Süddeutsche Zeitung

Bildband:In der Falle

Aufnahmen einer Wildkamera bei Nacht: Alex Hanimann bebildert den Zufall.

Von Kim Maurus

Es ist Nacht, aber das Bild ist in grün-graues Licht getaucht. Äste einer Kiefer zeichnen sich vorm dunklen Himmel ab, Wassertropfen an der Kameralinse sind darauf projiziert. Davor ein hell angeleuchteter Waldboden, mit großen Schritten läuft ein Fuchs seitlich darüber. Er schaut nicht in die Kamera, aber die Ohren sind gespitzt, als hätte er den Blitz gehört. Es ist ein Schnappschuss, bei dem niemand auf den Auslöser gedrückt hat.

Alex Hanimanns Bildband "Trapped" verleiht dem Zufall ein Gesicht. Seine Aufnahmen stammen von einer Wildkamera, die ursprünglich von Jägern und Tierforschern verwendet wurde, um die Streifzüge der Tiere und ihre Verhaltensweisen auch bei Nacht beobachten zu können. Das Objektiv löst automatisch aus und fokussiert nur in seltenen Fällen. Die meisten Bilder sind verschwommen; zu stark oder gar nicht ausgeleuchtet, die Gliedmaßen

oft nur teilweise sichtbar. Es sind Aufnahmen von heimischen Tieren wie Füchsen, Rehen, Hirschen, Wildkatzen und Feldhasen; dazwischen tauchen Abbildungen von Zebras, Löwen, Leoparden und Bären auf.

In dem Augenblick, in dem die Wildkamera sie erwischt und festhält, wird die Verletzlichkeit der Tiere sichtbar. Der Blitz scheint sie alle aus ihren nachtaktiven Gewohnheiten zu reißen, manche starren der Kamera entgegen, die Augen sind leer und weiß. Manchmal zersprengt das Licht ihr ganzes Gesicht; es scheint zu explodieren, als hätte jemand dem Tier in den Kopf geschossen.

Andere rennen im Moment des Auslösens davon, sind vielleicht auch schon vorher gerannt. Sicher ist da nie, ob die Tiere sich durch den Reflex des Blitzes bewegen oder ob die Aufnahme lediglich die Aufzeichnung ihres normalen Verhaltens ist. Abgebildet werden sie in jedem Fall - die bewusste Absichtslosigkeit des Künstlers wird zur Falle, aus der sich die Tiere nicht befreien können. "Trapped" gibt das bereits in seinem Titel preis. Der Automatismus der Kamera ermöglicht eine irritierende Vielfalt. Im Kontrast zu den gesichtszerfetzenden Aufnahmen stehen solche, die unwirklich erscheinen. Solche, auf denen Schnee fällt, durch den ein Feldhase rennt. Oder solche, auf denen die Reflexion des Fells so aussieht, als würden die Tiere von innen leuchten.

Bei manchen Aufnahmen füllt das Licht dann doch das ganze Bild aus, sodass sie wie ein Gemälde und weniger wie eine Fotografie wirken. Und nicht zuletzt gibt es die Bilder, bei denen die Augen des Tieres nicht zu weißen Flächen mutieren, sondern die Spiegelung versagt. Wenn diese Augen starren, stellt sich die Frage, wer hier eigentlich in die Falle der Kamera getappt ist. Die Tiere oder nicht doch der Betrachter, der da dank einer Technologie in ihren Lebensraum eingedrungen ist; der nicht selbst bei Nacht im Wald steht? Alex Hanimann verleiht dieser Gewissensfrage eine große Spannung.

Am Ende des Bildbandes sind Aufnahmen abgebildet, die bei Dämmerung oder tagsüber entstanden sind. Das grün-graue Licht weicht einem bräunlichen. Die Konturen des Waldes, der Steppe oder des Unterholzes sind deutlich erkennbar. Das Tageslicht unterbindet die bisherige Dominanz des Kamerablitzes und seine Fokussierung auf Details. Man fühlt sich beinahe erleichtert.

Alex Hanimann: Trapped. Mit Texten von Hans Rudolf Reust, Patrick Frey. Edition Patrick Frey, Zürich 2018. 384 Seiten, 60 Euro.

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Quelle:
SZ vom 26.07.2018
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