Bildband:Die Frau im Sackkleid

Das Werk von Stefan Moses besteht überwiegend aus Bildern in Schwarz-Weiß. Peggy Guggenheim jedoch porträtierte er 1969 und 1974 in bunten Bildern. Sie inszenieren das Alleinsein.

Von Thomas Steinfeld

Nicht viele Farbfotografien sind von Stefan Moses überliefert. Der allergrößte Teil seines Werks besteht aus Bildern in Schwarz-Weiß, zumal die Porträts, die, auch wenn sie scheinbar gewöhnliche Menschen zeigen, immer Autorenporträts sind. Einige Serien jedoch, die er in den Jahren 1969 und 1974 von Peggy Guggenheim aufnahm, bestehen aus bunten Bildern. Sie sind in Venedig entstanden, in der Stadt, in der die Mäzenin seit 1949 lebte und wo sie ihrer berühmten Sammlung moderner Kunst ein dauerhaftes Zuhause gegeben hatte - in einem unvollendeten Palazzo nicht weit vom südöstlichen Ende des Canal Grande. Nur das Erdgeschoss war gebaut worden, und bei oberflächlicher Betrachtung ist nicht zu erkennen, was dieses Gebäude ist oder was es hätte werden sollen: ein aufgegebenes Lagerhaus, ein dysfunktional gewordenes Stück einer Festung, eine steinerne Tribüne über dem schönsten Kanal der Welt?

Eines der schönsten Bilder aus diesen Serien zeigt die Sammlerin, wie sie auf dem Dach (oder besser: der verstärkten Decke im Erdgeschoss) ihres Palazzos steht, in einer roten Tunika, die Hände wie ein Priester erhoben, während unten ein Wasserbus vorbeifährt. Die historische Pracht und das Skurrile, die alte Stadt und das Modische gehen hier eine seltsame Verbindung ein, deren Klammer die Kunst bildet. Peggy Guggenheim - oder ist es Stefan Moses? - scheint mit diesen Gegensätzen spielen zu wollen, wofür sie unter anderem ihre Kleidung einsetzt: Nur wenige Vorteile dürften Damen mittleren Alters aus der Mode der späten Sechziger und frühen Siebziger gezogen haben. Das beliebte Sackkleid - in Lindgrün, Himmelblau, Erdbeerrot - nahm dem Körper die Form, die weichen, beigefarbenen Stiefel verkürzten darüber hinaus den Rumpf, und falls noch ein Rest von Leichtigkeit geblieben sein sollte, wurde er durch gestrickte Strumpfhosen erwürgt. Genau solche Kleidungsstücke aber trägt Peggy Guggenheim auf diesen Bildern - vielleicht als Gegenentwurf zur Feinheit der historischen Bauten Venedigs, vielleicht als Inszenierung von Fremdheit, vielleicht, weil sie darin selbst etwas Skulpturales annimmt.

Zum Rot des Lippenstiftes bildet das Graugrün des Wassers im Kanal die Komplementärfarbe

Erst beim zweiten oder dritten Anschauen der Fotografien erschließen sich die Korrespondenzen: Leicht zu erkennen sind die Verbindungen zwischen dem Rot des Sackkleides, dem Rot der Lederpolster im Wassertaxi und dem Rot des Lippenstifts, zu dem das Graugrün des Wassers im Kanal die Komplementärfarbe bildet. Die Farben dienen der selbstbewussten Darstellung einer Frau, die sich selbst als Mittelpunkt aller Beziehungen setzt und dabei vor dem Grellen, ja womöglich auch vor dem Plumpen nicht zurückschreckt. Ironie scheint sie jedenfalls besessen zu haben: Oder war Stefan Moses auf die Idee gekommen, nicht sie selbst, ihre rote Handtasche in einem Stillleben zu arrangieren, das außerdem Werke Alberto Giacomettis und Jean Hélions zeigt - und das Porträt, das Franz von Lenbach im Jahr 1903 von der sechsjährigen, in eine Art barockes Hofkostüm gekleideten Peggy Guggenheim malte? Und was bedeutet es, wenn die Mäzenin sich in einer blauen Hollywoodschaukel über dem Canal Grande wiegt, in der roten Tunika, während sie ihr Gesicht in einem Taschenspiegel betrachtet? Dass in Venedig, auch an prominentem Ort, keine Abstriche vom amerikanischen Charakter der Hauptperson gemacht werden?

Die Werke der Kunstsammlung erscheinen auf diesen Bildern weniger als Kunstwerke denn als Gesellschaft jener Hauptperson. Aus ihnen hebt sich die Protagonistin heraus. Sie ist allein.

Stefan Moses: Begegnungen mit Peggy Guggenheim. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2017. 144 Seiten, 48 Euro.

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