Bildband:Discofox im Kellerloch

Deutschland,Reisevorbereitung, Verreisen mit dem Auto

Das sieht nach Abenteuerurlaub aus: Beim Packen für die schönste Zeit des Jahres überlässt der Deutsche meist nichts dem Zufall.

(Foto: aus dem Bildband)

Tageslichtbefreite Partykeller und Reisekoffer, die zum Urlaub wie Zinnsoldaten aufgereiht werden. Ein Bildband möchte die Lebenswelten der Deutschen erschließen und blickt dabei vor allem in die Vergangenheit.

Von Anna Fastabend

Bierernst tanzt ein Paar Standard vor einem Eiche-Rustikal-Einbauschrank. Von der niedrigen Decke baumeln traurige Luftschlangen. Das Foto in dem Bildband "The Germans - Stil und Ikonen einer Nation" zeigt einen Partyraum, bei dessen Anblick jedem, der in der Provinz aufgewachsen ist, sofort der für den Keller typisch modrige Geruch in die Nase steigt. Kleiner Feigling, Dosenfrüchte-Bowle, am nächsten Tag einen dicken Kater im Kopf. Wahrscheinlich steht nichts so sehr für das deutsche Lebensgefühl, wie diese tageslichtbefreite Vergnügungshölle. Welche andere Nation geht zum Spaßhaben in den Keller?

Die Herausgeberinnen Silke Wichert und Nina Zywietz jedoch haben die deutschen Marotten genauer beleuchtet und dazu Fotos, Essays und Interviews zu deutschen Ikonen, deutscher Politik, deutschen Essgewohnheiten und vielem mehr zusammengestellt. Auch wenn sie das ein oder andere Klischee reproduzieren, fühlt man sich oft ertappt.

Interessant ist der Blick von außen: Korrespondenten internationaler Zeitungen erzählen, was für sie typisch deutsch ist: das penible Teilen der Restaurantrechnung, kalte Wurst mit den Fingern essen, die Faszination für Helge Schneider und diese Gesetzestreue selbst roten Ampeln gegenüber. Wir sind einfach keine verwegenen Cowboys, die sich von einem Abenteuer ins nächste stürzen. Auch nicht, wenn wir uns als solche verkleiden wie der deutsche Skirennläufer Markus Wasmeier auf einem Bild aus den späten Achtzigern.

Todernst wird es beim Fußball. Jürgen Klinsmann wäre nach einem verlorenen Testspiel gegen Italien fast in den Bundestag zitiert worden. Der deutsche Sport sei eben aufs Engste mit dem militärischen Drill verbunden, erinnert Sportjournalist Florian Haupt. Statt Fair Play, das bei den Briten zumindest historisch bedeutsam ist, gehe es uns seit jeher darum, unsere Gegner platt zu machen.

Auch die Urlaubszeit ist nicht zum Vergnügen da. Statt Dolce Vita werden Besichtigungsmarathons unternommen und die penibel gepackten Koffer und Taschen wie Soldaten beim Appell durchgezählt. Vieles hat man so schon gelesen, nun wurde es auf unterhaltsame Weise zusammengetragen. Neu dürfte für manche Leser sein, dass die DDR einen FKK-Reiseführer herausbrachte, der zum Bestseller wurde. Leider erinnert die Gestaltung des Bildbandes an einen Stern-Jahresrückblick.

Außerdem schade: Die Herausgeberinnen waren mehr an einem Rückblick interessiert. Warum bilden sie Schlagersängerin Nicole ab und Helene Fischer, die Inkarnation des Kartoffeligen, nicht? Von der Lebenswelt der Jungen fehlt, von ein bisschen Technogeschichte mal abgesehen, fast jede Spur. Kann man bei der jüngeren Generation überhaupt noch von typisch Deutsch sprechen, oder gerade wieder? Das wäre auch noch eine interessante Frage gewesen.

Silke Wichert, Nina Zywietz: The Germans. Stil und Ikonen einer Nation. teNeues, Kempen 2017, 224 Seiten, 39,90 Euro.

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