Biografie:Der Mann, der keine Kompromisse kennt

Michelangelo Merisi gewinnt früh in seinem Leben reiche Fürsprecher. Zähmen können sie den Maler jedoch nicht, immer wieder ist er auf der Flucht.

Von Sandra Danicke

Sein Leben glich einem Abenteuerroman, wenngleich der Held kein sympathischer ist. Einer, der säuft, spielt, sich prügelt und sogar tötet - und dem man dennoch vieles verzeiht. Weil er die seinerzeit geltenden Gesetze der Kunst mit so viel Wucht, Verve und Chuzpe außer Kraft gesetzt hat, dass wir auch 400 Jahre später darüber noch völlig aus dem Häuschen geraten können.

Geboren wird er 1571 unter dem Namen Michelangelo Merisi in Mailand als Sohn von Lucia Aratori und Fermo Merisi, die aus der Gemeinde Caravaggio stammen. Als Dreizehnjähriger tritt er eine Lehre bei dem heute kaum bekannten Maler Simone Peterzano an. Etwa sechs Jahre später begibt sich Caravaggio nach Rom, wo er zunächst Kopien von Andachtsbildern und Genreszenen, später auch Blumen- und Früchtebilder für den freien Verkauf anfertigt. Sein Talent spricht sich herum. Über einen Kunsthändler, der als Maestro Valentino bekannt ist, lernt er den Kardinal Francesco Maria del Monte kennen, der ihn in seinem Palazzo aufnimmt und mit wichtigen Aufträgen versorgt, darunter so sinnliche Motive wie die "Musizierenden Knaben" oder der "Lautenspieler", aber auch Drastisches wie das Prunkschild mit dem "Haupt der Medusa".

Das teuerste Segment des damaligen Kunstmarkts sind Altarbilder

Der Kardinal ist es auch, der Caravaggio 1599 seinen ersten öffentlichen Auftrag vermittelt: Für die Contarelli-Kapelle in San Luigi dei Francesi malt er zwei Bilder, die sogleich Furore machen. "Das Martyrium des heiligen Matthäus" und die "Berufung des heiligen Matthäus". Vor allem Letzteres irritiert, weil der Maler die sakrale Handlung in eine banale Stube mit dreckigen Fensterscheiben versetzt, statt sie in eine Ideallandschaft zu situieren. Für Caravaggio wird dieser gewagte Ansatz, der dem Betrachter das Leben der Heiligen auf unerhört plastische Weise nahebringt, zur effektvollen Methode. Sie beschert ihm den Aufstieg in das teuerste Segment des damaligen Kunstmarktes: Altarbilder. Bereits ein Jahr später entstehen weitere fulminante Altargemälde: "Die Kreuzigung des heiligen Petrus" und "Die Bekehrung Pauli" malt Caravaggio im Auftrag von Tiberio Cesari für die Familienkapelle in Santa Maria del Popolo. Bilder, deren drastische Diagonalperspektiven und Hell-Dunkel-Kontraste den gottesfürchtigen Kirchgänger erschauern lassen. Zugleich erhält der Künstler seine erste Strafanzeige, weil er bei einem seiner nächtlichen Streifzüge jemanden mit einem Schwert angegriffen hat.

Dass dies keine Ausnahme bleibt, zeigt sich bald: Caravaggio säuft, lässt sich mit männlichen und weiblichen Prostituierten ein, gerät in Streit, krakeelt in den Straßen und fuchtelt dabei mit einer Stichwaffe herum. Immer mal wieder wird er wegen unerlaubten Waffenbesitzes festgenommen. Beeindrucken lässt sich der Künstler davon nicht.

Nicht nur seine rüpelhafte Lebensweise, auch seine kompromisslose Kunst, für die er schon mal Prostituierte als Modelle hernimmt, ist umstritten. Doch findet sie immer wieder einflussreiche und wohlhabende Fürsprecher. Als die Karmeliter ein Altargemälde Caravaggios wegen mangelndem "decoro" ablehnen, kauft es - auf Anraten von Peter Paul Rubens - der Herzog von Mantua.

Die Wahrsagerin

Das Idyll in Caravaggios „Die Wahrsagerin“ täuscht. Die junge Frau scheint dem selbstbewussten Mann viel zu erzählen, während sie ihm unbemerkt den Ring vom Finger zieht.

