Süddeutsche Zeitung

Bilderbuch:Fausto stampft aufs Wasser

Eine Parabel des amerikanischen Bilderbuchkünstlers Oliver Jeffers, der in eindrucksvollen Bildern und einem knappen Text seinen Helden an der Gier nach Macht und Reichtum scheitern lässt.

Von Marlene Zöhrer

Der Blick wild entschlossen, das Ruder fest in der Hand, steht Fausto am Heck des Holzkutters. Der feine Herr im leuchtend gelben Friesennerz hat Großes vor: Er ist auf dem Weg, sich das Meer zu eigen zu machen. Denn was mit Blume, Baum, Schaf, Feld, Wald, See und Berg bereits mehr oder weniger widerstandslos funktioniert hat, sollte auch beim Meer kein Problem darstellen. Oder? Weit gefehlt. Fausto nämlich versteht nichts. Schon gar nicht das Meer. Und so versinkt er - da er nicht schwimmen kann - beim Versuch, auf der Wasseroberfläche aufzustampfen, um seine Wut und seine Bedeutsamkeit zu demonstrieren, im Wasser. "Dem Meer tat es leid um ihn, aber es machte weiter wie bisher." Denn letztlich sind Fausto und sein Schicksal schlicht: bedeutungslos.

Gier, Selbstüberschätzung, Arroganz und Ignoranz treiben Fausto in den Untergang. In seinem blinden Streben nach immer mehr fehlen ihm jegliches Maß, Verständnis und Respekt für seine Umwelt; die Natur dient ihm lediglich als Beleg für Reichtum und Macht. Konsequenterweise erzählt Oliver Jeffers seine zeitlose Parabel von Maßlosigkeit und Untergang mit reduzierten Mitteln. Statt üppiger Farbwelten und seitenfüllend gemalten Bildern, wie sie sich in seinen anderen, vielfach preisgekrönten Bilderbüchern finden lassen, arbeitet Jeffers in "Die Fabel von Fausto", das von Anna Schaub ins Deutsche übersetzt wurde, mit viel Weißraum und Lithografie. Selbst die typografische Gestaltung und das Seitenlayout setzen den zentralen Satz - "Aber er hatte nicht verstanden." - allein auf eine Doppelseite und lenken gezielt die Aufmerksamkeit der Betrachter und Leser. Dabei schärft gerade die freie Fläche den Blick für das Detail und lässt Raum für die Botschaft, die Jeffers in das Schicksal des Fausto eingeschrieben hat. Auch wer die Arbeit des Wahl-New-Yorkers und insbesondere die Aktivitäten auf seinen Social-Media-Kanälen nicht verfolgt, ahnt, hier ist nichts dem Zufall überlassen: weder der Name des Protagonisten, mit dem selbstredend Johann Wolfgang von Goethes Faust zitiert wird, noch Ähnlichkeiten zu lebenden Despoten. Fausto ist ein Statement. Und ein Appell für einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit der Natur, in der der Mensch nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist. Wunderbar anzusehen und unterhaltsam für alle, die verstehen. (ab 5 Jahre)

Oliver Jeffers: Die Fabel von Fausto. Aus dem Englischen von Anna Schaub. NordSüd Verlag, Zürich 2020. 96 Seiten, 18 Euro.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2020
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