Bill Condons "Inside Wikileaks":Phänomen des Pop

Kinostarts - 'Inside WikiLeaks - Die fünfte Gewalt'

Der Film "Inside Wikileaks" hätte ein politischer Film werden können. Herausgekommen ist ein Melodram.

(Foto: dpa)

"Inside Wikileaks" erzählt die Geschichte vom Aufstieg und anschließenden Fall der Hackergruppe um Julian Assange. Es hätte ein politischer Film werden können, herausgekommen ist ein Melodram um das Zerwürfnis zweier Männer.

Von Andrian Kreye

"Inside Wikileaks - Die fünfte Gewalt" ist kein politischer Film, auch wenn sich das zunächst einmal aufdrängt. Die Frage, was Hollywood mit den großen Fragen der Menschheit macht, die derzeit niemand so laut stellt wie das Vorbild für die zentrale Filmfigur, Julian Assange, führt in die Irre. Wenn das Studio Dreamworks beschließt, die Geschichte des Wikileaks-Gründers und seines Mitstreiters Daniel Domscheit-Berg als Melodram zu inszenieren, dann ist das die Freiheit der Kunst und des Marktes, und nicht einmal weit hergeholt. Denn im Kern des Dramas um den Aufstieg von der Hackergruppe zum weltpolitischen Störfaktor und dem anschließenden Fall zur historischen Fußnote liegt das Zerwürfnis zweier Männer, die eigentlich das Zeug hatten, die Doppelspitze der digitalen Revolution zu stellen.

Julian Assange war der Visionär, Daniel Domscheit-Berg der Technokrat. Das passte perfekt und die beiden gaben dem bis dahin noch weitgehend unpolitischen Internet eine radikale Dimension. Im wirklichen Leben trennten sie sich ausgerechnet während der Welle der wichtigsten "Leaks" und zerfleischten sich mit einer endlosen Reihe gegenseitiger Vorwürfe. Das hatte in seinen besten Momenten etwas von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", aber auch viel von Babs und Boris Becker. Kein Wunder also, dass sich die Filmemacher auf diese Geschichte stürzten. Als Regisseur wurde ja auch kein Spezialist für Politthriller engagiert, sondern Bill Condon. Der hat das Musical "Dreamgirls" verfilmt und den letzten Vampirjugendroman aus der "Twilight Saga".

Julian Assange versuchte schon früh, die Filmarbeiten zu stören. Er schickte eine sehr, sehr lange E-Mail an Benedict Cumberbatch, der ihn mit weißgefärbten Haaren spielt, um ihn davon zu überzeugen, die Rolle doch wieder abzugeben. Im Vorfeld des US-Kinostarts stellte Assange eine Kopie des Drehbuchs auf die Wikileaks-Seite und versah sie mit detaillierten Hinweisen auf historische Inkorrektheiten: Dass Domscheit-Berg an den entscheidenden Veröffentlichungen gar nicht beteiligt war, dass er dessen heutige Frau Anke nie getroffen habe. Die Twitter-Feeds von Wikileaks und Assange bestehen seit Wochen aus einer Flut von Links zu vernichtenden Kritiken, die der Film vor allem in den USA bekam.

Ende wie im wirklichen Leben

So schlecht wie seine Kritiken ist der Film nicht. Er führt mit rasantem Erzählfluss in ein Berlin, das nach digitaler Zeitrechnung in der Spätrenaissance des Internet, also um 2008 herum, gerade zum Florenz einer Kultur wird, die eigentlich keine geografischen Zentren kennt. In den Cafés, Clubs und auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs finden Assange und Domscheit-Berg zueinander. Daniel Brühl spielt den Berliner Informatiker dabei mit der großäugigen Leidenschaft eines Ingenue. Cumberbatch umgibt sich zunächst mit der Aura eines unwiderstehlichen Propheten voller Geheimnisse. Es herrscht Aufbruchstimmung. Als die beiden nur mit Laptops ausgerüstet die illegalen Offshore-Machenschaften des Bankhauses Julius Baer aufdecken, feiern sie das mit Club-Mate in einem Hinterzimmer. Da wirken die beiden kurz wie der junge Fidel Castro und sein Vertrauter Che Guevara.

