zu beschreiben, das nur selten beschrieben wird - die Geschichte der Ideen und Debatten, die das Land in den letzten dreißig Jahren prägten. Frank Schirrmacher war eine Schlüsselfigur dabei. Ein brillanter Denker, begnadeter Publizist, gerissener Netzwerker und brutaler Chef (es sei denn man gehörte zum Kreis der Talente, die er nach allen Kräften förderte). Angele beschäftigt sich nur mit den beiden letzteren Facetten. Und die hatten damals und vor allem posthum nur wenig Bedeutung für den Lauf der bundesrepublikanische Dinge.

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Manisch kreist das Buch um den Machtmenschen, ohne ihn richtig greifen zu können

Gleich zu Beginn setzt er sich noch ein anderes, aber fast so großes Ziel. "Die Romanfigur, die ins Leben fiel" lautet der Titel des ersten Kapitels. So setzt er einen Ton, den er allerdings gleich unterläuft, indem er die Parallele zwischen Schirrmacher und Astrid Lindgrens Karlsson vom Dach zieht. "Er sei ein ,schöner und grundgescheiter und gerade richtig dicker Mann in den besten Jahren', urteilt er selbst", schreibt Angele im ersten Absatz. Da weiß man allerdings noch gar nicht, dass es sich um Karlsson handelt, das erfährt man erst am Ende der Seite. Und weil man ja eine Schirrmacher-Biografie gekauft hat, weiß man dann auch gleich, haha! Rhetorische Finte. Das wird jetzt aber lustig hier. Auch wenn die Finte gar nicht von Angele stammt, sondern aus einem Schirrmacher-Porträt, das Dirk Kurbjuweit 1999 im Spiegel geschrieben hat. So viel gibt er zu. Ansonsten ist das Buch trotz der 369 Fußnoten vor dem Register nicht so offenherzig, was seine Quellen betrifft.

Lustig wird es aber nicht. Auf den restlichen Seiten kreist der Biograf manisch um den Machtmenschen Schirrmacher, ohne ihn richtig greifen zu können. Gewiss, Frank Schirrmacher hatte zu Lebzeiten viele Feinde - Opfer seiner Intrigen, Neider seines Erfolgs, Gegner seiner Thesen. Deswegen belegt Michael Angele seine Neutralität als Biograf auch gleich im ersten Kapitel und legt offen, dass er mal Redakteur der Berliner Seiten war, die Schirrmacher für die FAZ geschaffen hatte. Er ist ihm aber dort nur zwei Mal begegnet.

Weil sich in besagtem Register viele aktuelle und ehemalige SZ-Kollegen finden und das Buch die gesamte Medien- und Kulturbranche und vor allem jede Rezension unter Generalverdacht stellt, sollte man wohl ähnlich offen damit umgehen. Also: Frank Schirrmacher zwei Mal getroffen. Einmal als Teilnehmer hinter und auf der Bühne einer Podiumsdiskussion. Ein andermal bei einer Trauerfeier. Beide Treffen verliefen nicht besonders freundlich. Was nichts am Respekt für seine Arbeit änderte. Dieser aber fehlt in diesem Buch nicht nur, die Leser sollen ihn ganz offensichtlich verlieren.

Wird aus Texten von Frank Schirrmacher zitiert, dann meist, um seine Machtspiele zu illustrieren. Seine Themen? Schirrmachers literaturwissenschaftliche Grossthesen, seine Warnung vor der Überalterung der Gesellschaft, seine Analysen der wissenschaftlichen und digitalen Revolution? Alles angelesene Halbbildung, nur Mittel zum Zweck, an die Macht zu kommen, Deutungshoheit zu ermogeln.

Ansonsten beschränkt sich das Buch auf ein bald schon ermüdendes wer mit wem, wer gegen wen, wer über wen. Die Figuren werden mal mit vollem Namen genannt, mal mit Initialen (die oft nicht stimmen und so wohl in die Irre führen sollen), mal gar nicht. Figuren der Zeitgeschichte tauchen nur auf, wenn Schirrmacher sie für einen Karrierewinkelzug benutzte.

