Biografie des Reformators:Germanischer Herkules

Die australische Historikerin Lyndal Roper stellt kenntnisreich den Menschen Martin Luther vor, bis hin zu Speise, Trank und Bett.

Von Rudolf Neumaier

David gegen Goliath? Nein, Luther sah sich nicht als David, als er von Wittenberg aus die Christenheit auf den Kopf stellte, den Papst und seinen Klerus zum Duell provozierte. Seinem Freund Johann Lang schrieb er, er fühle sich als Herkules im Kampf gegen das Ungeheuer Hydra. Kaum hat er dem Monster einen Kopf abgeschlagen, wächst ein neuer hervor und noch einer. Seine Gegner, sie hießen Eck und Dungersheim von Ochsenfart, Aleander und Emser, schrieben sich die Finger wund mit Pamphleten über Luther. Ein Holzschnitt von Hans Holbein dem Jüngeren zeigt Luther als Hercules Germanicus, der seine Feinde der Reihe nach mit der Keule erschlägt. Keine Frage, seine Rhetorik war eine Waffe, und zwar eher ein Holzprügel als eine Steinschleuder.

Nach allen üblichen Maßstäben war Martin Luther übergeschnappt. "Luthers außerordentliche Freimütigkeit, seine aufrichtige Bereitschaft, alles zu riskieren, und seine Fähigkeit, Gottes Gnade als ein Geschenk anzunehmen, das er nicht verdiente, sind die anziehendsten Merkmale seiner Persönlichkeit", schreibt Lyndal Roper am Ende ihrer großartigen Luther-Biografie. Die australische Historikerin, die in Oxford die Geschichte der Frühen Neuzeit lehrt, legte schon im Jahr 2012 eine kleine, aber sehr bemerkenswerte Luther-Betrachtung vor. In "Der feiste Doktor" hatte sie die Wirkung des Reformators mit seiner oft dargestellten Leibesfülle erörtert: Ein Brummer wie er macht schon rein optisch eine satisfaktionsfähige Figur neben den wohlstandsdicken Fürsten. Im Buch wird "Der Mensch Martin Luther", so der Titel, von der Wiege bis zur Bahre in einer Weise geschichtswissenschaftlich durchleuchtet, seziert, analysiert, wie er wohl noch nie untersucht wurde.

Aus den Briefen liest Lyndal Roper Luthers Gefühle heraus. Das hat nichts mit Gefühlsduselei zu tun

Über Charakter und Charisma dieses Mannes ist seit dem 16. Jahrhundert viel geschrieben worden. Lyndal Roper ergründet nun, wie Luther wurde, was er war. Seit zehn Jahren erforscht sie diesen Mann. Sie verließ sich nicht auf Literatur über ihn, sie studierte die Quellen. In den Archiven. Das muss erwähnt werden, weil es für viele Historiker nicht mehr selbstverständlich ist, umfangreich eigenes Quellenstudium zu betreiben - vorausgesetzt dass sie das überlieferte handschriftliche Material überhaupt noch entziffern können. "Die größte Freude und Bereicherung in der Begegnung mit diesem Mann", schreibt Roper, "fand ich bei der Lektüre seiner Briefe." Sie las sie als "literarische Quellen, die seine Gefühle mitteilen".

Biografie des Reformators: Lyndal Roper: Der Mensch Martin Luther. Die Biographie. Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 730 Seiten, 28 Euro. E-Book 24,99 Euro.

Lyndal Roper: Der Mensch Martin Luther. Die Biographie. Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 730 Seiten, 28 Euro. E-Book 24,99 Euro.

Gefühle? Bei Luther? Über einen solchen Ansatz hätten die allermeisten deutschen Historiker vor zwanzig Jahren noch bestenfalls die Nase gerümpft. Wer nun in dieser Biografie historische Gefühlswuselei erwartet, liegt vollkommen falsch. Kaum je zuvor ist Luther bei aller gebotenen Sachlichkeit so präzise geschildert und so deutlich erklärt worden, ausgezeichnet aus dem Englischen übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller. Ein Fünftel der 730 Seiten nehmen die Anmerkungen ein, und sehr viele von ihnen enthalten über den Quellenverweis hinaus tatsächlich Zusatzinformationen. Sogar die Fußnoten sind hier lehrreich. Man erfährt hier, so nebenbei mal, dass Luther den Gebrauch von Wünschelruten ablehnte, obwohl sie für den Bergbau häufig benutzt wurden. Was keineswegs belanglos ist, wenn man sich wie Roper sehr intensiv mit Martin Luthers Herkunft befasst.

"Mansfeld und der Bergbau" heißt das erste Kapitel. Es erzählt die bislang in der Luther-Geschichtsschreibung etwas unterbelichtete Familiengeschichte. Hans Luder, der Vater des Reformators, war Unternehmer auf einem in Mansfeld heiß umkämpften Geschäftsfeld, dem Bergbau. Die Grafen auf der Burg über der Stadt verlangten hohe Abgaben, die Grubenarbeiter immer höhere Löhne. Der Hüttenmeister Luder brachte seine Familie gut durch die Jahre. Sie konnte sich das Essen der besseren Leute leisten: Denn wie - eine Fußnote berichtet das - archäologische Funde ergaben, stammten sechzig Prozent der in Luthers Haus gefundenen Knochen vom Schwein, nur zehn Prozent vom Rind, sehr viele auch von Jungvögeln.

Lyndal Roper hat zwar nicht selbst gegraben, zuzutrauen wäre es ihr, aber sie hat eben alles studiert, was es über Luther und seine Eltern zu lesen gibt. Wenn sie für den Jähzorn des Vaters exemplarisch von Wirtshauskeilereien berichtet, bei denen Hans Luder Kontrahenten mit Bier übergoss und ihnen dann den Krug auf den Schädel schlug, passt die Entwicklung des Sohnes zum präpotenten Herkules wie die Faust aufs Auge.

Das Derbe, das Luther aus seinen Kindertagen mitnahm, legte er nicht mehr ab - so asketisch er auch zwischendurch als Mönch lebte, so gottesfürchtig und auch so gelehrt er dann als Theologe war. Er genoss es, wenn seine Wittenberger Studenten soffen. Er stachelte sie sogar an und zündete mit ihnen nach der Vorlesung ein religionspolitisches Lagerfeuer an. Sämtliche Schreiben des Papstes warf er in die Flammen. Der Mann spielte buchstäblich mit dem Feuer, er hätte leicht selbst hineingeraten können.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Luther inszenierte sich, wie er es brauchte und wie's die jeweilige Lage gebot. Auch im Privaten. Lyndal Roper spürt die Zwischentöne in Luthers Briefen auf, die sich Mitte der 1520er-Jahre verändern. Der Reformator macht sich ans Heiraten. Den damals üblichen Verehelichungsritus beschreibt Roper dann wie immer so szenisch wie möglich und wie es die Quellen hergeben: Das Brautpaar legt sich im Beisein aller Gäste ins Bett, dann wird es zugedeckt.

In Sachsen fand das Beilager etwa zwei Wochen vor der kirchlichen Vermählung statt - die Partner hatten Rückgaberecht. Luther machte nicht Gebrauch davon. Das Glück der Partnerschaft erstaunte ihn. Einem Freund schrieb er: "Im Bett, wenn man erwacht, sieht man ein paar Zöpfe neben sich liegen, die man vorher nicht sah." Luther und die 15 Jahre jüngere Katharina von Bora bekamen sechs Kinder. Und das, obwohl sich Luther von seiner Frau all die Jahre mit "Herr Doctor" anreden ließ.

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