(Foto: bpk | Scala)

1603, während Caravaggio noch an der "Grablegung Christi" arbeitet, wird er, zusammen mit anderen, wegen der Verbreitung diffamierender Gedichte über das Werk eines Malerkollegen verklagt und verbringt zwei Wochen im Gefängnis. Frei kommt er bloß, weil sich der französische Botschafter für ihn einsetzt. Allein es nützt nicht viel. Ob ihm der anhaltende Ruhm zu Kopf steigt oder ob schlicht sein Jähzorn schuld ist? Schon im nächsten Jahr wirft der Maler einen Teller heißer Artischocken nach dem Kellner einer Osteria. Der zeigt ihn an. Und so geht es in einer Tour weiter: Die Aufträge der wichtigsten römischen Familien - darunter die Borghese, Mattei und Barberini - häufen sich, und die rohen Straßenstreitigkeiten werden zur Routine - bis er 1606 bei einem Ballspiel im Streit einen Mann tötet und dabei eine Grenze überschreitet.

Jetzt ist der Künstler ein Gejagter: Um der drohenden Todesstrafe zu entgehen, flieht er zunächst auf das Landgut des Fürsten Marzio Colonna und schließlich nach Neapel. Auch hierher ist ihm sein Ruhm vorausgeeilt. Ob Mörder oder nicht, ist seinen Auftraggebern egal. Caravaggio malt "Die Geißelung Christi", "Die Kreuzigung des Heiligen Andreas", die "Rosenkranzmadonna". Ab 1607 hält sich der Künstler nachweislich in Malta auf. Der Großmeister des Malteserordens, Alof de Wignacourt, bittet Papst Paul V. darum, Caravaggio zu dispensieren, damit er ihn in den Orden aufnehmen könne. Mit Erfolg: 1608 wird Caravaggio zum Ritter des Malteserordens ernannt, malt de Wignacourts Porträt und sein größtes Altarbild: "Die Enthauptung Johannes' des Täufers" - bis er erneut im Gefängnis landet. Mithilfe von Eingeweihten gelingt ihm die Flucht nach Sizilien.

Nach Jahren des Exils will der Maler nach Rom zurück. Aber er kommt nie an

Auch hier reißen sich die noblen Mäzene um die spektakulären Werke Caravaggios. Für die Kapelle von Giovanni Battista de Lazzari in der Chiesa dei Crociferi in Messina entwirft der Künstler "Die Auferweckung des Lazarus", für das Oratorium San Lorenzo in Palermo "Die Anbetung der Hirten", für Santa Lucia in Syrakus "Das Begräbnis der heiligen Luzia". 1609 kehrt Caravaggio nach Neapel zurück, wo er von Unbekannten überfallen und schwer im Gesicht verwundet wird.

Schau mit Musik

"Utrecht, Caravaggio und Europa" heißt die neue Ausstellung in der Alten Pinakothek in München. Von 17. April bis 21. Juli sind hier mehr als 70 Meisterwerke aus dem frühen Barock versammelt, darunter einige, die bislang noch nie in Deutschland zu sehen waren. Im Zentrum der Schau, die die Alte Pinakothek gemeinsam mit dem Centraal Museum Utrecht realisiert hat, steht, wie unterschiedlich die europäischen und allen voran die niederländischen Maler den Stil Caravaggios aufgriffen und weiterentwickelten. Musik und Theater ergänzen die Schau: Eine musikalische Begehung mit dem Titel "Selbstermächtigung" gestaltet das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper am 18., 19., 21., 22., 25. und 26. Juni. Zudem haben Studierende der Musikhochschule für jedes Bild ein eigenes Stück komponiert, Filme und Flashmobs vervollständigen das Konzept. Der Katalog "Utrecht Caravaggio und Europa", herausgegeben von Bernd Ebert und Liesbeth M. Helmus, ist im Hirmer-Verlag erschienen. Weitere Infos unter www.pinakothek.de/caravaggisti.

PFU

In der begründeten Hoffnung auf eine Amnestie reist Caravaggio Anfang Juli 1610 wieder nach Rom. Er plant offenbar ein fulminantes Comeback. Doch dazu kommt es nicht. Auf der Rückreise stirbt er - nicht etwa, weil er, wie es Gerüchte besagen, ermordet wird. Er erliegt in einem Krankenhaus im Küstenort Porto Ercole den Folgen eines Fiebers.

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