Der große Anspruch des Biografen bleibt. Das spürt man vor allem in der Sprache. Da sind die Erzählzeiten, zwischen denen der Text oft planlos herumirrt, wie eine Labormaus im Käselabyrinth. Dramatisches Präsens, majestätisches Plusquamperfekt, nüchternes Imperfekt wechseln sich ohne erkennbaren Sinn auch mal innerhalb eines Satzes ab. Der Erzählstil schwankt zwischen nüchterner Chronik, manieriertem Literatismus und der Subjektivität der Ich-Form, die in einer Biografie nicht nur fehl am Platze, aber gerade dann so schwierig ist, wenn dem Beschriebenen Egomanie unterstellt wird.

Um beim Käse zu bleiben - es ist ja schon früh klar, was Michael Angele in Schirrmachers Lebensgeschichte sucht. Er findet es nur nicht. Da ist kein Machtmonopol im Zentrum der Meinungselite, kein sinistres Netzwerk. Er macht sich auch nicht einmal die Mühe, die Talente und Ideen, die Schirrmacher fand, in der Gegenwart zu suchen. Vielleicht weil beide nicht die schlechtesten waren?

Das Jagdfieber erfasst Angele dann allerdings so heftig, dass gegen Ende ein paar üble Vorurteile aufblitzen. Im Kapitel über Schirrmachers Digitalideenlieferanten, den Literaturagenten und Impresario der angelsächsischen Wissenschaftsdebatten John Brockman zeichnet er ein jämmerliches Klischeebild vom New Yorker, der erst in der Großfinanz tätig ist und dann im Verlagswesen so viele Fäden in der Hand hat, dass er nicht nur die wichtigsten Autoren seiner Zeit, sondern auch die Medien, in denen sie erscheinen, kontrolliert. Da fällt dann auch noch das Wort "rastlos".

Schließlich verirrt sich der Autor in der Grauzone des Boulevardjournalismus

Zugegeben - John Brockman ist einflussreich. Aber nicht, weil er ein Rastloser aus der Großfinanz ist, sondern weil er als junger Mann schon bei den Abendessen dabei war, die der Komponist John Cage für Wissenschaftler und Künstler gab. Die gaben in Amerika den Anstoß für eine Ideengeschichte, die mit Norbert Wieners Kybernetik begann und mit den Digitaldebatten der Gegenwart noch lange nicht aufgehört hat, die Frank Schirrmacher mit John Brockmans Autoren als einer der ersten nach Europa brachte (Offenlegung: Auch dieses Feuilleton arbeitet schon seit Jahren mit diesen Autoren).

Im letzten Kapitel begibt sich Michael Angele schließlich in die Grauzone des Boulevardjournalismus, wenn er die Mutter Frank Schirrmachers besucht. Die hat so offensichtlich wenig Ahnung von der Arbeit und dem Wirken ihres Sohnes. Wichtig scheint dem Biograf dafür ihr polnischer Akzent. Was will er damit sagen? Das Buch möchte kein Urteil fällen, schreibt Angele im letzten Satz. Genau das aber tut es. Wer wirklich etwas über Machtspiele erfahren will, der wird mit Michael Wolffs Trump-Bestseller "Feuer und Zorn" viel mehr Spaß haben. Wer sich ein eigenes Bild von Schirrmachers Arbeit machen will, wird dagegen aus der Sammlung seiner Texte, die Jakob Augstein unter dem Titel "Ungeheuerliche Neuigkeiten" veröffentlichte, sehr viel mehr über die Figur erfahren, die deutsche Debatten und die deutsche Zeitungsbranche so nachhaltig geprägt hat.

Michael Angele: Schirrmacher: Ein Porträt. Aufbau-Verlag, Berlin 2018. 222 Seiten, 20 Euro. Das Buch erscheint am 18. Mai.

© SZ vom 14.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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