Fünf Favoriten der Woche:Wie man Dinge loswird und wie man sich an sie erinnert

Men in Trouble

Fluffig, frisch und freundlich: Julia Riedler als Moderatorin in "Men in Trouble".

(Foto: Lucie Marsmann)

Ein Nachruf auf bunte Lappen, eine Talkshow anderer Art, eine Zen-Entspannung, ein Real-Thriller und ganz viel Gustav Mahler .

Von SZ-Autoren

Variationen in Pink

Die Nachmittags-Talkshow ist in der Kuriositätenkiste des Privatfernsehens verschwunden. Extremer Gast 1 ("Hunde sind die besten Freunde des Menschen") prallte dort auf den gegensätzlich extremen Gast 2 ("Hunde sind dämlich und stinken"), dann wurde 30 Minuten lang gestritten, was die Moderatoren kräftig anheizten. Nicht selten weinte auch jemand. Die Münchner Regisseurin Jovana Reisinger hat sich in ihrer Mini-Serie "Men in Trouble" ausgemalt, wie das heutzutage laufen könnte, fortschrittlich, radikal ehrlich und doch auch glamourös. Sechs Folgen hat Reisinger für ihre Ausstellung "Enttäuschung" in der Kunsthalle Osnabrück gedreht, sie sind auf Vimeo abrufbar.

Das Kirchenschiff der Kunsthalle ist mit rosa Satinbahnen ausgelegt, Moderatorin Julia Riedler, bis vergangenen Sommer sah man sie an den Münchner Kammerspielen, schreitet in der ersten Folge herein wie zur Oscarverleihung. Milde in die Kamera lächelnd, überschminkt, klunkerbehangen und in allen Schattierungen der Farbe Pink gekleidet. Mit ihren Gästen, die "Frau 1" oder "Mann 2" heißen, versucht sie, über Glück, Liebe, Sex, Geld, Glaube und Schönheit zu sprechen. Themen, zu denen sie als Frau ihre selbstbestimmte Haltung hat. Glaubt sie.

"Findest du dich oberflächlich?", fragt sie "Frau 7", die sich selber am schönsten findet. "Ich liebe Oberflächen", antwortet diese. "Mann 3" verzichtet auch mal auf den Orgasmus, wenn die Frau bei der Sache ist. Ein Extrem steht gegen das andere, aber alle sind zufrieden. Die Moderatorin kratzt an diesen polierten Oberflächen, doch sie dringt nicht zu ihren Gästen durch. Sie redet von Chancengleichheit, Rollenklischees und Gender-Pay-Gap, vom Stress der weiblichen Instandhaltung. "Nehmt mal ein paar Ampullen, sonst verhärtet ihr noch", ruft "Mann 2", der Kosmetikverkäufer.

"Men in Trouble" ist eine grellkomische und doch gar nicht so bonbonleicht konsumierbare Serie. Sie lohnt sich schon wegen Schauspielerin Julia Riedler, die von Folge zu Folge mehr die Fassung verliert und lieb gewonnene Ideale loswerden will wie lästige Ohrringe. "Darf ich den Vorhang mitnehmen?", fragt sie, als sie längst nicht mehr an ihre Show glaubt. "Ich hab mich so an ihn gewöhnt." Nein, nicht nur die modernen Männer sind in Trouble, sondern auch sie selbst. Christiane Lutz

Nachruf auf die Stoffmaske

Masken_(c) Reinhard Brembeck

Sieht aus wie ungewaschene Socken, sind aber überflüssig gewordene Mund-Nase-Bedeckungen aus Stoff.

(Foto: Reinhard Brembeck)

Der 18. Januar 2021 wird als Trauertag in Erinnerung bleiben. Seither gilt im Bayern des Markus Söder eine FFP2-Maskenpflicht, und seither ist das Leben grau-weiß mit Nasenbügel geworden. Vor diesem Schicksalsdatum konnte der Flaneur farbenprächtige Stoffmasken in den Gesichtern sehen, die in das triste Seuchenleben ein wenig Freude brachten. Wenige trugen damals die immer an Schimmel erinnernden grünlichen Operationsmasken oder, noch schlimmer, die aseptisch weißen Feinstaubhandwerkermasken. Jetzt ist auch dieses bisschen an Freude und Farbe aus dem Leben der Menschen verschwunden. Die farbigen Stoffmasken lassen sich nicht einmal mehr auf der Straße im Dreck finden, und in den Wohnungen liegen sie, arbeitslos geworden, nutzlos herum. Weiß wird in China getragen, um Trauer und Unglück auszudrücken. Wusste das Markus Söder, als er sich auf die FFP2- Masken kaprizierte? Reinhard J. Brembeck

Bill Murrays Zen

Bill Murray Masterclass - 14th Rome Film Fest 2019

Ruht beneidenswert tief in sich selbst: Bill Murray.

