Süddeutsche Zeitung

Bilderbuch:Im Bärenhaus

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Ein Farbenrausch von Květa Pacovská, die hier für ihre besonderen Collagen ein altes Märchen erzählt und daraus ein wahres Buchkunstwerk macht.

Von Marlene Zöhrer

Květa Pacovská, gerade 90 Jahre alt geworden, erzählt in ihrem neusten Bilderbuch "aus der Erinnerung an ihre Kindheit" und verdichtet ein Märchen zu einem Geschichtenschatz: Die Geschichte der kleinen alten Frau, die sich "immer alles nahm, was ihr nicht gehörte," scheint im Zusammenspiel mit Pacovskás Bildern fremd und vertraut zugleich, wenn die neugierige Alte mit der großen sommersprossigen Nase im Haus der drei Bären von jedem Tellerchen nascht, um im Anschluss alle Betten durchzuprobieren und dann im kleinsten einzuschlafen. Raffiniert und nicht immer einfach zu erkennen verwebt die Künstlerin in "Die Nimmtes-Nimmtes-Frau" Motive, Zitate, Anspielungen und Erinnerungsstücke - an Märchen, Kunst, ihr eigenes Leben und Schaffen; sogar die Entstehungsgeschichte des Buches bekommt ihren Raum, wenn die Künstlerin einzelne Skizzen und handschriftliche Notizen in die Bilder collagiert.

Das Buch selbst ist - wie man es von Pacovská seit 40 Jahren kennt - ein in leuchtendem Rot, lebendigem Grün, erhabenem Schwarz, reinem Weiß und glitzerndem Silber gestalteter Erlebnisraum, der mit seinen grafischen, buchkünstlerischen und haptischen Elementen zum Entdecken, Staunen und Interagieren einlädt und die Grenzen zwischen Bilder- und Künstlerbuch lustvoll sprengt: Unterschiedliche Oberflächenstrukturen, Pop-Up-Elemente und spielerisch arrangierte, rhythmische Texte lassen die Geschichte der kleinen alten Frau, die ursprünglich in der Nirgendwowelt lebte und Elisabeth hieß, ebenso lebendig werden wie die Bilder aus abstrakten Formen, gekritzelten Linien und gemalten Flächen. Doch in ihren Genuss kommt nur, wer den "passenden silbernen Schlüssel für die kleine Tür" findet und gemeinsam mit der kleinen Maus durch sie hindurch in das Buch und in die Geschichte schlüpft. Und das sollte man unbedingt tun - denn der Besuch der neugierigen Nimmtes-Nimmtes-Frau bei den Bären, die derweil im Wald zum Honig sammeln sind, ist großartig, ganz unabhängig davon, ob man mit der Bildsprache der Künstlerin oder dem nacherzählten Märchen vertraut ist. Einzutauchen in Květa Pacovskás Welt aus Farben und Formen, aus Rhythmus und Klängen, aus (Hinter-)Sinn und Nonsens ist Herausforderung und Vergnügen zugleich, das den eigenen Horizont weitet und die Fantasie beflügelt. Man sollte sich darauf einlassen, egal wie alt man ist.

Květa Pacovská : Die Nimmtes-Nimmtes-Frau. Michael Neugebauer (Minedition), Bargteheide 2018. 64 Seiten, 45 Euro.

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SZ vom 04.01.2019
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