Doch dann setzt das "System" seine Kräfte in Bewegung. Die beiden werden beschattet, verfolgt, angeklagt. An diesem Punkt schlägt "Inside Wikileaks" seine eigentliche Richtung ein. Denn die Verfolgung dient nicht dem politischen Thrill, sondern soll den Druck auf die Beziehung der beiden erhöhen.

Immer deutlicher beginnen die beiden aneinander zu zweifeln - Assange an Domscheit-Bergs Überzeugung und Loyalität, Domscheit-Berg an Assanges Sinn für Realität und Gerechtigkeit. In einer Schlüsselszene taucht Assange mitten in der Nacht in der Wohnung von Domscheit-Bergs Freundin Anke auf. Die Spannung zwischen dem pädagogischen Eros des Mentors und dem buchstäblichen Eros der Freundin setzt die Dynamik des Bruchs in Gang, bei dem die Sympathien eindeutig verteilt sind - das Script basiert nicht umsonst zu großen Teilen auf Domscheit-Bergs Erinnerungen. Dieser erscheint als der Vernunftmensch, der sich nur mit Mühe dem Charisma Assanges entziehen kann, der immer fanatischer seine Ideologie von der radikalen Transparenz predigt. Der Film endet dann wie im wirklichen Leben - Domscheit-Berg bekommt seine Anke, Assange Hausarrest.

Gelungener Taschenspielertrick

Als Melodram funktioniert das. Der Film scheitert zwar wie so viele andere auch an der Unmöglichkeit, das Drama der digitalen Welt in Bilder zu fassen (siehe SZ-Feuilleton vom 26./27. Oktober). Doch mit seinen rasanten Ortswechseln quer durch das nordwestliche Europa fängt er immer wieder die Atmosphäre einer transnationalen Subkultur ein, die für die breitere Öffentlichkeit bislang diffus geblieben ist.

Die Filmemacher waren sich im Klaren darüber, dass sie in Assange einen Gegner haben würden, der in der Welt, die "Inside Wikileaks" porträtiert, immer noch enorme Meinungsmacht besitzt. In der Coda des Films spielt Benedict Cumberbatch deswegen ein fiktives Interview, in dem Assange den Film auseinandernimmt. Das ist ein gelungener Taschenspielertrick, der die Debatte um den Film nutzen will, um ihm eine Tiefe zu geben, die er nicht hat.

Es ist verständlich, dass Julian Assange daran verzweifelt, von Hollywood zur Karikatur eines schrulligen Fanatikers reduziert zu werden. Vor einigen Wochen war er beim Lead-Award-Symposium in Hamburg per Videoschaltung aus seinem Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London zu sehen. Da wirkte er so aufgeräumt und klug wie schon lange nicht mehr. Assange ist immer noch ein brillanter Agitator. An diesem Nachmittag kam er zu dem Schluss, dass die Revolutionäre dieser Tage eigentlich Konservative sind, weil sie viel mehr zu verteidigen als zu erobern haben.

"Inside Wikileaks" ist jedoch kein böswilliger Angriff. Regisseure wie Oliver Stone, Steven Soderbergh oder George Clooney hätten aus der Wikileaks-Geschichte vielleicht den politischen Thriller gemacht, den sie verdient hätte. Doch "Inside Wikileaks" ist nicht Teil einer Verschwörung. Der Film ist ein Phänomen des Pop, der seine Kraft schon immer aus dem Radical Chic der Subkulturen zog. Dieses Hollywood kennt keine Ideologien, sondern nur Geschichten und Figuren. Dass Assange am Wochenende des amerikanischen Kinostarts dann aber doch noch triumphieren durfte, hat eher mit den Gesetzen des Marktes als mit dem Lauf der Geschichte zu tun. In den USA war "Inside Wikileaks" mit Einnahmen von nur 1,7 Millionen Dollar an einem Startwochenende in mehr als 1700 Kinos der bisher größte Flop des Jahres.

The Fifth Estate, USA 2013 - Regie: Bill Condon. Drehbuch: Josh Singer. Kamera: Tobias Schiessler. Mit: Benedict Cumberbatch, Daniel Brühl. Constantin, 128 Minuten.

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