(Foto: Ernesto S. Ruscio/Getty Images for RFF)

Die Frage bei einer Pressekonferenz lautete: "Bill Murray! Wie fühlt es sich an, Bill Murray zu sein?" Worauf der Schauspieler in einen kurzen Redefluss geriet, den man als Zen-Übung jeden Morgen in die Heim- und sonstigen Büros selbstzweifelnder Menschen einspielen sollte. "Fragen wir uns doch jetzt alle mal: Wie fühlt es sich an, du zu sein? Es fühlt sich gut an, du zu sein, nicht wahr? Es fühlt sich gut an, weil es eine Sache gibt, die du bist - du bist der Einzige, der du bist." Zwei Minuten später schloss er mit den Worten: "Der einzige Weg, wie du jemals erfahren wirst, wie es ist, du zu sein, ist, wenn du dein Bestes gibst, du zu sein, so oft du kannst, und dich immer wieder daran erinnerst: Dort ist dein Zuhause." Beruhigt? Kein Wunder, dass der Soundschnipsel im Netz die Runde macht. Andrian Kreye

Siti Aisyah & Doan Thi Huong

Assassins

Sind sie ruchlose Mörderinnen? Die Verhaftungsfotos von Siti Aisyah (links) und Doan Thi Huong aus dem Film "Assassins".

(Foto: Ascot Elite)

Eine junge Indonesierin und eine junge Vietnamesin, die allen immer lieb und nett erschienen - und auf einmal sollen sie die ruchlosesten Mörderinnen der jüngeren Agentengeschichte sein? Das ist die Story von Siti Aisyah und Doan Thi Huong, die am 13. Februar 2017 am Flughafen von Kuala Lumpur in Malaysia einem Passagier das Nervengift VX ins Gesicht schmierten und ihn damit in kürzester Zeit töteten. Das Opfer: Kim Jong-nam, der ältere Halbbruder von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un. Ein Brudermord durch Killeragenten, so viel scheint klar. Aber warum blieben die Frauen dabei so lässig? Dem geht Ryan White in seinem Dokumentarfilm "Assassins" (neu auf DVD & Digital) nach und fragt: Dachten die beiden wirklich, von finsteren Hintermännern rekrutiert, dass sie nur bei einem harmlosen Youtube-Prank mitmachen? Die Antwort ist packend und beinahe unglaublich. Tobias Kniebe

Berliner Philharmoniker mit zehnmal Mahler

cover

Dieser spannende Vergleich erzwingt die Höranalyse: Die Berliner Philharmoniker spielen zehnmal Mahler.

(Foto: Verleih)

Ein Spitzenorchester, ein genialer Komponist und mehrere Stardirigenten älterer und jüngerer Generation. Das lädt ein zu einem spannenden Vergleich, das erzwingt die Höranalyse von Gemeinsamkeiten und Trennendem. Man hätte gerne gelauscht, als entschieden wurde, wer welches Stück dirigieren soll. Wer die Berliner Philharmoniker durch welche der zehn Symphonien Gustav Mahlers wohl am sichersten führen würde. Dieser Aufsatz fehlt leider im Beiheft der luxuriösen Edition.

Am besten nähert man sich neugierig, wählt einzelne CDs blind und denkt sich aus eigener Hörerfahrung zurecht, wer da am Pult stehen könnte. Ist es der immer leichtfüßig wirkende Dudamel, der sich einerseits musikalisch wunderbar einfühlt, aber mit einer Fin-de-Siècle-Stimmung dann wenig am Hut hat, der in der dritten Symphonie im Finale ungeheure Räume entfaltet und die zur Robustheit neigenden Berliner Philharmoniker zu zähmen weiß? Oder ist es Daniel Harding, der sich in der Ersten in natürlicher Idylle beinahe verliert, oder etwa der effektheischende Yannick Nézet-Séguin, dem die Sehnsucht fehlt, der das Mahler-Land dann doch nicht so genau kennen will, ein Mann, dem andere Zitronen blühn? Oder stellt sich hier Kirill Petrenko in den Weg, der von Mahlers vielschichtig strukturierter Zerfahrenheit wegführt in Richtung Schostakowitsch, mit entschlossener Geste, mit Nachdruck und struktureller Strenge? Es könnte ein langer Abend werden, sich fragend durch die Aufnahmen zu arbeiten und zu überlegen, ob man das Sehnsüchtige sucht oder doch eher das Erlösende, wie man es bei Simon Rattles Deutung der Achten vermuten darf und in der Zehnten mit Claudio Abbado sicherlich findet.

Diese Edition ist eine eindrucksvolle Dokumentation der musikalischen, ideellen, vielleicht sogar emotionalen Bandbreite der Mahler'schen Symphonik. Früher hätte man gesagt: ihrer Tiefe. Gemeint war damit eine quantitativ und qualitativ unbestimmte Ausdehnung, eine mystisch-symbolistische Anmutung, wie sie die Musik Mahlers so nachdrücklich kennzeichnet. Helmut Mauró

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