Bildband "Over":Die Welt ist nicht genug

Der Mensch als Landschaftsgärtner bei Mutter Erde: Der Fotograf Alex MacLean dokumentiert die Zerstörung der amerikanischen Kulturlandschaft.

Petra Steinberger

6 Bilder

Alex MacLean, aus dem Bildband Over

Quelle: SZ

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Manchmal, lautet ein alter Spruch, sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Was nichts anderes bedeutet als die Aufforderung, eine andere Sicht auf die Welt zu versuchen, die täglichen Details nur einmal beiseite zu lassen und die Welt mit Abstand zu betrachten.

So macht es der Fotograf Alex MacLean, wenn er seine Bilder aus dem Flugzeug schießt. Er fängt den weiteren Blick ein auf die von Menschen geformte Landschaft Amerikas, auf ihre Kraftwerke und Highways, auf endlose Kilometer fabrikneuer Autos und ausgemusterter Flugzeuge, auf Trailerparks, die sich in die Wüste schieben, und vor allem - auf Häuser, Häuser, Häuser. MacLean dokumentiert die Geschichte der amerikanischen Kulturlandschaft und ihres "grid": jenes Flächenrasters, das Thomas Jefferson über die Wildnis legte, um sie ordentlich in Besitz zu nehmen.

Text: Petra Steinberger

Fotos: Alle Bilder aus dem besprochenen Band.

Alex MacLean, aus dem Bildband Over

Quelle: SZ

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Das Grid ist nicht absolut, aber seine Idee kann man spüren in den verschlungenen Spiralen der großen Interstate-Kreuzungen; in den Bauplänen, die Bauträger seit Jahrzehnten über das Land geworfen und dann, in winzige Vierecke zerschnitten, als Eigenheim-plus-Pool an die Amerikaner verkauft haben.

Er ist spürbar in der Nordsüd-Ostwest-Ausrichtung der Städte und Vororte. Er ist selbst in den gekrümmten Alleen und den Sackgassen von Gemeinden wie South Jordan in Utah zu erahnen, die die Utopie einer Parklandschaft mitten in der Wüste erschaffen wollen. Es sind Machtphantasien, die erst aus der Luft, stets diagonal abwärts fotografiert, in Ausmaß und Anmaßung richtig deutlich werden.

Alex MacLean, aus dem Bildband Over

Quelle: SZ

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Alex MacLeans Bilder sind von unglaublicher Ästhetik in der Struktur - und zeigen gleichzeitig, wie sich die Menschen, einer gewaltigen Walze von Parasiten gleich, in und durch die Erde gefressen und sie ausgelaugt und zerpflügt zurückgelassen haben.

MacLean fliegt, steuert, fotografiert allein. Einmal nur, sagt er, einmal sei ihm eine Linse hinuntergefallen beim Fotografieren und dann zum Glück irgendwo im Wald gelandet. Dann ist dort wohl ein weiterer künstlicher Krater entstanden auf einem überbauten Land, das auf einmal voller Menschen ist und doch ohne Leben.

Alex MacLean, aus dem Bildband Over

Quelle: SZ

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Die wuchernde Suburbia vor allem des "sunbelt", des amerikanischen Südwestens, zieht immer mehr Menschen an, aber "da ist nichts, nichts", sagt MacLean, "kein soziales Leben. Niemand kennt seine Nachbarn. Die Kinder werden nur mit dem Auto herumgefahren. Die Alten sind immobil. Es gibt kein Zentrum. Es ist einsam."

Eine seiner Aufnahmen zeigt Tucson, Arizona, und Hunderte von Bungalows - und sie wirken wie in der Steppe verstreute Abfalltüten. Man hört, dass das Verbrechen und die Kriminalität seit einiger Zeit stark wachsen in diesen als Idylle angepriesenen Ortschaften, und, meint MacLean, vielleicht werden viele dieser Häuser bald leerstehen, veröden, wieder zurückgeholt werden vom Sand und vom Tumbleweed wie die Geisterstädte der kalifornischen Goldgräberzeit.

Alex MacLean, aus dem Bildband Over

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In diesen Bildern steckt sie, die Zukunft der Pendlerpauschale und der Eigenheimzulage, übertragen auf amerikanische Verhältnisse, zurückgeworfen in den Rest der Welt als amerikanischer Traum. MacLeans jüngster Bildband "Over" (Schirmer/Mosel, München 2008, 58 Euro) handelt vom "Darüber" ebenso wie vom "Vorbei", vom Ende dieses Traums. Vielleicht läuft das Buch deshalb bislang in Europa viel besser als in MacLeans Heimat. "Sie wollen es wohl nicht sehen, nicht wahrhaben", sagt er.

Alex MacLean, aus dem Bildband Over

Quelle: SZ

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Vielleicht kommt das Ende des Traums durch die Finanzkrise schneller und radikaler, vielleicht sehen wir es nur deutlicher. Aber wenn sich die Züge voller Kohle in endlosen Ketten zum Kraftwerk schieben, um die "gated communities" am anderen Ende des Landes zu wärmen; wenn MacLean den Landsitz eines der seltenen Profiteure auf einer versteckten Lichtung fotografiert wie die Disney-Version europäischer Adelshäuser; wenn eine Dorfkirche inmitten Hunderter leerer Parkplätze steht, für die das Land hektarweise überteert wurde...

Wenn das der Traum ist von Freiheit und Individualität, dann muss man ihn mit MacLean nur einmal aus der Luft betrachten, um zu begreifen, dass er keine Zukunft hat.

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