Alben der Woche:Der Zauber des lässig verwackelten Wortes

Bilderbuch beherrschen die Königsdisziplin Avantgarde-Mainstream-Pop so virtuos wie keiner. Und Gary Clark Jr., der Sebastian Deisler der Blues-Gitarre, schöpft endlich sein Potenzial aus.

1 / 4

Gary Clark Jr. - "This Land" (Warner)

-

Quelle: SZ

Man muss die Geschichte von Gary Clark Jr. als eine des Scheiterns erzählen: immenses Potenzial, gewaltiger Hoffnungsträger. Aber bislang immer unvollendet. Der Sebastian Deisler der Blues-Gitarre. Obwohl ja eigentlich so viel da war: die urbane Coolness, die den etwas maiskolben-haften Bonamassas der Szene so fehlt. Zementsackschwere Riffs. Glutäugige Soli. Alles mit viel, viel Unterleib ins Ohr gedrückt. Clark Jr. war ein stetes Versprechen auf die Erneuerung des Blues, vielleicht sogar des, Achtung: Blues-Rock. Aber ihm fehlten gute Songs - Hooks, Bridges und Emotionen jenseits der Abgeklärtheit. Vor allem die. Die Rettung bringt nun: Wut. Und dazu aber auch: Liebe. "This Land" (Warner) ist das Selbstermächtigungsalbum eines schwarzen Musikers, der den Rassismus Amerikas zu lang geschluckt hat und den Druck jetzt ablässt ("Fickt euch, ich bin Amerikas Sohn!"). Es ist aber auch das Album eines Menschen, der sich dabei auf die besinnt, die ihm wichtig sind - und ihnen das recht phrasenfrei sagt. Ein gewaltiges Stück Musik. Die Einlösung des Versprechens. Endlich.

Jakob Biazza

2 / 4

Weezer - "Black Album" (Atlantic/Warner)

-

Quelle: SZ

Ein netter Spleen, den Rivers Cuomo da seit 25 Jahren pflegt: Mit seiner Band Weezer veröffentlicht er Album um Album, und alle paar Jahre muss eins dabei sein, das keinen Titel trägt und dafür nach der Farbe des Covers benannt wird. Das Debüt von 1994 war das "Blue Album", später kamen noch "Green Album", "Red Album" und "White Album". Jetzt Album Nummer 12: schwarz (Atlantic/Warner). Keine große Überraschung also - im Gegensatz zur Musik: Da schlägt Cuomo ein paar echte Haken. Beim Auftakt "Can't Knock The Hustle" ist schwer zu glauben, dass das wirklich Weezer sein soll: ein bollernder Funk-Loop, darüber Soul-Chöre, spanische Satzfetzen, Mariachi-Trompeten. Klingt eher wie Beck nach zu viel Capri-Sonne. Und so gehts zehn Songs lang weiter, "High As A Kite" ist ganz geradeaus eine Ballade mit Klavier und Geigen, "This Girl" klingt fast nach Coldplay, anderes wie sehr glatt produzierter Charts-Pop. Da ist fast nichts zu erkennen von der Ironie, die Weezer einst auszeichnete. Cuomos erklärter Ansatz war es ja mal, die Beach Boys und Heavy Metal zu vereinen, hier sind aber weder die Gitarren verzerrt noch die Akkordfolgen überraschend. Dass das Ganze trotzdem sehr gut aufgeht, liegt an Cuomos Gespür für große Melodien. Man möchte jeden zweiten Refrain mitpfeifen. Und tanzen kann man diesmal auch dazu.

Max Fellmann

3 / 4

Sleaford Mods - "Eton Alive" (Extreme Eating)

-

Quelle: SZ

Die Sleaford Mods haben sich in den vergangenen Jahren zu Helden eines klar umrissenen Publikums entwickelt: Auf ihren Konzerten stehen vor allem Männer Ende 40, Bier in der Hand, länger nicht rasiert, ehemalige Ein-bisschen-Punks, vom Leben ermattet, genervt von Politik und Alltag. Und sehen vor sich auf der Bühne: zwei Männer Ende 40, Bier in der Hand, länger nicht rasiert, ehemalige Ein-bisschen-Punks, vom Leben ermattet, genervt von Politik und Alltag. Posterboys der grau gewordenen Generation X. Jason Williamson rattert geniale Sprechgesänge runter, wortgewaltige Monologe über die trostlose Gegenwart Englands, dazu lässt Andrew Fearn rumplige Beat-Schleifen aus dem Laptop - Punkrock mit den Produktionsmitteln des Hip-Hop. Auf ihrem fünften Album "Eton Alive" (Extreme Eating) machen sie überwiegend so weiter, diesmal aber geht Williamson thematisch etwas raus aus den britischen Hinterhöfen, rein ins generell Politische. Fearn fährt die schnarrigen Bass- und Gitarren-Samples etwas zurück und setzt mehr auf Computersounds und spratzige Elektronik. Die beiden sagen, sie wollen sich nicht zu sehr wiederholen. Gut so. Besser aber, dass sie trotzdem noch genug von all dem Bewährten liefern, das die müden Familienväter so brüderlich bei der Schulter packt.

Max Fellmann

4 / 4

Bilderbuch - "Vernissage My Heart" (Maschin Records/Universal Music)

Bilderbuch

Quelle: Maschin Records (Universal Music)

Schon mit dem Titel des neuen Albums der Wiener Band Bilderbuch, das nach "Mea Culpa" im Dezember die zweite grandiose Bilderbuch-Platte in kaum mehr als zwei Monaten ist, ist natürlich alles klar: "Vernissage My Heart" (Maschin Records). Man lasse ihn nur ein paar Mal herumwehen zwischen seinen Ohren, während man ihn langsam vor sich hinmurmelt. Dieser wohlige Schwindel, der sich einstellt, wenn die drei Worte zu Lauten werden und dabei ihren Sinn nicht verlieren, sondern mindestens verdoppeln - darin steckt schon ein guter Teil des Zaubers dieser so unfassbar lässig verwackelten Musik der Band um Sänger und Texter Maurice Ernst. Keine deutschsprachige Band beherrscht die Königsdisziplin Avantgarde-Mainstream-Pop im Moment so virtuos wie sie.

Jens-Christian Rabe

© SZ vom 20.02.2019/biaz
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: