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Jede Kulturtechnik erzieht sich ihren eigenen Menschentypus. Bildende Künstler, Maler und Bildhauer lassen regsame Hände, scharfe Augen und einen wählenden Kopf virtuos zusammenspielen, so wie Musiker mit Ohren, Händen und Gehirn ihre Wunder vollbringen. Wer liest, hat in der Regel das Schreiben gelernt, und im Übrigen wird er mit der Masse seiner Lektüre immer gewitzter darin, aus den Buchstaben auf dem Papier eine Vorstellung im Kopf zu erzeugen. Das reine Sehen und Hören kann intensiviert werden, nicht zuletzt durch begleitende sprachliche Erklärungen: Ein guter Kunsthistoriker lässt uns das Bild, das er uns zeigt und erläutert, nicht nur besser sehen, sondern vor allem: ganz materiell mehr darin auffinden. Und natürlich sieht und hört in der Kunst am meisten, wer selbst malt, zeichnet oder spielt und singt.
Fotos: Wolfram Hahn Text: Gustav Seibt
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Das hat der junge Fotograf Wolfram Hahn in einer Fotoserie beeindruckend ins Bild gesetzt, die die Berliner Galerie C/O in ihrer Reihe ,,Talents 07'' im Postfuhramt an der Oranienburger Straße bis zum 29. Juli zeigt. Hahn hatte den Einfall, Kinder im Alter zwischen drei und zwölf Jahren aus der Sicht des Fernsehers, vor dem sie sitzen, im klassischen Format des Brustbildes aufzunehmen. Millionen Stunden werden in aller Welt so zugebracht, aber wir haben uns noch nicht klargemacht, wie das aussieht.
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Das Resultat ist irritierend. Man soll in solchen Zusammenhängen mit der Vokabel ,,unnatürlich'' vorsichtig sein, aber dass die Verbindung von körperlich erstarrter Zusammengefallenheit, hängender Gesichtsmimik und gebanntem, nichts erwiderndem Blick mindestens befremdlich ist, lässt sich kaum leugnen. Offenbar ist es ohne Weiteres möglich, aufmerksam und verblödet zugleich auszusehen. Am auffallendsten ist der geringe Grad von Reaktivität in diesen Gesichtern - kein Schrecken, kein Amüsement, weder Zustimmung noch Ablehnung ist ihnen abzulesen, sondern nur eine abstrakt anmutende Okkupiertheit.
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Während Computerspiele den alten medialen und ästhetischen Zusammenhang von Tun und Wahrnehmen auf ihre Weise wiederherstellen, hat die Moderne in Film, Funk und Fernsehen Medien entwickelt, bei denen die Beziehung zum Konsumenten in aller Regel viel einseitiger bleibt. Gerade das Fernsehen ist so frontal, wie kein Unterricht es heute noch sein darf. Vor allem kindliche Zuschauer unterwirft es leicht bedingungslos, es zwingt ihnen sein Tempo und seine Verläufe auf, bannt ihre Aufmerksamkeit bis zur sonstigen körperlichen Erstarrung.
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Der Begleittext des Kunsthistorikers Daniel Klemm operiert mit den Theorien Neil Postmans vom schädlichen Einfluss vorwiegend visueller Eindrücke auf das Lernen und die Charakterbildung von Kindern. Er hätte auch die neueren Befunde des Gehirnforschers Manfred Spitzer zum negativen Einfluss des Fernsehkonsums auf Intelligenz und Empathiefähigkeit gerade von Kleinkindern heranziehen können. Nun ist all das hochumstritten; dass selbst rein unterhaltende Fernsehprodukte eine steigende Komplexität zeigen, die ihre Konsumenten mit wachsenden Anforderungen erzieht, nähert sie den interaktiven Computerformaten an. Auch müsste man Mimik und Körperlichkeit von Theater- und Kinobesuchern vergleichen oder Menschen vor Gemälden fotografieren, um zu einer breiten Physiognomik des Sehens und Zuschauens zu gelangen.
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Das ändert nichts an der ästhetischen Eindrücklichkeit von Wolfram Hahns Kinderbildern, die keineswegs in dem aufgehen, was man kulturkritisch aus ihnen machen kann. In jedem kindlichen Geist muss die Welt neu erschaffen und zusammengesetzt werden. Dies geschieht heute zu einem großen Teil vor dem selbsttätig flackernden Bildschirm. Die Kinder, die Hahn uns zeigt, geben Ruhe; man begreift, welche Versuchung es für angestrengte Eltern sein muss, sie dort hinzusetzen. Die Stille, die in Hahns Bildern liegt, steht auch für die schier endlose Lebenszeit, die Kinder und Erwachsene heute vor dem Bildschirm verbringen, und die kein Medienoptimismus zurückholen kann. Denn was immer man von der Vereinbarkeit alter und neuer Medien denkt, dass der Tag nur 24 Stunden hat, daran kann keine Technologie etwas verändern.
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In Gesichtern wie diesen wird tagtäglich eine Saat gesät, von deren Auswirkungen wir nach wie vor nur wenig wissen. Kinderhirne werden mit Kultur beschrieben, seit es Kultur gibt. Eine zentrale heutige Gestalt dieses Vorgangs zeigen Hahns Fotografien als nächste Fremde. Dass die junge Menschheit schon längst nicht mehr nur in Familie und Schule gemacht wird, sondern auch von weit machtvolleren Instanzen, wird hier neu bewusst. Dieses Antlitz der Zeit hat etwas Gruseliges, denn es schaut einen nicht an.
Die Ausstellung ,,Entzaubert'' läuft noch bis 29. Juli in der Galerie C/O Berlin, Oranienburger Straße/Tucholskystraße, 10117 Berlin, Tel. 030-28 09 19 25. Der Katalog kostet 15 Euro.