Jamie Hewlett:Wie die Geister toter Manga-Figuren

Jamie Hewlett Taschen

The Young Fool and the Sea, Cover für Gorillaz' Plastic Beach, 2010.

(Foto: Jamie Hewlett /Abb. aus dem bespr. Band)

Der britische Künstler Jamie Hewlett gab der nihilistischen Anything-goes-Attitüde des Pop ein spöttisches Gesicht. Und schuf mit den Gorillaz eine fiktive Band, die den berühmten Kopf dahinter noch überstrahlt.

Von Philipp Bovermann

Zu den wichtigsten Entdeckungen der Achtzigerjahre gehörte, dass nicht nur der Körper erotisch sein kann, sondern auch die Welt der Konsumgüter, durch die er sich bewegt. Man kann das studieren an dem schönen Bildband "Works from the Last 25 Years" von Jamie Hewlett. In einem vorangestellten Interview sagt der 49-jährige Zeichner von "Tank Girl" und der fiktiven Band Gorillaz: "Ich mag Frauen, aber damals trugen weibliche Comicfiguren immer enge Superheldinnenkostüme und hatten riesige Brüste." Er selber halte es mit den "vulgären Frauen, den saufenden und kämpfenden Frauen", wobei das nur die Hälfte der Wahrheit ist. Vielmehr als Brüste, überhaupt alles allzu Organische und Runde sind Details seine Leidenschaft. "Deswegen spreche ich kein Französisch: Ich starre ständig auf die Schuhe und Gürtelschnallen anderer Leute."

Die Figur "Tank Girl", die Hewlett Ende der Achtziger als junger Zeichner zusammen mit dem Autor Alan Martin erfindet, wird zum Pin-up-Girl der Punk-Bewegung, deren Aufkommen er in London miterlebt hat. Sie ist zugleich mehr und weniger bekleidet als die klassischen Comic-Heldinnen in ihren knallengen Kostümen. "Tank Girl" lümmelt, manchmal nur mit einer Militärjacke am Leib, Zigarette im Mund, in einer postapokalyptischen Wüste herum, betrinkt sich und hat Sex mit ihrem Freund Booga, einem mutierten Känguru. Aber sie trägt dabei ständig irgendwelche Waffen oder Teile alter Uniformen, ihr Zuhause ist ein Kampfpanzer, und wenn sie sich auf ihn draufsetzt, dann wird sein Rohr zu ihrem, nicht zum Schutz gegen die Umgebung, sondern als laszive Symbiose mit ihr. Während sich also die Körper klassischer Comic-Heldinnen durch eine zweite Kunststoffhaut trennscharf gegen die Umgebung abzeichnen, bezieht "Tank Girl" ihre Erotik aus einem allmählichen Übergang in sie.

Alles wird hier zum Comic-Leib, wird Teil des Kostüms in einem Esperanto der Moden

Eine Generation früher hatten Künstler wie Robert Crumb, die Ikone der Underground-Comix, oder Tom of Finland, mit seinen homoerotischen Muskelmännern, das Körperliche im Comic geradezu explodieren lassen. Entsprechend üppig und fleischig waren ihre Figuren. Die Gesetzlosen hingegen, die Zombie-Biker, die Mutanten und Dämonen, die Hewlett malt, sehen mit ihren elfenhaften Gliedern und ihrem unheilvollen Schlafzimmerblick immer ein bisschen so aus, als wären sie Geister toter Manga-Figuren, die von Japan in den Westen emigriert sind, um dort Klamotten anzuprobieren. In ihren leeren, spöttischen Gesichtern ahnt man die nihilistische Innenseite der Anything-goes-Attitüde des Pop, daher können sie fast alles tragen, was der Westen irgendwann einmal hervorgebracht hat: französische Kniestrümpfe, Mickey Mouse-Ohren, aufblasbare Brüste, Kreuzritterhauben.

Ende der Neunziger gründen diese Figuren eine Band: die Gorillaz. Hewlett überlegt sich ausgefeilte Hintergrundgeschichten für deren fiktive Mitglieder und zeichnet sie seither, Blur-Sänger Damon Albarn besorgt mit wechselnden Gästen die Musik - wobei "Gäste" eigentlich das falsche Wort ist, denn es gibt ja außer Albarn selbst gar keine Kernband. So wie das ansonsten nackte "Tank Girl" sich mit Relikten der Konsumkultur bekleidet, die sie irgendwo gefunden oder gestohlen hat, funktioniert diese Band auf der Bühne. Unterschiedliche Künstler rücken unter ihrem Namen zu einem dämonischen Musik-Esperanto zusammen, wie die Modestile des Westens und die Manga-Tradition. Im April ist das fünfte Album "Humanz" erschienen. Die "Gorillaz" füllen damit noch immer Hallen fast jeder beliebigen Größe.

Dieses utopische Potenzial des Pop, dass alles und jeder, gleich welcher Herkunft, in ihm seinen Platz findet, solange nur der Style stimmt, lässt sich an den Zeichnungen von Jamie Hewlett wunderbar ablesen. Egal, wie viele Pfeile in "Tank Girls" Leib stecken, es bleibt ein Comic-Leib, daher werden sie automatisch Teil des Kostüms. "One hour ahead of the posse", hat Hewlett die betreffende Zeichnung unterschrieben: Eine Stunde Vorsprung auf die Bande.

Julius Wiedemann (Hrsg.): Jamie Hewlett. Mehrsprachige Ausgabe. Taschen-Verlag, Köln 2017. 424 Seiten, 39,99 Euro

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