Endlose Weiten, geheimnisvolle Heilbäder und unvermutete Jack-Kerouac-Milieus: Osteuropa ist ein Märchenland für Entdecker - man muss nur Vorurteile überwinden und sich darauf einlassen. Der neue literarische Bildband "Unterwegs in den Osten" des tschechischen Fotografen Karel Cudlín weist den Weg. Die Fotos sind ab kommenden Montag auch in einer Ausstellung in München zu sehen.
Wie war das damals wirklich in Prag 1981? Zu dieser Zeit herrschte in der Goldenen Stadt noch der tiefste Sozialismus, und in den Augen westlicher Beobachter waren alle Länder jenseits des Eisernen Vorhangs trübsinnige Grau-in-grau-Zonen, in denen die Schwermut alles andere überlagerte.
In dem neuen Buch "Unterwegs in den Osten" des Nürnbeger starfruit-Verlages demonstrieren nun der Schriftsteller Jáchym Topol und der Fotograf Karel Cudlin, dass sich hinter der scheinbar tristen Fassade des sozialistischen Utopia faszinierende Mileus verbargen.
Um den Leser in diese vergangene Welt mitzunehmen, arbeiten Topol und Cudlin in ungewöhnlicher Weise zusammen: Der Schriftsteller Topol, ausgezeichnet mit dem renommierten Jaroslav-Seifert-Literaturpreis, wird zum Ghost-Writer des Fotografen und kommentiert dessen Fotos in der Ich-Form. So verdichtet sich die Domäne des Wort-Künstlers mit der des Bild-Künstlers bei jedem gezeigten Foto - eine Methode, die der junge Verlag in ähnlicher Weise bei all seinen bislang veröffentlichten Büchern anwendet.
Das Buch ist chronologisch angelegt und dokumentiert zunächst das Alltagsleben in der sozialistischen Tschechoslowakei, bevor die Bilder von Reisen in den Osten erzählen. Im Prager Palác Lucerna, in dem Cudlin dieses Bild schoss, wirkt sich die sozialistische Losung von der Gleichheit aller zur Abwechslung einmal vorteilhaft aus. Denn hier war für jeden Geschmack etwas geboten - ob poltische Liederabende, Rock- und Jazzkonzerte oder manchmal sogar Boxkämpfe, der "Palast" lockte die unterschiedlichsten Besucher in seinen einzigen Saal.
Egal, ob hier der große Schauspieler Jan Weirich auftrat oder Louis Armstrong, was hier auch immer los war, es endete meist in einem Riesenbesäufnis - dass irgend jemand die Tischplatte als Kopfkissen missbrauchte, war in jenen Tagen ein vertrauter Anblick.
Text: Paul Katzenberger