Süddeutsche Zeitung

Billy Idol im Interview:"Ich hab dich durchschaut, Arschnase!"

Eigentlich ..., ja eigentlich wollte der Kollege Fuchs, unser Mann fürs Grobe, ausgerechnet mit der Punk-Größe Billy Idol über gute Manieren reden. Aber dann ...

Oliver Fuchs

Billy Idol, 49, war einer der größten Popstars der 80er Jahre. Zu seinen Markenzeichen gehörten eine sich wundersam kräuselnde Oberlippe sowie aufragende Haare in Synthetisch-Blond. Am 21. März veröffentlicht Idol, nach zwölf Jahren Pause, ein verblüffend schweinerockiges und lebenserfahrenes Album (Sanctuary/BMG).

Vom 3. bis 5. Juni tritt der sehr gute Live-Musiker außerdem bei den Festivals "Rock am Ring" in der Eifel und "Rock im Park" in Nürnberg auf.

SZaW: Billy Idol, auffällig an Ihnen war ja immer ...

Billy Idol: Hehe, ich weiß, was jetzt kommt. Die Lippe! Alle Journalisten wollen immer darüber reden. Mister Idol, was ist Ihr Geheimnis, wie haben Sie das hingekriegt, haben Sie trainiert? Die Billy-Idol-Lippe beschäftigt die Leute. Sie beschäftigt sie bis heute. Das gefällt mir.

SZaW: Nein, nein, auf die Lippe kommen wir noch zu sprechen. Ich wollte Sie etwas anderes fragen: Die Sache mit dem Spucken.

Idol: Spucken?

SZaW: Sie haben auf der Bühne ausgespuckt.

Idol: Hä? Was?

SZaW: Und zwar so oft, dass man sich fragte, woher ein einzelner Mensch so viel Speichelflüssigkeit nimmt.

Idol: Was soll das, Mann? Ich habe nie gespuckt. Auf der Bühne nicht und auch nicht privat. Ich spucke nie. Spucken ist das Letzte.

SZaW: Sicher?

Idol: Ganz sicher!

SZaW: Es gibt einen Konzertmitschnitt aus dem Jahr ...

Idol: Hören Sie: Ein Billy Idol spuckt nicht! Fragen Sie meinen Manager, fragen Sie meine Ex-Frau!

SZaW: Wie dem auch sei: Ich wollte mit Ihnen über Manieren reden.

Idol: Ich und Manieren? Haha! Na, dann mal los.

SZaW: Auf Ihrem neuen Album gibt es ein Lied mit dem Titel "Yellin' At The X-mas Tree". Den Weihnachtsbaum anschreien, das gehört sich nicht. Ein Hinweis auf mangelnde Umgangsformen. Man lacht ja auch nicht laut los bei einer Beerdigung.

Idol: Klar, Weihnachten und Rumschreien passt nicht zusammen. Aber mir ist tatsächlich mal der Kragen geplatzt am ersten Weihnachtsfeiertag. Ich telefonierte mit einem Typen von meiner alten Plattenfirma. Ein blöder motherfucker. Wie Sie wahrscheinlich wissen, hatte ich in den letzten Jahren eine Menge Ärger mit Plattenfirmen, deshalb hat es auch so lang gedauert, bis das Album endlich fertig wurde. Nun, jedenfalls brachte mich dieser Vollidiot derart auf die Palme, dass ich den Hörer aufknallte und den Weihnachtsbaum anbrüllte: "Du blöde Sau! Du denkst wohl, du bist was Besseres! Stehst da so unschuldig rum, fein herausgeputzt und mit bunten Kugeln und Lametta und Scheiß geschmückt. Aber ich hab dich durchschaut, Arschnase!" Mit unbelebten Objekten kann man sehr tolle Gespräche führen.

SZaW: Sie fahren gern mal aus der Haut, oder?

Idol: Absolut. Aber nur, wenn mir die Sache wirklich wichtig ist.

SZaW: Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Was hat sie am meisten in Rage versetzt?

Idol: Da muss ich kurz überlegen. Es gab so viele Anlässe für Wutausbrüche. Ah, jetzt weiß ich's: Als 1983 mein Album "Rebel Yell" erschien, bin ich in das Büro meiner Plattenfirma reingelaufen. Was musste ich dort feststellen? Es gab kein einziges "Rebel-Yell"-Exemplar! Nicht im Schaukasten am Eingang, nicht mal im Büro des für mich zuständigen so genannten Künstler-Betreuers. Wohlgemerkt: Kurz nach der Veröffentlichung! Da bin ich ausgerastet. Ich habe ein paar Möbel zertrümmert und mit schwarzer Farbe an die Wand geschmiert: "Wo sind die Rebel-YellPlatten?" Als ich das nächste Mal zu Besuch kam, hatten sie im Schaukasten mehrere Exemplare auf roten Samtkissen drapiert. Da dachte ich: Geht doch, Jungs! Und: Warum nicht gleich so? Plattenfirmen sind ein Thema für sich. Das wollen wir nicht vertiefen, oder?

