Süddeutsche Zeitung

Bill Murray zum 70.:Wenn Gott sein Gesicht hätte, würde das niemanden wundern

Bill Murray, der Mann, der es schafft, Resignation auch komisch sein zu lassen, wird 70. Eine Würdigung.

Von Juliane Liebert

Bill Murray wird am Montag 70, dabei kommt es einem eigentlich vor, als sei er schon immer da gewesen. Es gibt eine eigene Doku, die sich nur darum dreht, wie er in seiner Freizeit anderen Menschen ... nun, Freude bereitet.

Etwa, indem er hinter jemandem auf die Toilette schlich, der Person die Augen zuhielt und ihr ins Ohr flüsterte "Niemand wird dir glauben". Oder, indem er 2006 auf einer fremden Party auftauchte und dort das Geschirr abwusch. Oder 2010 in Austin Plätze mit dem Barkeeper tauschte — und den Gästen, egal was sie bestellten, Tequila einschenkte. Wie viele der unzähligen Murray-Geschichten stimmen, ist dabei eigentlich egal, aus jeder spricht eine diebische Freude an der Absurdität der eigenen Existenz.

Und diese Freude überträgt sich, weswegen das Gesicht des Mannes längst eine moderne Ikone ist. Wenn man in den Himmel käme, und Gott hätte Bill Murrays Gesicht, es würde niemanden wundern.

Sein Markenzeichen, der resignierte Blick, entwickelte sich erst im Laufe seiner Karriere

Dabei entwickelte sich sein Markenzeichen, dass er immer leicht resigniert aus der Wäsche schaut, erst im Laufe seiner Karriere. In "Groundhog Day" und "Scrooged" war er noch jung, dynamisch und virtuos misanthropisch. In beiden Filmen schien er sich, nachdem er genregemäß vom Saulus zum Paulus geworden ist, über den krönenden romantischen Abschluss leicht skeptisch zu wundern. Als sei er nicht ganz sicher, ob er jetzt wirklich mit Andie MacDowell glücklich werden soll oder nicht vielleicht doch eine Verwechselung vorliegt.

Seine Resignation ist in seinen späteren Filmen beides: komisch und besorgniserregend. Große Komödien erzählen ja immer die Katastrophe, die Tragödie als Möglichkeit implizit mit. In "The Apartment" von Billy Wilder läuft Shirley MacLaine als Fran Kubelik am Ende die Treppe zu Bud Baxters Appartement herauf, nachdem sie sich gegen seinen widerlichen Boss und für ihn entschieden hat. In dem Moment hört man einen Knall, und sie stürmt in Panik los, weil sie fürchtet, er habe sich erschossen - er hat aber nur eine Flasche Champagner geöffnet.

Auch in Bill Murrays Blick liegt immer das Tragische, aber anders, nur noch als Erinnerung. Sowohl in "Lost in Translation" als auch in "Broken Flowers" ist von Anfang an klar, dass eigentlich alles verloren ist. Der Witz (in jedem Sinn) ist, dass erst auf diesem emotionalen Ödland wieder so etwas wie ein unschuldiges Gefühl sprießen kann. Wir wissen, es hat keine Zukunft, aber genauso wissen wir, so etwas gibt es wirklich. Das ist zum Lachen. Und das ist ein Trost.

Wenn die Geste des Suizids nicht funktioniert, bleibt nichts übrig, als das Leben zu feiern

Wir haben Bill Murray nicht zuletzt zu verdanken, dass der schnöde, heute antik anmutende Radiowecker als eine Poesie des Widersinnigen verewigt wurde. Wer kennt nicht die Sequenz in "Groundhog day", in der er sich auf alle möglichen Arten umzubringen versucht und jeden Morgen wieder aufwacht, während aus dem Wecker "I got you babe' dröhnt?

Das Schöne an diesen Szenen ist, dass sie ein sanfter Exorzismus allen narzisstischen Pathos' aus der Verzweiflung sind. Wenn die große Geste des Suizids nicht funktioniert, nur noch herzerwärmend bescheuert wirkt, bleibt einem nichts übrig, als das Leben zu feiern. Und zwar auf die einzige Art, die man halbwegs ernst nehmen kann: Indem man sich durch den Schlamassel des Alltags solange durchwurschtelt, bis zwar nichts besser geworden ist, aber man sich ein bisschen Privat-Zen angeeignet hat, der es gestattet, die Menschheit nicht mehr andauernd hassen zu müssen. Man nennt es wohl Liebe.

Und solange es die Chance gibt, eines Tages aufzuwachen, und Bill Murray macht gerade den Abwasch für einen, dann kann ja nicht alles ganz vergeblich sein. Auch wenn einem das niemand glauben wird. Wie er sagt.

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SZ vom 21.09.2020/bans
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