Bildband "Little Adults":Und ewig rollt der Rubel

Der Bildband "Little Adults" porträtiert die Kinder neureicher Russen. Fotografin Anna Skladmann enthüllt eine Welt, die sich absolut sicher und mit historischem Recht erkoren wähnt. Immun gegen die Wirklichkeit und das Schicksal.

Andrian Kreye

8 Bilder

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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Wenn Ruhe und Unbekümmertheit verstören: Für ihren Bildband "Little Adults" hat Fotografin Anna Skladmann Kinder neureicher Russen porträtiert  - und enthüllt eine Welt, die längst glaubt, gegen die abrupten Zyklen der Geschichte immun zu sein.

Es gibt nur wenige Fotoarbeiten, die so zugänglich und zugleich so schwierig zu interpretieren sind wie Anna Skladmanns "Little Adults". Denn die Brüche zwischen Intention, Inszenierung und Wirkung erschließen sich nicht sofort und auf keinen Fall mit dem Allerweltswissen, das man als Mitteleuropäer über das Sujet hat. Auf den ersten Blick sind die Bilder ein glamouröser Einblick in die fremde und doch scheinbar so bekannte Welt des neuen russischen Geldadels.

Text: Andrian Kreye/SZ vom 15.9.2011

Alle Fotos stammen aus dem besprochenen Bildband

Im Bild: Etja in ihrem Schlafzimmer, Moskau 2009

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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Die junge Bremer Fotografin hat die Kinder der neuen russischen Elite in den Posen Erwachsener fotografiert, sie in der Tradition der Gesellschaftsmaler aus dem Amerika und Russland des späten 19. Jahrhundert inszeniert und so einen wirklich prächtigen Foto-Essay erstellt.

Weil es sich hier aber um die Kinder einer winzigen Elite handelt, die den Umbruch einer großen Gesellschaft als Gewinner überstanden hat, ist die Interpretation nicht ganz so einfach. Da führt der ausführliche Essay des Fotografie-Kritikers Bill Kouwenhoven zwar auf erste Spuren. Doch letztlich bleiben mehr Fragen zurück als Antworten.

Kouwenhoven sieht die Wurzeln der Arbeit in Alexis de Tocquevilles Schrift "Über die Demokratie in Amerika", in welcher der französische Historiker 1835 das Spannungsverhältnis zwischen den demokratischen Freiheiten und den neuen Reichtümern in der aufbrechenden amerikanischen Gesellschaft beschrieb. Nun kann man jede Arbeit mit soziologischem Anspruch mit einem Tocqueville-Vergleich adeln. Die historischen Parallelen des neuen Russland mit dem jungen Amerika und seinem Konkurrenten, dem russischen Zarenreich, sind grob, aber nachvollziehbar.

Alisia im Pelzgeschäft ihrer Mutter, Moskau 2009

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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Auch im neuen Russland haben die gesellschaftlichen Umbrüche und neuen Freiheiten eine neue Elite geschaffen, die sich auf Kosten der breiten Bevölkerung ein Monopol auf den Reichtum gesichert hat.

Auch die Nähe zu den Gesellschaftsmalern des amerikanischen "Gilded Age" und der Porträtmalerei Walentin Alexandrowitsch Serows mag man in Skladmanns Bildern erkennen. Doch ist ihre eigentliche stilistische Nachbarin die moderne amerikanische Glamourfotografie von Annie Leibovitz oder Mark Seliger. Beide sind Meister der Inszenierung.

Auch Anna Skladmann schafft mit jedem ihrer Bilder ein perfekt komponiertes Destillat, das in seiner Künstlichkeit das Wesentliche der Porträtierten herausarbeitet. Immerhin - die 1986 in Bremen geborene Fotografin studiert an der New Yorker Parsons School of Design. Dem Zwiespalt zwischen der exzellenten akademischen Bildung und der Nähe zu den Stars des Genres entkommen in New York nur wenige Studenten.

