Süddeutsche Zeitung

Bilderbuch:Leuchtende Brücken

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Das "Struppige" und das "Zarte" erleben, wie Licht und Finsternis zusammenfinden und werden Freunde.

Von Marlene Zöhrer

"Die Finsternis kriegt man nie ganz aus dem Pelz. Aber gefleckt ist auch sehr schön", erklärt das "Struppige" dem "Zarten", als sie Hand in Hand spazieren. Auf weißer Fläche inszeniert die Illustratorin Julie Völk eine Welt, in der Blumen, Häuser und selbst Brücken in kräftigen Farben leuchten. Das Zarte ist ein kleines, eiförmiges Wesen, dessen Umrisslinien so filigran auf das Papier gesetzt sind, dass es wie hingehaucht wirkt. Das Struppige an seiner Seite hingegen ist hochgewachsen, sein dunkler Pelz mit schwungvollem Strich gezeichnet. Tatsächlich könnten die beiden Fantasiewesen kaum unterschiedlicher sein: das Zarte, das in einer von Licht durchfluteten Welt zu Hause ist, und das Struppige, das in der tiefblauen Finsternis haust. Was sie zu Freunden macht? Ihre Neugier, ihr Mut und ihre Offenheit. Die beiden treffen zufällig aufeinander, dort wo der Buchfalz die Grenze zwischen Dunkelblau und Weiß markiert. Zunächst bleibt jeder auf seiner Seite, doch je besser sie sich kennen lernen, umso weicher und durchlässiger wird auch die Grenze, entsteht ein "Streifen in Dämmergraublau". Schließlich wagt das Struppige den Schritt hinüber und besucht das Zarte in seiner Welt. Angst muss es keine haben, denn es hat einen Freund an seiner Seite. Schön ist das! So schön, dass sein dunkles Fell helle Flecken bekommt.

Außergewöhnlich ist dabei das Zusammenspiel von Kerstin Haus Text und Julie Völks Bildern. Denn für die Geschichte, die von Freundschaft und Zuneigung ebenso erzählt wie von Verlust und Trauer, findet Völk eine für sie neue Bildsprache, die auf das kontrastvolle Spiel von freier und farbiger Fläche ebenso setzt wie auf die Spannung zwischen feiner Linie und kräftigem Strich. Die mittels Cyanotypie, eines alten fotografischen Verfahrens, erstellten Bilder der Finsternis erstrahlen in intensiven Blautönen und warten mit leuchtenden farbigen Details auf, die deutlich machen, dass die Finsternis zwar dunkel, aber niemals ganz ohne Hoffnung ist. Auch dann nicht, als "etwas" die Heimat des Zarten verschluckt und es sich mit einem Mal in der Finsternis wiederfindet. Denn da ist das Struppige, das die Dunkelheit bereits kennt und gelernt hat, darin zu leben. Es nimmt dem Zarten die Angst. Schön ist das! Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. (ab 4 Jahre)

Kerstin Hau : Das Dunkle und das Helle. Mit Illustrationen von Julie Völk. NordSüd Verlag, Zürich 2019. 40 Seiten, 15 Euro.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2020
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