SZaW: Nein. Wir wollten ja über Manieren sprechen. Umgangsformen wurden erfunden, um die Gesellschaft zu befrieden. Ein Gemeinwesen funktioniert offenbar besser, wenn die Affekte des Einzelnen in Zaum gehalten, Gefühle kontrolliert und in Bahnen gelenkt werden.

Idol: Schon möglich. Aber als ich Mitte der 70er Jahre anfing, Musik zu machen, ging es bekanntlich los mit Punk. Und die Idee von Punk war: möglichst hässlich auszusehen und sich maximal daneben zu benehmen. Das hat mich geprägt.

SZaW: Gab es so etwas wie eine Punk-Etikette?

Idol: Anfangs war da nur wilde Energie. Es gab keine Richtung und kein Ziel. Hey Ho, Let's Go! Niemand wusste, wie Punk geht. Auch Malcolm McLaren nicht. Das war einfach ein Typ, der eine Lady kannte, die einen Laden hatte. Dann kamen ein paar schlaue Journalisten und haben das Ding als was-weiß-ich definiert: proletarisch, marxistisch, sozialistisch ... So entstand für die Öffentlichkeit der Eindruck, man habe es hier mit einer ,Jugendbewegung' zu tun, die ein festes Programm und klare Ziele hat. Und McLaren galt als Anführer, der die ganze Zeit seinem masterplan folgt. Großer Quatsch! Irgendwann ist die ganze Chose in Ritualen erstarrt. Es war Pflicht, mit Irokesen-Frisur und Sicherheitsnadel im Gesicht herumzurennen und Bierdosen zu werfen. Dauernd "Fuck" rufen, gehörte zum guten Ton.

SZaW: Kann man im Jahr 2005 noch glaubwürdig Punk sein?

Idol: Man kann vielleicht. Aber warum sollte man? Die Losung damals war immerhin: No Future. Warum also sollte Punk eine Zukunft haben? Es ging darum, in kürzester Zeit soviel Radau wie möglich zu veranstalten. In England gab es einfach keine Jobs, weder für den Müllmann noch für den Doktor der Literaturwissenschaften. Und niemand konnte oder wollte dagegen etwas tun. Wir haben uns gesagt: Wenn die Lage aussichtslos ist, dann können wir genauso gut auch Spaß haben. There's no work - so fuck them!

SZaW: Heute ist schlechtes Benehmen fast Standard. Vielleicht eine Spätfolge von Punk. Wenn man den Fernseher anschaltet, sieht man nicht selten auf allen Kanälen Menschen mit fragwürdigen Manieren. Wie soll man da noch provozieren?

Idol: Es geht schon, wenn man will. Ich hecke zum Beispiel gern Streiche aus. Neulich bin ich mit einem Freund Bus gefahren, und der Fahrer hat uns die ganze Zeit genervt mit seinem autoritären Getue. Am Ende der Fahrt kotzten wir beide in die hintere Bankreihe. Dann stiegen wir aus und verabschiedeten uns höflich. Das ist britischer Humor.

SZaW: Als Sie 1981 in die USA umgezogen sind, waren Sie kaum bekannt. Warum hat das Konzept "Billy Idol" in Ihrer Heimat nicht funktioniert? Haben die Engländer Ihren sehr britischen Humor nicht kapiert?

Idol: Ach, Sie wissen doch, wie die Briten drauf sind. Blasiertes, snobistisches Pack! Wenn irgendwas Neues passiert, winken sie immer gleich ab: Das kenn ich schon, laaaaangweilig! Und dann diese unerträgliche Musikpresse, die jede Woche eine neue Sau durchs Dorf treibt. Ich hab das irgendwann nicht mehr ausgehalten und bin nach New York geflohen. In die Stadt meiner Idole: The Velvet Underground, New York Dolls, The Ramones. Ein guter Ort für einen Neuanfang.

SZaW: Genau genommen klang die Musik, die Sie dort aufnahmen und mit der Sie dann berühmt wurden, nie besonders punkig. Sie haben teils ausgefeilte Synthesizer-Arrangements verwendet. Und Hard-Rock-Riffs. Und Sie haben Balladen gesungen! Liebesballaden! Das galt in Punk-Kreisen als unschicklich.

Idol: Am Anfang ging es bei Punk darum, den Hippies mit ihrem Liebe-Frieden-Tralala-Dogma eins vor den Latz zu knallen. Wir haben gesagt: Was lallst du da von Love & Peace? Die Wahrheit ist: Ich habe keinen Job, ich bin nichts wert, ich führe ein Scheiß-Leben. Eine Zeit lang war das lustig und provokativ. Bis Punk selber zu einer ziemlich kleingeistigen Prinzipienreiterei verkam. Das hat mich angeödet.

SZaW: Also wurden Sie Anti-Punk-Rebell?

Idol: Kann man so sagen. Ich war ja die ganze Zeit verliebt in die Frau, die ich später dann auch geheiratet habe. Mann, wir waren so verdammt glücklich! Wir sind im Frühling Hand in Hand durch Venedig spaziert. Doch über sowas durfte man komischerweise keine Songs schreiben. Laut Vorschrift musste Punk hart sein, militant und düster.

SZaW: Mut zur Romantik?

Idol: Dazu brauchte es keinen Mut. Ich hatte einfach keine Lust, mich beim Songschreiben irgendwelchen Denkverboten zu unterwerfen. Das Schöne am Schreiben ist ja gerade, dass alles, was du gemacht, erlebt oder gefühlt hast, irgendwann vor dir auf einem weißen Papier wieder auftaucht. Vielleicht in verzerrter Form, aber es ist da. Auch Sachen, die du längst vergessen hast. Auch ganz banaler Kram: Herzklopfen, Händchenhalten.

SZaW: Aber Ihr Leben war nicht ausschließlich romantisch. Es gab den einen oder anderen Absturz.

Idol: Oh, ja. Sie müssen wissen: Bis ich nach New York kam, beschränkten sich meine Drogenerfahrungen primär auf Bier. Ich hatte eine bescheidene Trinkerkarriere hinter mir. Typisch englisch natürlich. In New York hab ich dann Bauklötze gestaunt. Sie glauben ja gar nicht, wieviele Tonnen Kokain da im Lauf eines Tages weggeschnupft wurden. Man ging auf eine öffentliche Toilette und, schwupps, schob einem jemand einen Haufen davon in die Nase. Ich hatte bald den Eindruck, die Toiletten sind ausschließlich zum Koksschnupfen da.

SZaW: Macht Kokain kreativ?

Idol: Oh, dachte ich anfangs auch. Ich hab immer zu mir gesagt: Okay, Billy, du machst das nur, um bessere Musik aus dir 'rauszuholen. Aber dann hab ich die Kurve nicht gekriegt, und es hat mich weit 'rausgetragen, sagen wir: in die Stratosphäre. Eines Morgens wache ich auf und höre, wie irgendwer, wahrscheinlich meine innere Stimme, zu mir sagt: Billy, willst du so weitermachen - oder willst du am Leben bleiben? Aber so waren sie nun mal, die 80er Jahre. Total gaga. Wir liefen alle herum wie die Vampire und haben gar nicht bemerkt, dass wir uns selber aussaugen.

SZaW: Anfang der 90er Jahre sind Sie verschwunden. Waren Sie ein Opfer der 80er?

Idol: Nein. Dazu hab ich die Zeit zu sehr genossen. Eine geile Achterbahnfahrt. Es fing harmlos an, dann kamen die Orgien, die Drogen, die Musik, dann noch mehr Orgien und noch viel, viel mehr Drogen.

SZaW: Als 1990 ihr Album "Charmed Life" erschien, schrieb eine deutsche Zeitschrift, die Botschaft dieser Platte sei: "Setz dich in deinen Wagen, kurbel die Fenster runter, tritt das Gaspedal durch und scheiß auf das Vorfahrtsschild." Kurz darauf hatten Sie einen schweren Verkehrsunfall. Sie haben ein Stoppschild übersehen.

Idol: Puh. Üble Sache. Aber die Ärzte haben mich wiederhergestellt. Nur manchmal spür ich noch ein leichtes Ziehen im linken Knie. Der Unfall war ein deutlicher Hinweis: Billy, es ist gut jetzt!

SZaW: Sie sind noch zwei weitere Male fast gestorben. Wegen Drogen-Überdosis. Sagen Sie mal, haben Sie da ein Licht gesehen?

Idol: Wieso Licht?

SZaW: Na ja, fast alle Leute, die eine so genannte Nahtod-Erfahrung gemacht haben, berichten von einem weißen Licht. Und von süßer Musik.

Idol: Da war nichts, Mann. Kein Licht, keine süße Musik. I was far out. Viel zu weit draußen, um was wahrzunehmen.

SZaW: Was haben Sie eigentlich von 1993 bis 2005 gemacht?

Mineralwasser getrunken. Viel geschlafen. Meinem Sohn beim Baseballspielen zugeschaut. Auch daraus kann man seine Kicks ziehen.

SZaW: Verstehe. Wie viel Zeit haben wir eigentlich noch?

Idol: Keine Ahnung. 30 Sekunden?

SZaW: Drei Fragen hätte ich noch. Erstens: Der Punk-Musiker G.G. Allin hat auf der Bühne seine Notdurft verrichtet. Angemessenes Verhalten?

Idol: Das, finde ich, geht ein bisschen zu weit.

SZaW: Zweitens: Ist das Leben ein Highway?

Idol: Das Leben ist eine Reise. Nimm nicht zu viel Gepäck mit.

SZaW: Letzte Frage: Wie haben Sie das mit der Lippe gemacht, haben Sie trainiert?

Idol: Verrat ich nicht. Hehe.

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Quelle:
SZ a. W. v. 11./12.03.2005
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