Bilderbuch:Bindewort mit Bindfaden

Bilderbuch: Illustration aus Franz Fühmann und Jacky Gleich: Die Geschichte vom kleinen Und.

Illustration aus Franz Fühmann und Jacky Gleich: Die Geschichte vom kleinen Und.

Franz Fühmann erzählt, was das "und" erlebt. Unsinnspoesie und Sprachspielerei ziehen sich wie ein roter Faden durch diese Bildergeschichte

Von Lothar Müller

Wenn die Buchstaben sich selbständig machen, entlaufen sie den Worten. Wenn Worte sich selbständig machen, entlaufen sie den Sätzen. So geschieht es in Franz Fühmanns "Geschichte vom kleinen und". Es ist aus einem ellenlangen Satz herausgelaufen, in dem es von seinesgleichen wimmelte. Wegen der vielen finsteren Worte, zwischen denen es stand, hatte es sich nach Sonne gesehnt. So schön es ist, in der Sonne liegend einzuschlafen, so schwierig ist es für ein Bindewort, mutterseelenallein aufzuwachen. Das kleine "und" geht in einer Weise durch die Welt, die man anschlussoffen nennen könnte.

Franz Fühmann, der in diesem Januar 100 Jahre alt geworden wäre, hat viele Geschichten für Kinder und Jugendliche geschrieben. Er hat die antiken Mythen, das Nibelungenlied und Reineke Fuchs nacherzählt, "Märchen auf Bestellung" verfasst und in Büchern wie "Am Schneesee" die Lust an Sprachspielerei und Unsinnspoesie geweckt. In Jacky Gleich, die 1964 geboren wurde, hat er postum eine kongeniale Illustratorin gefunden. Nach den Shakespeare-Erzählungen "Wintermärchen" und "Sommernachtstraum", nach "Anna, genannt Humpelhexe", "Doris Zauberbein" und "Die Fee, die Feuer speien konnte", hat sie nun die "Geschichte vom kleinen und" bebildert, eine Auskoppelung aus dem umfangreichen Sprachspielbuch "Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel". Das kleine "und" sieht nicht aus wie sein Schriftbild, sondern wie ein kleiner Junge, dem beim Alleinsein Tränen aus den Augen eher heraushüpfen als stürzen. Sein unscheinbarer Begleiter ist ein Bindfaden, der sich durch die Seiten zieht und gelegentlich die Form von Buchstaben annimmt. Das ist eine sehr gute Idee für die Visualisierung eines Bindeworts. Sie deutet die Voraussetzung an, von der dieses Sprachspielbuch lebt. Es wendet sich an Kinder, die auch wenn sie sich noch gern etwas vorlesen lassen, mit der geschriebenen Sprache schon so vertraut sind, dass sie in dem Mann, der fast nur aus seinen hochgereckten Armen und seinen Beinen zu bestehen scheint, das "H" erkennen, das nicht der Druckschrift, wohl aber der Schreibschrift ähnelt, oder das "M", zu dem ein Mann im braunen Pullover seine überlangen Arme ausfährt. Spiel und Rätsel sind verwandt, so auch hier. Die Pointe liegt nicht offen zutage, ein Schuss Abstraktion und Kombinatorik ist nötig, um aus der Begegnung mit dem "M" den Mund oder aus der Episode mit dem kleinen Herrn Kurz und dem kurzen Herrn Klein die Redewendung "kurz und klein" herauszuholen. In sehr freundlicher Gestalt kommt am Ende das "Wer" daher. Ein vielversprechendes Wort entsteht, als es das kleine und in die Arme schließt.

Franz Fühmann: Die Geschichte vom kleinen und. Mit Illustrationen von Jacky Gleich. Hinstorff Verlag, 2022. 31 Seiten, 16 Euro.

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