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Biografie: Peter Lindbergh sieht sich trotz allen Erfolgs noch lange nicht am Ziel.

Peter Lindbergh sieht sich trotz allen Erfolgs noch lange nicht am Ziel.

(Foto: Stefan Rappo/Kunsthalle München)

Peter Lindbergh hat seine ungewöhnliche Fotografenkarriere im Ruhrgebiet begonnen, hat weltweit die bekanntesten Models abgelichtet. Doch Schönheit allein war ihm immer zu wenig.

Von Christian Mayer

Peter Lindbergh ist ein Reisender, ein Suchender, er kann sich einfach nie sattsehen. Wann das angefangen hat? Vielleicht mit Anfang zwanzig, als der junge Mann aus Duisburg die Welt entdecken wollte und einfach loszog, ohne Plan. In Südfrankreich, Spanien und Marokko war er unterwegs, und weil er jeden Tag Kleingeld fürs Überleben brauchte, spielte er mal Bongo mit ein paar Kaffeehaus-Musikern in Tanger, oder er malte mit Kreide vor dem Prado in Madrid große Asphaltgemälde, um von den Touristen ein paar Münzen oder mit viel Glück auch mal einen Schein einzusammeln. Das Leben spielte sich auf der Straße ab, die Fremde war sein Zuhause. "Es war eine Zeit mit vielen Selbstgesprächen", hat Peter Lindbergh später einmal erzählt. Und eine Zeit der Entdeckungen.

Er ist kein Studiofotograf. Es schimmert noch immer der Lebenskünstler durch

Die Lust am Vagabundieren ist ihm geblieben, auch später, als er längst einer der erfolgreichsten Modefotografen war, ein Jetsetter zwischen seiner Wahlheimat Paris, Mailand, Berlin und New York, zugleich aber ein sehr bodenständiger und absolut uneitler Porträtist in einer Branche der permanenten Selbstbespiegelung. Man kann das sehen, wenn man seine Schwarz-Weiß-Bilder betrachtet. Lindbergh ist kein typischer Studiofotograf, kein Technokrat des schönen Scheins; es schimmert noch immer der Lebenskünstler durch, wenn er bei einem Shooting anfängt, die noch ungestylten Models vor Fertigstellung des Sets zu fotografieren, in jenen ungeschützten Momenten, in denen sie noch nicht auf Hochglanz poliert sind. Genau das hat etwa die amerikanische Vogue-Chefin Anna Wintour fasziniert: die Mischung aus Couture und Straße.

Geboren wurde Peter Lindbergh im November 1944 im polnischen Lissa. Ein Kriegskind also, sein Vater arbeitete als Handelsvertreter für Süßwaren, und seine Mutter wäre gerne Opernsängerin geworden, es war eine unerfüllte, unerfüllbare Sehnsucht. Ihr Sohn Peter träumte anfangs von einer Karriere als Schaufensterdekorateur, das galt als "schicker Beruf", wenn man wie er in Duisburg mit 14 die Volksschule abgeschlossen hatte. Drei Jahre lang lernte er bei Karstadt und bei Horten, er präsentierte Damenkollektionen und stopfte Herrenhosen mit Seidenpapier aus. Wichtiger waren ihm allerdings sein Schlagzeug und sein Sport, beim TuS Rheinhausen galt er mit 17 als talentierter Handballtorwart. Um nicht zur Bundeswehr eingezogen zu werden, ging er als Dekorateur zunächst in die Schweiz und später nach West-Berlin, in die Frontstadt aller Glücksritter und Abenteurer, wo er erste künstlerische Versuche unternahm und Zeichenkurse belegte.

Er war 27, als er sich seine erste Kamera kaufte - die Legende will es, dass er damit nur die Kinder seines Bruders fotografieren wollte. Doch der Apparat ließ ihn nicht mehr los. Er absolvierte eine zweijährige Lehrzeit bei Hans Lux, seinem "einzigen echten Chef", und arbeitete danach in der Werbung. Zeit für einen Neuanfang, sogar seinen Namen änderte er jetzt - aus Peter Brodbeck wurde Peter Lindbergh, klang doch gleich viel besser, nach großer weiter Welt. 1978 veröffentlichte der Stern eine Modefotoserie des jungen Lindbergh: ein glanzvolles Debüt, und noch dazu glänzend bezahlt. Damals hatten die Magazine noch viel Geld für außergewöhnliche Bilder und individuelle Fotostrecken.

Die Modebranche, die immer bereit ist, junge, heiße, willige Talente auszuprobieren, solange sie gute Gewinne versprechen, riss sich nun um den Mann aus Duisburg, der ein Händchen hatte für die schönen Frauen und markanten Männer. Vogue, Harper's Bazaar, Vanity Fair und andere verschafften ihm Aufträge, und es gibt wohl keinen bekannten Modedesigner, der nicht irgendwann mal mit ihm zusammenarbeitete.

Anfang der Achtzigerjahre entwickelte Lindbergh seinen unverwechselbaren Schwarz-Weiß-Stil. Er stellte die Models in die Fabrikhalle oder steckte sie ins Nonnenkostüm, ließ sie durch Straßenmärkte spazieren oder auf Industriebrachen paradieren. Naomi Campbell verwandelte sich bei ihm in eine Hoftänzerin spanischer Schule, Julianne Moore in eine Art Couture-Krankenschwester, Cate Blanchett in einen Tanzboden-Vamp. Linda Evangelista und Cindy Crawford inszenierte er in viel zu weiten Herrenanzügen und Kurzhaarperücken als Zwillingspaar, Kate Moss als urbane Außerirdische und Christy Turlington durfte bei ihm, halb unscharf, aber sehr verwegen, den Stinkefinger zeigen.

Die Porträts zeigen oft einen Ausdruck voller Melancholie und Sehnsucht

Blättert man durch die faustdicken Fotobücher mit seinen besten Bildern, dann entdeckt man Porträts, die von August Sander, Henri Cartier-Bresson, Diane Arbus und vor allem vom Kino inspiriert zu sein scheinen. Die Menschen auf seinen Bildern schauen den Betrachter oft direkt an, mit Blicken voller Sehnsucht oder Melancholie. Wer sagt, dass Mode immer nur nach bestimmten Regeln funktioniert?

Lindbergh hat ein Auge für das Abgrundtiefe, aber auch einen Sinn für die pralle Lebensfreude: Wohl keiner hat die Supermodels der Achtziger- und Neunzigerjahre dermaßen sinnlich und befreit dargestellt wie er. Das berühmte "White Shirts"-Foto mit Models wie Linda Evangelista und Christy Turlington, das 1988 am Strand von Malibu entstand, zeigt ein paar total vergnügte Mädchen in weißen Herrenhemden, die keinen Termindruck und kein Kaloriendiktat kennen: Girls just want to have fun. Was für eine hübsche Illusion.

Lindbergh, der am liebsten seine alten Khakihosen und T-Shirts trägt, sieht sich noch lange nicht am Ziel. Je älter er wird, desto ungehemmter geht er ans Werk. "Die klassische Schönheit kommt mir nur als Langeweile in den Sinn. Schönheit ist immer Persönlichkeit und nie die klassische, geometrische Gleichheit im Gesicht. Ich denke, dass Falten und Erfahrung, die sich in diesen Gesichtern widerspiegeln, sehr viel interessanter sind als das, was man gewohnt ist zu sehen", so sein Credo.

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