Wowa im Theater seines Großvaters, Moskau 2010

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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Der Unterschied zwischen den Gesellschaftsmalern des 19. Jahrhunderts und den Glamourfotografen unserer Zeit liegt im Blick. Gesellschaftsmaler waren letztlich professionelle Opportunisten, die das Statusdenken ihrer Auftraggeber in den Fürsten und Bürgerhäusern künstlerisch umsetzen mussten.

Glamourfotografen sind jedoch Meister in der Inszenierung von Sehnsüchten. Da dreht sich das Machtverhältnis zwischen Porträtist und Subjekt. Wenn sich Anna Skladmann dem großen Thema der neuen russischen Eliten über die Kinder nähert, dann schafft sie einen zweiten Bruch, weil sie ja nicht die Protagonisten ihre Themas abbildet, sondern die Hineingeborenen, die künftigen Erben.

Das wirkt zunächst einmal unangenehm, weil Kinder fast immer die Projektionen ihrer Eltern verkörpern, ob sie nun in Hipsterkleidung auf den Spielplätzen des Münchner Glockenbachviertels herumtollen, oder ob sie in Oligarchen- und Divaposen in den Herrschaftssitzen der Moskauer Oberschicht posieren.

Ilona und Ella in einem Ruderboot, Moskau 2009

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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Wenn sich die kleine Eva im Modellkleid auf dem Samtsofa ausbreitet oder ... 

Eva in ihrem Wohnzimmer, Moskau 2009

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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... der kleine Vadim auf der Dachterrasse in eine Patriarchenpose wirft, die so anachronistisch ist wie sein Gehrock, dann bestätigen diese Bilder zunächst einmal Klischees, Klischees, die ihre Eltern der Welt auf der Münchner Maximilianstraße, an der Riviera, in den Auktionshäusern der Kunstmetropolen vorführen. Und wie jedes Klischee nähren sie Vorurteile, die gerade die Realität eines Landes wie Russland im Tunnelblicks des Ressentiments verzerren.

Wadim auf seiner Dachterrasse, Moskau 2009

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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Und doch ist Anna Skladmann mit ihren Bildern von den "kleinen Erwachsenen" ein ganz erstaunlicher Einblick in die russische Gesellschaft gelungen, der sich nur indirekt über die Inszenierung erschließt. Sie liegt in den Gesichtern dieser Kinder, also im klassischen Kern der Porträtkunst. Zwischen den Kostümen und Requisiten, den Posen und Inszenierungen lässt Ann Skladmann ihre Sujets die letzte Hintertüre eben doch nicht.

Jakob mit Gewehr, Moskau 2009

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Quelle: Anna Skladmann, Kehrer Verlag

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Eine Hintertüre, die Fotografen fast immer zuschlagen können, zumal bei Kindern, weil Kinder sie meist noch nicht kennen. Sie schlägt immer dann zu, wenn sich die Porträtierten zwischen Langeweile und aufwallender Entnervtheit sicher fühlen im Prozess des Fotografierens, wenn die ersten Filme abgelichtet sind und sich die Routine einstellt. Und da zeigt sich an diesen Kindern eine Ruhe und Selbstverständlichkeit, die bei Sechs- bis Zwölfjährigen verstört. Es ist die Selbstgewissheit einer Welt, die glaubt, längst unberührbar, selbst in einem Land wie Russland gegen die abrupten Zyklen der Geschichte immun zu sein.

Somit ist "Little Adults" hinter dem verstörenden Glamour und dem Konzept der Fotografin eine Allegorie auf die viel größere, nicht minder fremde Welt des unnahbaren Reichtums, der längst keine Nationalitäten mehr kennt. So gesehen, ist Anna Skladmann doch wieder näher bei Tocqueville als bei Leibovitz und Seliger.

ANNA SKLADMANN: Little Adults. Text von Bill Kouwenhoven. Kehrer Verlag, Heidelberg. 112 Seiten, 36 Euro.

© SZ vom 15.09.2011/pak/bgr
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